Israels Filmszene : Drehbücher im Visier

Nr. 9 –

Die israelische Regierung will missliebigen Filmemacher:innen die Gelder streichen. Die Sorge um die Kunstfreiheit im Land wurde jüngst auch auf der Berlinale spürbar.

Szene aus dem Film «Two Kids a Day»: Nachtsichtaufnahme einer Person welche die Augen verbunden hat
Kein Geld mehr für «Filme, die das Ansehen Israels beschädigen»: Szene aus «Two Kids a Day» von David Wachsmann. Still: First Hand Films


Die Pläne der neuen ultrarechten Regierung in Israel, die auf eine Untergrabung der Unabhängigkeit der Justiz zielen, treiben seit Wochen Hunderttausende zu Protesten auf die Strasse. Von den befürchteten umfassenden Eingriffen auch in den Kulturbereich dürften wiederum als Erste Filmautor:innen betroffen sein, die sich mit heiklen Themen wie der israelischen Besetzung der Palästinensergebiete befassen.

Einige israelische Dokumentarfilmer:innen sind bereits ins Visier des neuen Kultur- und Sportministers Miki Zohar geraten. Schon kurz nach Amtsantritt verkündete der Likud-Politiker: «Heute Morgen habe ich den neuen Finanzminister Bezalel Smotrich angeschrieben und ihn gebeten, einem Film, der sich gegen Armeesoldaten richtet, nachträglich die Zuschüsse zu streichen.»

Allerdings hatte Kulturminister Zohar die monierte Dokumentation «Two Kids a Day» (Zwei Kinder am Tag) – gedreht von David Wachsmann und produziert von Yoav Roeh –, die kritisch die Inhaftierung und die Internierung vier palästinensischer Minderjähriger durch die israelische Armee beleuchtet, zu jenem Zeitpunkt noch gar nicht gesehen. Das hinderte ihn aber nicht daran, den Filmautor Wachsmann zu bezichtigen, er stelle die israelischen Soldat:innen als Kindesmisshandler:innen und palästinensische Terrorist:innen als unschuldige Opfer dar. Dem Inhalt des Films entspricht das in keiner Weise. Inspiriert war Zohar offensichtlich von einer kleinen, aber lauten rechtsradikalen israelischen Organisation mit dem biblischen Namen «BeZalmo» (Nach seinem Ebenbild), deren Mitglieder gegen die Vorführung des Films in der israelischen Stadt Herzliya mit der Parole demonstriert hatten: «Nein zu den Terroristen, Ja zu den Soldaten».

Heftiger Protest

Die Drohung des Ministers stiess bei israelischen Cineast:innen auf heftigen Protest. Bislang hat sie Filmautor Wachsmann aber eher genützt als geschadet: Etliche Kinos im Land wollen seine Doku nun auch zeigen. Von den Protesten liess sich Kulturminister Zohar indes nicht sonderlich beeindrucken. Er kündigte an, sich für neue rechtliche Regelungen bei der Kulturförderung starkzumachen: «Ich denke über ein Gesetz nach, das Inhalte, egal welcher Art, von der staatlichen Förderung ausschliesst, wenn sie dem guten Namen des Staates Israel schaden können.» Es sei nicht einzusehen, dass der Staat Inhalte fördern solle, die sein Ansehen beschädigten.

Kulturminister Zohar betont, dass er keineswegs die Kunstfreiheit anzutasten beabsichtige. In den Augen seiner Kritiker:innen betreibt er damit aber Augenwischerei: Im kleinen Land Israel seien Filmemacher:innen auf staatliche Zuschüsse angewiesen. In der Praxis würde ein solches Gesetz Zensur bedeuten.

Minister Miki Zohar hat nun gleich noch einen weiteren Dokumentarfilm über die Praktiken der israelischen Besetzung ins Visier genommen, und auch dessen Autor:innen droht er mit der nachträglichen Streichung der erhaltenen Fördermittel. Es handelt sich um «H2: The Occupation Lab» der Dokumentarfilmerin Idit Avrahami und des investigativen Journalisten Noam Sheizaf, der im vergangenen Herbst auf dem Filmfestival in Zürich zu sehen war.

Die beiden beleuchten die Geschichte der israelischen Okkupation der Stadt Hebron, wo heute in der Zone H2 rund 800 Siedler:innen, von zahlreichen Soldat:innen geschützt, inmitten von mehr als 200 000 Palästinenser:innen leben, deren Freiheiten stark eingeschränkt sind. Anhand umfangreichen Archivmaterials und zahlreicher Interviews mit Zeitzeug:innen wird die vom israelischen Rechtsanwalt und Menschenrechtler Michael Sefard zu Beginn des Films vertretene These untermauert: «Hebron ist das Labor der israelischen Besetzung. Alles, was der israelische Staat in der West Bank und sogar auch in Ostjerusalem tut, wurde zuerst in Hebron ausprobiert. Geht man dorthin, sieht man, was anderswo in zwei Monaten oder einem Jahr geschehen wird.»

Dramatische Worte in Berlin

Die tiefe Sorge um die Kunst- und Meinungsfreiheit in Israel hat kürzlich auch der Filmproduzent Yoav Roeh auf der Berlinale zum Ausdruck gebracht. Dort wurde der von ihm produzierte und von Asaf Saban gedrehte Spielfilm «Delegation» gezeigt. Die israelisch-polnisch-deutsche Koproduktion behandelt die Reise israelischer Schüler:innen zu den Todeslagern in Polen. Bei der Uraufführung ging Roeh auf die Bühne und warnte vor den «faschistischen und rassistischen Gesetzen» der neuen israelischen Regierung und beklagte, dass Israel nach 75 Jahren seiner Existenz «Suizid» begehe.

Roehs dramatische Worte sorgten in Israel für Aufsehen. Den von ihm bewusst im geschichtsträchtigen Berlin erhobenen Faschismusvorwurf bekräftigte er in einem Gespräch mit dem israelischen Rundfunk: «Den Grund für solche Vergleiche liefern doch diejenigen, die uns solche Gesetze aufzwingen. Es beginnt mit Demokratie, und nach und nach wird daraus ein finsteres und rassistisches Regime. Um den Vergleich kommt man nicht herum, besonders wenn man in Berlin ist.»

Äusserst beunruhigend findet Yoav Roeh, dass es in Israel bereits erste Anzeichen einer Selbstzensur gebe: «Die Leute haben Angst, Filme zu machen. Da braucht es nicht unbedingt Gesetze und Freiheitsstrafen. Es reicht, wenn einem Angst eingejagt wird.»