Wanderarbeiter:innen in Taiwan: Beim Metal Mensch, bei der Arbeit Roboter

Nr. 10 –

Indonesische Migrant:innen werden in Taiwan als billige Arbeitskräfte ausgebeutet und rassistisch ausgegrenzt. Zur gegenseitigen Unterstützung bilden sie Subkulturen, zum Beispiel um die Heavy-Metal-Band Jubah Hitam.

die Band Jubah Hitam mit ihren Mitgliedern David, Feri, Harits, Dion, Robby und Andy
David, Feri, Harits, Dion, Robby und Andy (von links) spielen «musik keras», harte Musik. Die indonesischen Wanderarbeiter in Taiwan sind Mitglieder der Metalband Jubah Hitam.

Die jungen indonesischen Metalheads halten sich an den Händen und wirbeln im Kreis herum, bis die Fliehkraft sie auseinanderreisst. Sie hüpfen und schreien, stolpern, fallen übereinander und ziehen sich wieder hoch. Vor einer Open-Air-Bühne bewegen sie sich zu den stampfenden Basstönen und dröhnenden Gitarrenriffs der Metalcore-Band Jubah Hitam.

Die Szene passt so gar nicht zur Atmosphäre auf der Ausflugsmeile bei Kaohsiung im Süden Taiwans. Unzählige Einheimische sind an diesem 1. Januar 2023 auf die der zweitgrössten Stadt des Landes vorgelagerte Halbinsel Qijin gekommen. Sie schauen aber nur kurz, was das für ein Lärm und Durcheinander ist. Dann ziehen sie weiter in Richtung Strand.

Jubah Hitam treten an diesem Tag neben anderen indonesischen Bands auf, die auch Punk und Reggae spielen. Das Formosa Music Fest ist das erste selbstorganisierte Festival dieser Community indonesischer Migrant:innen. Organisator:innen, Bandmitglieder und auch die wenigen Hundert Besucher:innen sind überwiegend indonesische Fabrikarbeiter:innen, Hausangestellte und Fischer. Sie wurden wie die anderen Wanderarbeiter:innen aus ganz Südostasien nach Taiwan geholt, um dreckige, gefährliche und monotone Arbeiten zu verrichten (vgl. «Ausbeutung und Abhängigkeit» in Anschluss an diesen Text). Die meisten sind zwischen zwanzig und dreissig Jahre alt.

Vom Staat in einen prekären Status gedrängt, bei der Arbeit ausgebeutet und im Alltag von der taiwanischen Gesellschaft weitgehend ausgegrenzt, haben die indonesischen Wanderarbeiter:innen verschiedene Subkulturen und auch Subökonomien gebildet: Sie finden sich zusammen in Parks und an Bahnhöfen, in indonesischen Läden und Restaurants, in muslimischen Gebetsräumen, an selbstorganisierten Treffpunkten, auf Festivals und Konzerten. Musik spielt dabei eine wichtige Rolle. Die meisten der indonesischen Wanderarbeiter:innen in Taiwan hören Dangdut, eine in den siebziger Jahren entstandene populäre Musikrichtung mit malaiischen, indischen und anderen Einflüssen. Früher galt Dangdut als vulgäre Musik der Unterschicht, heute wird sie in Indonesien mancherorts als nationales Kulturgut betrachtet.

Durch die Musik verbunden

In Taiwan sind die Heavy-Metal-Fans aus Indonesien eine kleine Gruppe, die sich von der grösseren Dangdut-Szene absetzt. Alle interviewten Personen erzählen, dass sie beim wilden Metaltanz, dem «Moshing», zusammenstossen und hinfallen, sich dann jedoch wieder hochziehen und umarmen. Das sei beim Dangdut anders, behaupten sie. Da gebe es schon vor dem Konzert Streit. Und wenn jemand beim Tanzen angestossen werde, komme es zur Schlägerei.

Seit einigen Jahren sind die Metalheads über soziale Medien und Chats miteinander verbunden, tauschen Berichte, Fotos und Songs aus, diskutieren über Trends und Bands. Sie pflegen auch Kontakte zu Metalheads und Musiker:innen in Indonesien. Sie produzieren Aufkleber und T-Shirts, und bei Konzerten kommen sie aus allen Ecken Taiwans zusammen.

