Anti-SRG-Initiative: Flucht in die Küche

Nr. 33 –

Radio und Fernsehen sollen nur noch knapp halb so viel Geld erhalten wie bisher. Warum die neue rechte Initiative bedrohlicher für die SRG ist als die letzte.

 Kochkampf der Parteipräsident:innen auf SRF
Fun und Gemüse statt Fakten und Politik: Der sommerliche Kochkampf der Parteipräsident:innen auf SRF. Foto: Gian Vaitl, SRF

«Endstation Sozialismus» war der Titel der Tagung vor zehn Jahren. Sie war ein Klassentreffen der rechtslibertären Kräfte von Jung-SVP und Jung-FDP. Beim Bier verständigten sie sich darüber, wo in der Schweiz ebendieser Sozialismus hockt: im öffentlichen Radio und Fernsehen. Sie lancierten eine Initiative, um die von ihnen so genannten Zwangsgebühren abzuschaffen, über die sich die öffentlichen Medien finanzieren. Und scheiterten gewaltig: 2018 wurde die «No Billag»-Initiative mit rund 72 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt. Das «lockende Gift des Etatismus», wie ein Jungfreisinniger damals schrieb, hatte seine Wirkung getan. Der junge Mann hiess Nicolas A. Rimoldi, er sollte eine Coronapandemie später als Rechtsextremer die Schweizer Politik heimsuchen.

Es lohnt sich, diesen Anfang in Erinnerung zu rufen, nachdem letzte Woche Vertreter:innen von SVP und FDP eine neuerliche Anti-SRG-Initiative eingereicht haben. Sie verlangt praktisch eine Halbierung der Gebühren. Umgehend meldeten sich auch die Gegner:innen zu Wort, bereits haben sich 2400 Mitglieder in der «Allianz für Medienvielfalt» zusammengeschlossen. Sie warnen vor einer «No Billag 2» und beschwören erneut den nationalen Zusammenhalt durch die SRG. Bloss: Lassen sich die beiden Initiativen wirklich vergleichen?

Komplizierte Situation

Schaut man sich die Ausgangslage an, dürfte der Widerstand gegen die Anti-SRG-Initiative gleich aus vier Gründen deutlich komplizierter werden.

1. Das Establishment als Absender. Zwar waren auch die «No Billag»-Initiant:innen nicht nur Einzelmasken am rechten Rand: SVP-Financier Walter Frey etwa hat nie dementiert, dass er damals die Unterschriftensammlung mit 100 000 Franken unterstützte. Die neue Initiative kommt nun aber direkt aus der Parteizentrale der SVP, auch einzelne Nationalrät:innen der FDP bekennen sich dazu. Dass die SRG-Gegner:innen gar an den Schalthebeln der Macht sitzen, zeigt das Beispiel von Medienminister Albert Rösti: Er ist Mitglied im Komitee der Initiative und darf nun die bundesrätliche Botschaft dazu verantworten.

2. Alles schön pragmatisch. Die Initiant:innen haben aus dem ideologiegetriebenen Projekt «No Billag» gelernt. Statt über den Grundsatz der Gebühr soll lediglich über ihre Höhe abgestimmt werden. Konkret soll sie von heute 335 Franken pro Haushalt auf 200 Franken sinken. Firmen würden keine Abgabe mehr bezahlen. Das klingt pragmatisch-schweizerisch: Alle bezahlen weniger – und der Chef der Bude profitiert erst noch doppelt.

3. Das Scheitern der Medienförderung. Nach der überdeutlichen Ablehnung von «No Billag» wäre die Bahn frei gewesen für eine Medienförderung auch der privaten Konzerne, die sich in fast schon paranoider Konkurrenz zur SRG wähnen. Doch gleich zwei Anläufe scheiterten. Das Verhältnis zwischen Privaten und SRG bleibt ungeklärt, weiterer Zwist programmiert. Es entbehrt nicht der Ironie, dass sich der damalige Verlegerpräsident und TX-Group-Chef Pietro Supino bloss kleinlaut gegen «No Billag» einsetzte, um dann beim Medienförderungsgesetz selbst zur Zielscheibe der rechten Gegner:innenschaft zu werden («Medienmillionär»).

4. Das Stockholm-Syndrom. Als ob er sich bei seinen Gegner:innen andienen müsste, kündigte SRG-Generaldirektor Gilles Marchand nach der Ablehnung von «No Billag» ein Sparprogramm über hundert Millionen Franken an. Auch bei den Talkshows arbeitet man sich bei der Auswahl der Themen wie der Gäste an der Agenda der SVP ab. Viele Linke sind über diese Anbiederung verärgert (siehe WOZ Nr. 25/23). Dabei hat die Voto-Analyse im Nachgang zur «No Billag»-Abstimmung gezeigt: Je linker eine Person eingestellt ist, desto eher hat sie die Vorlage abgelehnt. Setzt SRF mit seinem duckmäuserischen Kurs die Unterstützung von links aufs Spiel?

