Urteil aus Strassburg: Für einen humanitären Schutzstatus

Nr. 28 –

Das Urteil legt offen, wie engherzig die Schweizer Asylpolitik ist. Es ist beschämend für eines der reichsten Länder der Welt. Und hoffnungsvoll für die 45 000 Menschen, die hier vorläufig aufgenommen sind: Sie haben zwar kein Asyl erhalten – die Rückkehr in ihr Herkunftsland gilt aber als unzumutbar.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in drei Fällen entschieden, dass die Schweiz bei Personen mit Status F das Menschenrecht auf Familienleben verletzt. Nach dem Gesetz müssen sie eineinhalb Jahre warten, um einen Antrag auf Familiennachzug stellen zu dürfen, und wirtschaftlich unabhängig sein. Die Richter:innen in Strassburg fordern nun, dass fern von pauschalen Kriterien jeder Einzelfall zu prüfen sei. Beispielsweise, ob sich eine Person bemüht hat, finanziell unabhängig zu werden, es aber nicht schafft, oder ob sie zu krank ist, um eine Lohnarbeit zu finden.

Rechtsexpert:innen sind sich einig, dass die Behörden ihre Praxis ändern und Gesuche um Familiennachzug differenzierter betrachten müssen. Ausserdem kann das Strassburger Urteil einer Diskussion über eine Umwandlung der vorläufigen Aufnahme in einen humanitären Schutzstatus Auftrieb verleihen. Denn nicht nur beim Familienleben sind Menschen mit Status F zu einem Leben im Dauerprovisorium verurteilt. Auch ihre Reise- und Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt. Und sie erhalten bloss reduziert Sozialhilfe, was sie in die Armut zwingt.

Wie ein humanitärer Schutz aussehen könnte, hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe kürzlich skizziert: Personen, die ihn zugesprochen bekommen, sollen anerkannten Geflüchteten rechtlich gleichgestellt werden. So soll es ihnen etwa möglich sein, ins Ausland zu reisen – ein Recht, das etwa den vielen Jugendlichen mit Status F heute verwehrt bleibt.

Ob sich nun etwas bewegt, hängt auch vom Ausgang der Parlamentswahlen ab. Verantwortlich dafür, dass der humanitäre Status vor einigen Jahren im Parlament scheiterte, war die FDP. Ein Grund mehr, warum diese Partei, die derzeit offen mit der SVP paktiert, im Herbst geschwächt werden muss.