Die meisten von ihnen waren schon in Indonesien Teil der Szene. Diese formierte sich dort bereits in den siebziger Jahren, als indonesische Bands anfingen, den Hardrock und frühen Heavy Metal aus westlichen Ländern aufzugreifen. Seit den Achtzigern ist daraus eine blühende Rock- und Metalszene mit vielen Subgenres geworden. Auf Java, der Hauptinsel Indonesiens, finden sich auch in vielen Dörfern Rock- und Metalfans, die lokale Musikevents organisieren. Die laute und harte Musik begeistert junge Menschen mit einem ländlichen oder proletarischen Hintergrund, die sich in den Texten über Alltagsgefühle, Religion und Lebensphilosophien wiederfinden.

die Band Jubah Hitam bei einem Konzert in Taipeh
Jubah Hitam spielen für ein indonesisches Publikum aus ganz Taiwan: Robby, Andy und Feri bei einem Konzert in Taipeh.

Ari* arbeitet in einer Fahrzeugmontagefabrik in Taiwan. In seiner Kindheit im Dorf auf Java entdeckte er durch einen Cousin die Rockmusik. Seitdem mag er «musik keras», harte Musik. Sie sei für ihn eine Art Heilmittel und gebe ihm Kraft, wenn er bei der Arbeit unmotiviert sei. «Die Musik hilft mir, ich selbst zu bleiben», sagt Ari. Wichtig sind ihm auch seine bunten Haare. Er hat sie aus Protest pink und blond gefärbt, nachdem er in der Fabrik für seine Stille kritisiert und als «Weichei» beschimpft wurde. Als ihn sein Vorgesetzter deswegen rügte, sagte Ari: «Ich arbeite hier, nicht meine Haare!» Der Meister wollte darauf, dass er eine Mütze aufsetzt, die sonst nur neu Eingestellte tragen. Ari warf sie weg: «Ich arbeite schon lange hier.»

Die Metalcommunity ist für Ari ein Weg, rauszukommen und mehr zu machen als nur zu arbeiten. Gleichgesinnte indonesische Arbeiter:innen erkennt er am Äusseren: an Doc-Martens-Stiefeln, Band-T-Shirts, Metalbasecaps, Dreadlocks oder den gefärbten Haaren.

Auch Gilang ist leicht als Metalhead zu erkennen. Er arbeitet in einer kleinen Möbelfabrik. Wie Ari wuchs er in einem javanischen Dorf auf, kam schon in der Jugend mit Punkmusik in Kontakt und später mit Metal. Vor allem der Stil Brutal Death Metal sprach ihn an.

Heute kann Gilang bei der Arbeit Musik hören, das gibt auch ihm Kraft. Abseits der Arbeit treibt er den Austausch in der Szene über die sozialen Medien voran, organisiert Treffen und Events. Gilang betont, dass es den Metalheads vor allem um gegenseitige Unterstützung gehe. Die Community in Taiwan habe sich in dieser Hinsicht viel besser entwickelt, als er und die anderen aus der Szene erwartet hätten.

Aushängeschild der Szene

Die Mitglieder von Jubah Hitam (Schwarze Robe) trafen sich in Taiwan und gründeten 2019 die Band, die heute das Aushängeschild der indonesischen Metalszene auf der Insel ist. Bis auf eine Ausnahme sind sie alle Fabrikarbeiter: Andy (Gitarre), David (Gitarre), Dion (Bass), Feri (Schlagzeug), Harits (Elektronik und Gesang/Scream) und Robby (Gesang/Scream).

Einige von ihnen spielten schon in Indonesien in verschiedenen Bands. In Taiwan wohnt und arbeitet ein Teil der Band im Norden, der andere Teil im Süden der Insel. Zum Proben treffen sie sich einmal im Monat, ansonsten schicken sie sich Ideen und Aufnahmen zu, treffen sich in Videocalls und üben für sich. Letzteres ist nicht immer einfach, denn die meisten Bandmitglieder leben in Wohnheimen, wo sie sich ein Zimmer mit mehreren Personen teilen. «Unsere Musik ist härter, damit kommt nicht jeder klar», sagt Robby.

Jedes Bandmitglied hat seine eigenen musikalischen Einflüsse: von der bekannten indonesischen Heavy-Metal-Band Burgerkill – die im August 2022 auch auf dem Wacken-Festival in Norddeutschland spielte – über die deutsche Death-Metal-Band Obscura, die US-amerikanische Deathcore-Band Suicide Silence, die Trance- und Electronicore-Band Fear and Loathing in Las Vegas aus Japan bis hin zu seichterer Gitarrenmusik von Carlos Santana und Andra Ramadhan oder dem berühmten indonesischen Liedermacher Iwan Fals.