Gelassenheit oben, Sorgen unten

So verzwickt diese Ausgangslage ist: Ruft man in der Chefetage von SRF an, spürt man erst einmal Gelassenheit. «Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass uns diese Initiative nicht anficht. Aber die Stimmung bei uns ist sehr ruhig», sagt TV-Chefredaktor Tristan Brenn. «Wir konzentrieren uns auf unsere journalistische Arbeit. Wenn wir täglich den Tatbeweis erbringen, warum es den Service public braucht, ist das die beste Antwort.» Noch sei die Abstimmung einige Jahre entfernt. Brenn gibt sich zuversichtlich, dass die Stimmberechtigten dannzumal nicht nur ans eigene Portemonnaie denken werden, sondern den Wert der öffentlichen Medien als «Infrastruktur für die Demokratie» höher gewichten.

Den Vorwurf, man diene sich im Programm den Rechten an, weist Brenn mit dem Modewort der Polarisierung zurück: «Die Kritik kommt von rechts wie von links. Es gehört zum Service public, alle Meinungen abzubilden.» Auf den Einwand, dass es nun doch einen Unterschied bedeute, ob man die Zusammensetzung von Talkshows für einseitig halte oder die Existenzberechtigung der öffentlichen Medien infrage stelle, meint er: «Wir sind bei der Gewichtung der Meinungen bei Abstimmungsvorlagen zur Ausgewogenheit verpflichtet. Wenn die SVP als einzige Partei gegen das Klimagesetz ist, bekommt sie aufgrund unserer Vorgaben zwangsläufig mehr Platz.» Eine innovativere Talkshow, die nicht dauernd Miniparlament spielt wie die «Arena», ist gemäss Brenn keine geplant.

Beunruhigter als in der Chefetage gibt man sich beim Bodenpersonal. Mit der Einreichung der «No Billag»-Initiative hätten die SRG-Angestellten um ihre Daseinsberechtigung gebangt, sagt Margarita Lajqi von der Mediengewerkschaft SSM. «Dann folgten trotz der hohen Ablehnung heftige Einsparungen mit Entlassungen.» Neue Aufgaben würden heute von Freelancer:innen mit unsicheren Verträgen übernommen. «Die verbliebenen Festangestellten müssen abrupte Umstrukturierungen mitmachen.» Mit der Preisgabe von dezentralen Standorten sei eine flächendeckende Berichterstattung kaum mehr möglich. Eine Annahme der neuen Anti-SRG-Initiative würde den Abbau extrem beschleunigen: «Ein grosser Stellenabbau wäre die unvermeidliche Konsequenz.»

Bei der SRG rechnet man damit, dass die Initiative zu einer Senkung des Budgets von 1,2 Milliarden auf 700 Millionen Franken führen würde. Casper Selg kann beurteilen, was das für den Informationsjournalismus hiesse. Er arbeitete 35 Jahre für die Infosendungen am Radio, leitete das «Echo der Zeit». Selg verweist auf den aktuellen SRG-Geschäftsbericht. Demnach machen die Sparten Information und Kultur sechzig Prozent der Kosten aus. «Wenn man, wie von den Initiant:innen vorgeschlagen, Unterhaltung und Sport wegliesse, müssten Information und Kultur immer noch mit Dutzenden Millionen bluten.» Fielen Quotenrenner etwa beim Sport weg, reduzierte sich das Publikum zudem rapide, was wiederum die Werbeeinnahmen drastisch sinken liesse.

«Halbierung ist Zerschlagung»

Für Selg, der sich auch in der Allianz für Medienvielfalt engagiert, ist klar: Die Ausgangslage ist zwar schwieriger als bei «No Billag» – doch der Effekt der neuen Initiative der gleiche. «Das ist der Anfang einer Abwärtsspirale, die nicht mehr zu stoppen sein wird. Wir reden letztlich wieder von Abschaffung. Nicht mehr sofort, aber sehr bald.» Diese Sichtweise teilt SP-Medienpolitiker Jon Pult: «Eine Halbierung der SRG bedeutet ihre Zerschlagung. Die Initiative richtet sich gegen alle Werte, die für eine aufgeklärte Bürger:innenschaft wichtig sind.» Die Folge wäre eine postfaktische Gesellschaft. «Darauf zielen die autoritären Kräfte weltweit ab.» Dennoch ist Pult zuversichtlich, dass die Anti-SRG-Initiative scheitern wird: «Nach der Initiative zur Armeeabschaffung gab es auch eine zu ihrer Halbierung. Sie wurde ebenfalls abgelehnt.»

