Häuserkampf: An den Rand gedrängt

Nr. 22 –

Freiräume und bezahlbarer Wohnraum in den Schweizer Städten schwinden. In Winterthur trafen sich daher über das Pfingstwochenende Mieter und Besetzerinnen zu einem überregionalen Austausch.

Banner an der Fassade des besetzten Stefanini-Haus an der General-Guisan-Strasse in Winterthur
Seit mehr als einem Vierteljahrhundert besetzt: Stefanini-Haus an der General-Guisan-Strasse in Winterthur. Foto: Branko de Lang, Keystone

In den Schweizer Städten wird die Wohnfläche knapp, die Baulandpreise sind so hoch wie noch nie. Ideale Umstände für Besitzer, Investorinnen und Spekulanten, um Immobilienbestände aufzuwerten – und damit den günstigen Wohnraum in urbanen Gebieten faktisch zu verdrängen. Bezahlbare Wohnungen weichen privaten Überbauungen, jahrzehntealte Quartiere werden von Sanierungswellen überrollt. Die Bewohner:innen sind mit steigenden Mietpreisen konfrontiert, die sie häufig nicht zu bezahlen vermögen.

An kaum einem anderen Ort in der Schweiz sind die Fronten im Häuserkampf so klar definiert wie in Winterthur: Auf der einen Seite stehen die Bewohner und Besetzerinnen der Gebäude aus dem einstigen Besitz des 2018 verstorbenen Unternehmers und Kunstsammlers Bruno Stefanini, der zwischen 1950 und 1980 Hunderte Winterthurer Immobilien aufkaufte, um sie anschliessend verlottern zu lassen. Auf der anderen Seite steht die Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG), in deren Hände die Gebäude nach Stefaninis Tod übergingen. Sie will die wertvolle Baufläche in den nächsten zehn Jahren für rund eine Milliarde Franken aufwerten.

Gegen die Stadt der Reichen

Die SKKG besitzt damit nicht nur den letzten wirklich günstigen Wohnraum Winterthurs, sondern auch unzählige selbstverwaltete Liegenschaften, um die sich deren Bewohner:innen bereits seit Jahren und Jahrzehnten kümmern. Auch alle sieben besetzten Häuser der Stadt gehören der Stiftung, etwa die seit bereits 26 Jahren besetzte «Gisi». Es sind Vermächtnisse einer Bewegung, die durch den wirtschaftlichen Aufschwung der vergangenen zwei Jahrzehnte immer weiter in die Ecke gedrängt wurde. Seit fast zehn Jahren organisieren sich Bewohnerinnen und Benutzer der Stefanini-Liegenschaften aufgrund der drohenden Aufwertungspläne in einer Interessengemeinschaft, der IGBBSL. Auch die Besetzungen bilden mit der Häuservernetzung Winterthur einen losen Verbund, der mit der SKKG um eine Lösung ringt.

Es ist also kein Zufall, dass die überregionalen «Aktionstage gegen die Stadt der Reichen» über das Pfingstwochenende in Zürichs zweitgrösster Stadt stattfanden. Auf Einladung der Häuservernetzung trafen sich Mieterinnen, Besetzer und Aktivistinnen aus der ganzen Schweiz über vier Tage zu Vorträgen, Führungen, Theater und Konzerten.

Am Samstag, dem zweiten Tag der Veranstaltung, werden die Gesprächsrunden von grellen Sonnenstrahlen beleuchtet, die durch die Glasgiebel der Decke scheinen und in der Werkhalle im alten Busdepot Deutweg für eine beinahe unerträgliche Hitze sorgen. Es sind viele müde Gesichter zu sehen; die meisten hier waren bereits am Vorabend dabei, als zum Auftakt auf dem ehemaligen Sulzer-Areal demonstriert wurde. In dessen Wahrzeichen, dem rund hundert Meter hohen Sulzer-Hochhaus, liegt heute der Sitz der SKKG. «Vergesellschaften wir die SKKG und Co.!», lautet die Forderung der Winterthurer Häuservernetzung.

Im Innern der Halle erläutern Bewohnerinnen und Aktivisten aus Basel, Bern und Zürich ihre unterschiedlichen Strategien des Häuserkampfs. So etwa Vertreter:innen der Berner Kampagne «Unlock the City», die Freiräume, Besetzungen und Leerstände auf städtischem Gebiet dokumentiert und kartografiert. Oder aus Basel Bewohner:innen des Klybeckquartiers, die sich gegen die Grossüberbauung «Klybeckplus» wehren, und Besetzer:innen der «Elsi» an der Elsässerstrasse.

Kein Patentrezept

Dass die Diskussionen nach den Vorträgen eher schleppend in die Gänge kommen, dürfte nicht nur an der Hitze im Raum liegen. Es ist wohl auch Ausdruck davon, dass der Kampf um die letzten städtischen Freiräume ein zermürbender ist. So ist in manchen Gesichtern etwa ein leicht resigniertes Lächeln zu erkennen, als darüber gesprochen wird, wie Zwischennutzungsverträge heute durch Investor:innen und Stadtverwaltungen als Mittel der Kontrolle eingesetzt werden. Oder als eine Rednerin erwähnt, dass in Zürich mittlerweile auch die Auflagen für Zwischennutzungen so hoch seien, dass fast nur noch Besetzen infrage komme.

Rasch wird auch erkennbar, dass sich die unterschiedlichen Strategien nicht ohne Weiteres von der einen Stadt auf eine andere übertragen lassen. Besetzen oder verwalten? Legal oder illegal? Auch als die Frage aufkommt, inwiefern sich queerfeministische Anliegen und Arbeiter:innenkämpfe mit dem Kampf gegen die Gentrifizierung verknüpfen lassen, gibt es kaum abschliessende Antworten. Dafür wird vereinzelt Selbstkritik an der Bewegung geübt. «In der Szene gibt es oft ein gewisses Gatekeeping», sagt eine der Rednerinnen. «Das darf nicht sein, denn alle sollen besetzen dürfen.»

Durch den Aktionstag schwingt auch eine gewisse Nostalgie, die der Hochphase der Häuserbesetzungen vor rund dreissig Jahren nachtrauert. In einem kleinen Nebenraum stehen Plakate und Schaukästen zur Geschichte der Winterthurer Besetzer:innenszene. Noch in den Neunzigern gab es in der Stadt beinahe viermal so viele besetzte Häuser wie heute. Und obwohl es derzeit nötiger wäre denn je: Ein allgemeingültiges Patentrezept für erfolgreichen Häuserkampf wird auch an diesem Nachmittag im Busdepot nicht gefunden.