Die Liedtexte von Jubah Hitam drehen sich um die Gefühls- und Gedankenwelt der Musiker, die sich aus ihren Alltagserfahrungen ergibt und von ihrem muslimischen Glauben beeinflusst ist. David, der die meisten Texte schreibt, sagt, er hole sich Inspiration aus Koranversen und philosophischen Texten. Die Lieder «Dosa» (Sünde) und «Tumbal» (Opfer) thematisieren die eigene innere Zerrissenheit, «Haram» (verboten) den Druck von aussen und «Tirakat Spiritual» (spirituelle Einkehr) die Suche nach Unterstützung. Für die Musiker ist es selbstverständlich, dass sie sich als Arbeiter zu solch tiefgründigen Themen äussern.

Durch die Inhalte der Liedtexte unterscheiden sich Jubah Hitam von der ebenfalls von indonesischen Migrant:innen gegründeten Punkband Southern Riot aus Kaohsiung, die auch auf dem Formosa Music Fest auftritt. Ihre Mitglieder benennen in ihren Texten konkret die Erfahrung von Ausbeutung und Ausgrenzung als Wanderarbeiter durch den taiwanischen Staat und die Arbeitsvermittlungsagenturen.

Schulden bei Agenturen

Das Leben der Musiker von Jubah Hitam wird durch ihre Arbeit als Migranten in der Fabrik bestimmt. Der Einzige, der nicht in einer Fabrik arbeitet, ist Harits. Er kam 2018 zum Wirtschaftsstudium nach Taiwan und arbeitet seit kurzem in einem Büro.

«Meine Arbeit ist nicht so hart wie die der anderen», sagt er. Die übrigen Bandmitglieder haben teilweise schon in Indonesien in Fabriken gearbeitet, in Taiwan sind sie in verschiedenen Industrien beschäftigt. Andy arbeitet seit sechs Jahren in einer kleinen Textilfabrik und färbt Stoffe. Er hantiert mit Chemikalien und bedient Maschinen. David montiert seit Jahren in einer grösseren Fabrik am Fliessband Fitnessgeräte. «Die Arbeit ist nicht so gefährlich, aber langweilig», sagt er. Dion war erst jahrelang in einer Glasfabrik und stellt jetzt in einer mittelgrossen Fabrik Möbel her. Feri ist in einer Metallfabrik beschäftigt und bedient eine Stanzmaschine. Und Robby baut in einer kleinen Fabrik Möbel aus Holz.

Die Probleme, von denen sie erzählen, gleichen denen anderer indonesischer Fabrikarbeiter:innen: Um nach Taiwan zu kommen, mussten sie sich bei Vermittlungsagenturen hoch verschulden. Das Geld zum Begleichen der Schulden wurde dann nach und nach von ihrem Lohn abgezogen. Bei der Arbeit werden sie von taiwanischen Vorarbeiter:innen kontrolliert. Diese machen mitunter Druck, wenn die Leute schneller arbeiten oder Produktionsvorgaben eingehalten werden sollen. Sie lassen die Migrant:innen dann auch mal arbeiten, wenn diese krank sind, oder setzen viele Überstunden an.

Die indonesischen Arbeiter:innen bekommen in der Regel den Mindestlohn, so wie ihre Kolleg:innen aus Taiwan. Seit dem 1. Januar 2023 liegt dieser bei 26 400 Taiwandollar pro Monat, das entspricht etwa 810 Franken. Die Einheimischen erhalten jedoch noch Zulagen oder Boni, zum Beispiel an Feiertagen: «Die taiwanischen Arbeiter bekommen ‹hong bao› [rote Umschläge mit Geld], die indonesischen Arbeiter bekommen nie welche», beschreibt eines der Bandmitglieder die Lage in seiner Fabrik. Er schätzt, dass die taiwanischen Arbeiter:innen dort monatlich etwa 5000 Taiwandollar mehr verdienen.

Auch in den Wohnheimen sind die Bedingungen für die taiwanischen Arbeiter:innen in der Regel besser, sie leben mit weniger Leuten in einem Zimmer. Einige Mitglieder von Jubah Hitam haben zwar ein Bett im Wohnheim, mieten sich aber auch Zimmer ausserhalb der Fabrik – etwa mit ihren indonesischen Ehefrauen. Ihre Partnerinnen arbeiten ebenfalls in einer Fabrik oder sie sind Hausangestellte und leisten Sorgearbeit für eine taiwanische Familie.

