Zum 8. März: Kratzen am Patriarchat

Nr. 9 –

Oft hilft bekanntlich der Blick von aussen. In einem Essay für das feministische Onlinemagazin «Elle XX» schreibt die US-amerikanische Menschenrechtsanwältin Alexandra Dufresne anlässlich ihres Wegzugs aus der Schweiz: Sie werde eines nicht vermissen – wie allgegenwärtig und normal männliche Privilegien in diesem Land seien. «Das Patriarchat in der Schweiz ist noch nicht einmal so weit, einzusehen, dass es vielleicht nicht ganz so selbstgefällig sein sollte.»

Wer die Geschehnisse der letzten Jahre verfolgt hat, wird den Impuls haben, zu widersprechen: «Was ist mit dem Frauenstreik? Den zahlreichen feministischen Demonstrationen? Der Frauenwahl 2019?» In der Bundesversammlung sind derzeit 96 von 246 Sitzen von Frauen besetzt – so viele wie noch nie. In der aktuellen Frühlingssession werden verschiedenste gleichstellungspolitische Geschäfte behandelt: die Revision des Sexualstrafrechts etwa, ein Ausbau von Krippensubventionen sowie eine Initiative zum Abtreibungsgesetz. Die nationalrätliche Gesundheitskommission will die Bestimmungen zu Schwangerschaftsabbrüchen nicht mehr im Strafgesetzbuch regeln, um Abtreibungen endlich komplett zu entkriminalisieren.

Wie schwer es gleichstellungspolitische Anliegen jedoch nach wie vor haben – insbesondere wenn es um das Thema «ökonomische Ungleichheit» geht –, zeigt sich bereits beim ersten grossen Geschäft dieser Session: der Revision der beruflichen Vorsorge (BVG). Nach der Erhöhung des Frauenrentenalters war es das grosse Versprechen der Bürgerlichen, die finanzielle Situation von Rentnerinnen über die zweite Säule zu verbessern. Doch die bürgerliche Mehrheit im Parlament einigte sich auf eine Variante der Reform, die den Frauen weit weniger bringt als der Kompromiss, den Arbeitgeberverband und Arbeitnehmerverband ausgehandelt hatten.

Die von Frauen vorangetriebene progressive Allianz hat in der aktuellen Legislatur zwar vieles erreicht: zwei Wochen Vaterschaftsurlaub, die Ehe für alle, eine Geschlechterquote in der Wirtschaft. Doch die von Dufresne benannte Selbstgefälligkeit des Patriarchats kommt in jeder Diskussion zum Ausdruck.

Vor der Nationalratsdebatte über den Ausbau staatlicher Krippensubventionen etwa, die am Mittwoch nach Redaktionsschluss der WOZ endete, verhandelten etliche Medienberichte, wie weit sich der Staat in die Gestaltung des Familienlebens einmischen dürfe. Ganz im Sinne des liberalkonservativen Dogmas, dass der Mensch doch frei sei in seiner Lebensgestaltung. Inwiefern ökonomische Rahmenbedingungen und patriarchale Normen viele Frauen in ihren Lebensentscheidungen einschränken, floss kaum in den Diskurs ein.

Denn ob Mutterschaft, Karriere, Machtpositionen oder sexuelle Selbstbestimmung – tradierte Rollenbilder wirken in der Schweiz noch immer stark auf Frauen ein. In einer kürzlich publizierten Studie des Befragungsinstituts Sotomo war sich die Mehrheit der Teilnehmer:innen einig, dass Väter weit mehr arbeiten sollten als Mütter. Bei Themen wie Vereinbarkeit, Lohngleichheit oder dem Einfluss von Frauen in der Wirtschaft schneidet die Schweiz im internationalen Vergleich – etwa zu Skandinavien, Nicaragua oder Ruanda – regelmässig schlecht ab.

Auch dass das Parlament in der aktuellen Session die Revision des Sexualstrafrechts verhandelt, ist alles andere als selbstverständlich: Dringlichen Handlungsbedarf wollten anfangs viele Parlamentarier nicht erkennen. Auch wenn sich nicht die progressivste «Nur Ja heisst Ja»-Lösung durchsetzen sollte, sondern «Nein heisst Nein», wäre dies ein riesiger Erfolg für die Feminist:innen und Rechtsexpert:innen, die im Parlament eine unermüdliche Kampagne geführt haben.

Dass solche feministischen Stimmen immer lauter und zahlreicher werden, macht Hoffnung: dass künftig mehr möglich wird als nur ein Kratzen am Patriarchat.