Regionale Landwirtschaft: Das «modèle mouansois» als Vorbild

Nr. 18 –

Trotz viel Sonne und ganzjährig mildem Klima ist Südostfrankreich weitgehend von Lebensmittel- und Stromimporten abhängig. Ein Städtchen im Hinterland von Cannes geht einen anderen Weg – mit Erfolg.

Gemüse von gemeindeeigenen Feldern auf dem Markt von Mouans-Sartoux
Lokale Produktion verbraucht auch weniger fossile Brennstoffe: Gemüse von gemeindeeigenen Feldern auf dem Markt von Mouans-Sartoux.

Markttag in Mouans-Sartoux. Umgeben von bunten, mediterranen Häusern und Platanen haben ein paar Händler:innen ihre Stände vor dem Rathaus aufgebaut. Man bekommt hier Fleisch, Honig oder Gemüse – alles bio und lokal. «Das wird immer schlimmer», sagt Audrey Rouverand mit einem Augenzwinkern. Sie verkauft allerlei Grünes aus der Region. «Die Leute wollen wissen, woher die Produkte kommen. Und wenns nicht aus der Gegend ist, kaufen sie es nicht.» Das Städtchen mit seinen rund 10 000 Einwohner:innen setzt seit Jahrzehnten auf Nachhaltigkeit. Gesunde Lebensmittel aus der Region gehören für viele zum Alltag.

Mouans-Sartoux stellte die Schulkantinen schon Ende der neunziger Jahre, als in Frankreich der Rinderwahn ausbrach, von einem Tag auf den anderen auf Biofleisch um. (In Frankreich gibt es in jeder Schule eine Kantine, die die Kommunen verantworten.) Seit über fünfzehn Jahren gibt es hier ausschliesslich Gerichte aus biologischem Anbau, das dafür verarbeitete Gemüse kommt heute sogar zu 96 Prozent von den gemeindeeigenen Feldern.

Bald auch mit eigenem Strom

Pierre Aschieri ist mit seinem E-Bike zur Arbeit gekommen. Das sei hier am effizientesten, meint er. Man sieht ihm an, dass er viel Zeit draussen verbringt, obwohl oder gerade weil er Bürgermeister ist. Aschieri ist kein Grüner, doch das Programm des Parteilosen grünt an allen Ecken und Enden. «Als Gemeinde möchten wir Agrarflächen und Natur schützen. Wir haben sogar Wald gekauft, der keinen wirtschaftlichen Wert hat», erklärt er.

Nach einem fünfzehnminütigen Spaziergang steht Aschieri vor einer kleinen Mauer, dahinter ein umgegrabener Acker und ein paar Treibhäuser. «Voilà, das sind unsere Agrarflächen», sagt der ehemalige Physikprofessor. «Wenn ich mich nicht täusche, ist das Mangold.» Vor fast zehn Jahren hat die Stadt von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch gemacht, mehrere Felder erworben und sich damit auch gegen ein grösseres Immobilienprojekt entschieden. Auf den heute insgesamt sechs Hektaren wachsen pro Jahr ungefähr 25 Tonnen Gemüse – genug für etwa 1300 Gerichte pro Tag, schätzt Aschieri. Durch die Kinder haben sich auch die Gewohnheiten der Eltern geändert: In einer 2022 von der Stadt durchgeführten Studie gaben ein Drittel der Befragten an, vermehrt saisonale Produkte zu kaufen.

Pierre Aschieri, Bürgermeister
Pierre Aschieri, Bürgermeister.

Lokales Gemüse, lokal verarbeitet, das ist an der Côte d’Azur eine Seltenheit. In Frankreich liegt der Durchschnitt der Importabhängigkeit bei Lebensmitteln bei 60 Prozent, in der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur sind es 90 Prozent. Das Département Alpes-Maritimes ist sogar zu 99 Prozent von Importen abhängig – an der zubetonierten Côte d’Azur findet man heute kaum noch unversiegelte Flächen. Ab 1962, nach dem Ende des Algerienkriegs, erlebte die Region einen steilen Bevölkerungsanstieg. Heute leben mehr als fünf Millionen Menschen in der Region, vor sechzig Jahren waren es noch nicht mal drei Millionen. Mit Folgen für die Landwirtschaft: In den letzten zehn Jahren wurde ein Fünftel aller Agrarbetriebe geschlossen, in den Alpes-Maritimes sogar mehr als ein Drittel.

