Erwachet!: Die Katze und das Weltall

Nr. 28 –

Michelle Steinbeck tauscht mit einem Tier

Sommerferien im Süden. Die Zikaden ratschen, die Katzen pennen, die paar Menschen im Wasser versuchen, mit den Händen den Schaumteppich auf der Oberfläche wegzuschaufeln. Das nahe liegende Piratenmottohotel beschallt nicht nur die umliegenden Hügel mit dem Sound von Piratenpartys – I’m blue, da ba dee da ba di –, es beschenkt auch die Strände der Umgebung mit seinen Abwassern.

Ich liege neben der Katze mit den gelben Augen unter dem Olivenbaum und versuche telepathisch, den Platz mit ihr zu tauschen, damit sie meine Arbeit übernehmen und ich weiter Siesta halten und sie mit meinen Haaren zum Niesen bringen kann.

Es funktioniert – auf etwas schmutzige Pfoten gebettet, habe ich den schönsten sadistischen Traum vom Quälen einer Riesenheuschrecke, während die Katze neben mir schniefend in die Tasten des verzweifelt lüftenden Laptops haut.

Als ich später wieder zu mir komme und den entstandenen Text lese, kann ich nur den Kopf schütteln. Er ist viel zu lang und mischt wissenschaftliche Erkenntnisse mit den krudesten Behauptungen. Offensichtlich ist er inspiriert von einem Artikel, den ich kürzlich meiner Ferienbegleitung vorgelesen habe. (Ich wusste, dass die Katze uns nachspioniert!) Zusammengefasst geht ihr Text etwa so:

«Der dumme Mensch pumpt so viel Grundwasser ab, dass sich die Erdachse um fast einen Meter verschoben hat. Die Umverteilung der Wassermassen aus dem Boden in die Weltmeere bringt den Planeten zum Kippen. Der dumme Mensch weiss das, aber je heisser es wird, desto mehr Wasser pumpt er. Der Klimawandel lässt auch die Gletscher schmelzen und noch mehr Massen verschieben. Die Meere werden zu schwer und der Erdkern zu leicht – der Globus beginnt zu wackeln, sich auszubeulen und zu verziehen, bis er schliesslich das Gleichgewicht verliert und aus seiner Halterung bricht. Dann fällt unsere Kugel durch das All, durch Dunkelheit und Eiseskälte, ungebremst auf ewig durch unbekannte Galaxien und schwarze Löcher. Vorbei an Sonnenstürmen, am Krieg der Sterne, an ganzen vernetzten Planetenkolonien, die belebt sind von hochintelligenten Katzenwesen, die vielleicht ein riesiges Netz aufspannen, um unsere lädierte Erde aufzufangen – wer weiss, vielleicht ist ja noch was damit anzufangen; für Ersatzteile, als Mülldeponie, Quarantäne- oder Gefängnisplanet, wer weiss.

Wir werden von all dem natürlich nichts mehr mitbekommen. Sobald die Erde ihre Achse gebrochen hat, wird die Gravitationskraft aufhören zu wirken: In Sekundenschnelle wird alles, was jetzt auf der Erde kreucht und fleucht, von der Oberfläche abspringen wie Flöhe von mit Flohmittel behandeltem Fell.

Ein bisschen dauert es noch bis dahin, aber nicht lange. Der dumme Mensch sagt derweil, der neue Rotationsachsenwinkel werde keine Auswirkungen auf die Jahreszeiten haben. Ha. Und was ist mit den Horoskopen? Dem Mondkalender? Der veränderte Winkel ist der Grund, wieso die Menschen offensichtlich ihre Haar- und ihre Nagelpflege nicht mehr im Griff haben und ihre Liebes- und Arbeitsleben im Chaos versinken. Und das ist der Grund, wieso ich Menschen nicht respektiere und das Meer nicht mit dem Schwanz anschaue. Es ist mir zu schwer. Oh, eine Heuschrecke –»

So endet der Text. Für eine Katze finde ich ihn doch recht erstaunlich.

Michelle Steinbeck ist Autorin mit Katzenallergie.