Alle Bandmitglieder betonen, dass sie in Taiwan seien, um Geld zu verdienen, dass sie dafür hart arbeiteten und keinen Ärger wollten. Sie möchten ihre Familien in Indonesien unterstützen und sparen Geld für später. Aufgrund der Migrationsgesetze ist ihre Zeit in Taiwan begrenzt, spätestens in ein paar Jahren müssen sie alle zurück. In Indonesien wollen sie dann ein Geschäft aufmachen oder Landwirtschaft betreiben, einen genauen Plan haben die meisten noch nicht. Einige werden in ihre Heimatorte zurückkehren, andere in die ihrer Ehepartnerin. Damit ist auch das Ende der Band nur eine Frage der Zeit. In Indonesien werden sie sich andere Bands suchen müssen – wenn sie dann noch Raum und Gelegenheit für Musik haben werden.

Frauen schaffen sich Platz

Wie bei Jubah Hitam spielen in den meisten anderen indonesischen Metal-, Punk- oder Reggaebands in Taiwan nur Männer. Auch die ganze Szene ist vorwiegend männlich. Codes, Rituale und Tanz sind ihr spezieller Ausdruck von Männlichkeit und Männerfreundschaften. Dazu gehört, sich umeinander zu kümmern, gegenseitige Unterstützung und enge Verbundenheit. Sie sind in der Regel offen für die aktive Beteiligung von Frauen an der Szene – auch wenn manche von ihnen denken, die Musik sei für Frauen «zu hart» und diese hörten lieber «seichtere» Musik wie Dangdut oder K-Pop. Manche tragen gar T-Shirts mit sexistischen Frauenbildern, wie sie in der Szene auch in anderen Ländern üblich sind.

Dennoch schaffen sich einige Frauen Raum in der indonesischen Metalszene von Taiwan. Manche begleiten ihre Musikerpartner zu Konzerten, andere hören die Musik und tauschen sich über die sozialen Medien dazu aus, einige wenige organisieren Events mit.

Elia ist eine von ihnen. Sie kommt aus einem Dorf in Java und ist mit Unterbrechungen seit etwa zehn Jahren in Taiwan. Sie arbeitet als Pflegerin für eine Familie im Norden der Insel. Schon in Indonesien habe sie Metal gehört, sei auf Konzerte gegangen und spät nach Hause gekommen, erzählt sie. Die Musik beruhige sie. Wenn die ältere, demente Frau, die sie pflege, mal wieder nörgle, werde sie kurz wütend. Dann stecke sie sich die Kopfhörer in die Ohren und drehe die Musik auf, bis die Frau eingeschlafen sei.

In der Metalszene fühlt Elia sich wohl. Die «Aura» sei viel besser als beim Dangdut, sagt sie. Dennoch hält sie sich beim wilden Tanzen zurück, auch wenn sie schon Lust habe, vorne mitzutanzen, wie sie sagt. Das Festival am 1. Januar in Kaohsiung hat Elia mitorganisiert, auch an der Vorbereitung weiterer Events ist sie beteiligt.

Genau wie in Taiwan wird auch in Indonesien um die Rolle von Frauen in der Metalszene gerungen. Auch dort ist diese von Männern dominiert, und auch dort gibt es Frauen, die sich einen Platz erkämpfen – vor und auf der Bühne: In der Nu-Metal-Band Voice of Baceprot spielen nur Frauen, andere Beispiele sind die Gitarristin Rissa Geez der bekannten Metalcore-Band Aftercoma oder die Sängerin Auryn der Metalcore-Band Invicta. Sie alle stammen aus Westjava.

Leben voller Widersprüche

Die Selbstorganisation der indonesischen Wanderarbeiter:innen gleicht der von Migrant:innen anderswo. Auch die in den sechziger und siebziger Jahren für die Arbeit in Deutschland angeworbenen Migrant:innen aus Südeuropa und der Türkei schufen ihre eigenen Musikszenen. Dokumentiert ist das unter anderem durch die beiden Sampler «Songs of Gastarbeiter» von Imran Ayata und Bülent Kullukcu (2013 und 2022) und den Film «Liebe, D-Mark und Tod» von Cem Kaya (2022). Die besondere Rolle, die Heavy Metal für Menschen in schwierigen Lebenssituationen einnehmen kann, beleuchtet auch die ARD-Dokumentation «Heavy Metal Saved My Life» (2022): Sie zeigt, wie Männer und Frauen, queere und trans Personen aus Europa, Nord- und Mittelamerika die Metalmusik entdecken, Bands gründen und Halt und Zusammengehörigkeit finden.

Für die indonesischen Metalheads mit ihrer harten Musik spielt diese emotionale Unterstützung eine wichtige Rolle. Ihre Community schafft einen vertrauten sozialen Raum abseits der Wohnheime und Arbeitsstätten. Dort können sie durchatmen, sich erholen und sich ausleben – die Härten und Widersprüche des rassistischen Migrations- und Ausbeutungsregimes in Taiwan und der täglich erfahrene Ausschluss durch die taiwanesische Gesellschaft bestimmen dennoch weiter ihr Leben.

Mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert sind, wurde einen Tag vor dem Formosa Music Fest deutlich: Der Musiker einer Band wurde bei einer Kontrolle festgenommen und sollte abgeschoben werden, weil er keine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis mehr hatte. Wenn sie nicht mehr als billige Arbeitskräfte gebraucht werden oder sich gegen Ausbeutung wehren, drohen indonesischen Wanderarbeiter:innen die Illegalisierung und die Ausweisung.

Ihr Alltag besteht aus gegensätzlichen Realitäten, als Mensch und als Arbeitskraft. Ari gehört beim Festival zu jenen, die zu den harten Beats hin und her wippen, lachen und wild herumtanzen. Sonst malocht er am Montagefliessband. «Hier und heute sind wir Menschen», sagt er, «sechs Tage die Woche sind wir Roboter.»

* Da sich die indonesischen Migrant:innen in Taiwan untereinander nur mit Vornamen ansprechen (und auch ihre taiwanischen Vorgesetzten dies so machen), werden in diesem Text nur die Vornamen der Personen genannt.

Rassistisches Migrationsregime : Ausbeutung und Abhängigkeit

Taiwan öffnete in den 1990er Jahren die Grenzen für Wanderarbeiter:innen aus Südostasien, um den Arbeitskräftemangel in bestimmten Sektoren auszugleichen. Sie sollen für wenig Lohn die dreckigen, gefährlichen und monotonen Arbeiten verrichten. Das taiwanische Migrationsregime ähnelt dem deutschen «Gastarbeiter-Modell» der 1960er Jahre. Es enthält auch Elemente unfreier Arbeit, wie das im Zuge der Fussballweltmeisterschaft 2022 kritisierte «Kafala-System» in Katar, durch das Migrant:innen an die Person gebunden sind, für die sie im Gastland arbeiten.

Rund 800 000 Wanderarbeiter:innen leben heute in Taiwan, die meisten kommen aus Indonesien und Vietnam, von den Philippinen und aus Thailand. Von den 260 000 aus Indonesien sind rund 175 000 Frauen und 85 000 Männer. Die Männer arbeiten in Fabriken und auf Fischkuttern oder Hochseetrawlern. Manche Frauen arbeiten ebenfalls in Fabriken, doch die Mehrheit, etwa 165 000, als Pflegerinnen in privaten Haushalten und Altenpflegeeinrichtungen.

In der Regel werden die Wanderarbeiter:innen von indonesischen Vermittlungsagenturen angeworben. Taiwanische Agenturen verleihen sie dann an Unternehmen und Haushalte. Die meisten zahlen hohe Summen an diese Agenturen, die oft in Raten vom Lohn abgezogen werden. Die Arbeitsmigrant:innen dürfen ihren Arbeitsplatz und ihre Agentur nicht ohne deren Einverständnis wechseln. Wird ihre Arbeitskraft nicht mehr gebraucht oder fallen sie unangenehm auf, versuchen Unternehmen, Haushalte und Agenturen, sie zu entlassen und ausweisen zu lassen.

Taiwan hat unterschiedliche Kategorien von Arbeitskräften geschaffen: Beschäftigte in Fabriken, auf dem Bau, in der Landwirtschaft und in der Küstenfischerei fallen unter das Arbeitsgesetz, haben Sozialversicherungsschutz und erhalten den Mindestlohn (derzeit 26 400 Taiwandollar monatlich, etwa 810 Franken). Sie dürfen zwölf Jahre im Land bleiben. Migrantische Pflegerinnen in Privathaushalten haben zwar Sozialversicherungsschutz, fallen jedoch nicht unter das Arbeitsgesetz. Ihre Arbeitszeiten sind ungeregelt, und ihr Lohn liegt bei nur 20 000 Taiwandollar monatlich (etwa 610 Franken). Sie dürfen bis zu vierzehn Jahre bleiben. Fischer auf Hochseetrawlern bekommen nur befristete Visa, wenn ihr Schiff im Hafen liegt. Sie sind nicht durch die taiwanischen Sozialversicherungen geschützt. Ihr Lohn liegt bei 550 US-Dollar (etwa 510 Franken) im Monat.

Etwa 70 000 Wanderarbeiter:innen aus Südostasien halten sich ohne gültige Arbeitsvisa in Taiwan auf und arbeiten zum Beispiel in der Landwirtschaft oder im Baugewerbe. Werden sie gefasst, drohen ihnen Geld- und Haftstrafen, bevor sie ausgewiesen werden.