Doch gerade jetzt, wo die Inflation die französische Lebensmittelbranche hart trifft – im letzten Jahr sind die Preise um ein Achtel gestiegen –, zeigt sich der Vorteil des «modèle mouansois». Das bestätigt auch Andrea Lulovicova, Doktorandin an der Universität Nizza. «Wir haben herausgefunden, dass bei einer lokalen Biolandwirtschaft auch weniger fossile Brennstoffe verbraucht werden», sagt die Wissenschaftlerin, die über die Auswirkungen einer lokal orientierten Lebensmittelpolitik auf die Umwelt promoviert. Dadurch ergebe sich für die Kommunen auch ein finanzieller Vorteil, sagt Bürgermeister Aschieri. «Wir produzieren selbst und haben dadurch keine Kosten für Transport, Verpackung und Lagerung. All das verbraucht viel Energie.» Um noch autonomer zu werden, möchte die Stadt nun auch ihren eigenen Strom produzieren.

Jean-François Leduc, technischer Direktor von Mouans-Sartoux, klettert über die Feuerleiter aufs Dach der Stadtbibliothek. Die Abendsonne taucht die umliegenden Hügel in ein goldenes Licht. Das ist nicht nur schön anzusehen, sondern birgt auch wirtschaftliches Potenzial. Hier und auf der gegenüberliegenden Schule hat Leduc insgesamt 320 Quadratmeter Solarpanels installieren lassen, sie decken etwa ein Zehntel des Energieverbrauchs der beiden Einrichtungen. Doch das soll nur der Anfang sein. «Wir wollen die Kapazität in den kommenden Jahren versechsfachen und damit zeigen, dass man auch Energie lokal produzieren kann», sagt Leduc. Bisher komme der Strom noch vom Atomkraftwerk Tricastin an der Rhône. Doch das ist über 250 Kilometer entfernt.

Konservativ, aber umweltfreundlich

Laut einer Studie der lokalen Forschungsstelle für Energie und Klima produziert Südostfrankreich kaum eigenen Strom und ist deshalb ebenfalls zu über neunzig Prozent von Importen abhängig. Selbst im Département du Nord an der belgischen Grenze gibt es mehr Solarpanels als hier. «Als in den siebziger Jahren der Stromverbrauch stieg, sah man in dieser Abhängigkeit ob der niedrigen Energiepreise kein Problem. Dafür zahlt man heute einen sehr hohen Preis», meint Nathalie Lazaric, Ökonomin am nationalen Forschungszentrum CNRS. Bereits 2008 erlebte die Region Provence-Alpes-Côte d’Azur einen Blackout, etwa anderthalb Millionen Haushalte waren betroffen. Um wenigstens zu fünfzig Prozent unabhängig zu werden, müsste der Staat bis 2030 rund 32 Milliarden Euro in erneuerbare Energien investieren – eine Summe, die dem gesamten Jahresetat der Region entspricht.

In Mouans-Sartoux ist die Rechnung allerdings aufgegangen. Noch 2019 war die Erwartung, dass die Solarpanels erst nach zwölf Jahren rentabel sein würden. Mit der Inflation und der Energiekrise werde dieses Ziel nun schon dieses Jahr erreicht, sagt Leduc. «Diese Energie kostet uns nichts. Null. Wir zahlen keinen Transport, keine Extrasteuern, keine Mehrwertsteuer … nur unsere ursprüngliche Investition.» Seit 2018 hat die Stadtverwaltung von Mouans-Sartoux mehr als 600 Städte in ganz Europa beraten, darunter auch Meyrin und Satigny im Kanton Genf.

Und auch die Mouansois:es scheinen überzeugt, über alle politischen Grenzen hinweg. In einer traditionell konservativ bis rechtsnational geprägten Region stimmten bei den letzten Lokalwahlen drei Viertel aller Wählenden der Stadt für das ökologische Programm von Pierre Aschieri, bei den letzten Präsidentschaftswahlen jedoch hauptsächlich für Emmanuel Macron (30 Prozent) und Marine le Pen (21 Prozent). Die Grünen holten dagegen nur 7,5 Prozent. Doch eine umweltfreundliche und nachhaltige Politik scheint hier für viele Menschen, jenseits von linkem oder rechtem Schubladendenken, wichtig zu sein.