Die Aussagen zeigen: Bis zur Abstimmung kommen auf die Schweiz weitere Jahre einer unerspriesslichen Mediendebatte zu. Die SRF-Chef:innen dürften sich in Vorsicht üben, die Beschäftigten müssen unter zermürbendem Druck weiterarbeiten, in der Politik werden die grossen Schlachten um Sein oder Nichtsein des Service public geschlagen. Und was läuft derweil im Programm auf SRF? Die Parteispitzen haben sich über den Sommer zu Kochduellen getroffen. Vielleicht ist eine postfaktische, entpolitisierte Gesellschaft näher als vermutet.

Was muss sich bei SRF ändern? Schreiben Sie es uns unten hin!

WOZ Debatte

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Kommentare

Kommentar von dogistan

Mi., 16.08.2023 - 20:18

(Disclaimer: Folgende Einschätzung bezieht sich aufs Fernsehen SRF, nicht aufs Radio)

Unterhaltung: Wer schaut das noch an mit einer stat. Lebenserwartung >10 Jahre?
Sport: Grossteil der Redaktion entlassen, Qualitätssteigerung durch Stummheit (bes. bei Identitäts-Komplex-Rufer)
Börse: Pure Propaganda
Wirtschaftssendungen inkl. Wef-/Sef-Hofberichterstattung: Propagandistisch allein durch Framing
Tagesschau/10vor10: Bemühung um Relevanz erkennbar. Gar nicht so schlecht, auch wenn Bothsideism manchmal fast in Karikatur kippt. Und dann schneit plötzlich der Extremismus-Clown Glauser ins Bild oder der "Experte" Oertli wird befragt und man stellt sich doch ein paar Fragen zur "Qualität" ...
Arena: Jesus Christ

Fazit: Gäbe einiges an Spar- (oder Verbesserungs)potential, andererseits schon klar, dass die Libertären Blocher TV mit Reichweite wollen, von daher pragmatischen Nein (aber hart an der Grenze des im Rahmen des Pragmatismus aushaltbaren)

Kommentar von umlaut2

Do., 17.08.2023 - 14:18

Sternstunde beim TV-Expertentum ist auch jeweils jener Moment im Kalenderjahr, wenn säller Comparis-Chef über die Gründe für steigende Krankenkassenprämien labern darf und gemeinsam mit dem 10vor10-Heini den Elefant im Raum genüsslich ignoriert.

Kommentar von heinz abler

Do., 17.08.2023 - 10:52

Ein weiteres Mal sollen die Gebühren gesenkt werden, solange bis ein qualitativ akzeptabler Betrieb nicht mehr gewährleistet werden kann. Dies nachdem man einerseits schon jetzt in vorauseilendem Gehorsam längst auf die Sparbremse tritt. Und anderseits zuweilen programmatisch in eine schwer erträgliche Heimatseligkeit verfällt, als ob die Pflege der angeblich so gequälten SVP-Seele im Leistungsauftrag festgeschrieben wäre. Die stramm rechtsbürgerlich eingestellten Initiant:innen werden sich ohnehin nicht von der eingebrannten Idee abbringen lassen, bei der SRG handle es sich um einen linksgewickelten Ideologisch verseuchten Staatsbetrieb mit der Lizenz zur Verbreitung von grünrot eingefärbten Halbwahrheiten. Allerdings könnte das schreckhafte Verhalten der SRG gegenüber dem Beschuss mit Platzpatronen von rechts dazu führen, dass ihre linken Verteidiger:innen auch noch von der Fahne gehen und in ihrer Verzweiflung einer solchen Initiative zustimmen, weil es für sie nichts mehr zu verteidigen gibt.

Kommentar von Moritz Zimmer

So., 20.08.2023 - 16:25

Ich finde es richtig und wichtig, dass ihr gegen die Halbierungs-Initiative anschreibt und mit Kennern sprecht. (Leider kommen sie mehrheitlich aus den Umfeld der SRG, aber fair engough. Vielleicht meldet sich hier noch jemand Unabhängiger vom Fach zu Wort.)

Ich denke jedoch, dass ARTE ein gutes Vorbild für ein demokratiepolitisch wertvolles Format sein könnte, dass Vorbildcharakter haben könnte. Denn das Argument, dass es trashige, aufwendig produzierte Kochsendungen, Krimis, Reality-TV-Shows, Quizsendungen u.v.m. braucht — von Millioneninvestiotionen in offensichtlich mafiöse Strukturen weltweit operierender Sportrechteverkäufer abzusehen — um jene Zuschauer:innnen bei Stange zu halten, die sich für die demokratischen Prozesse interessieren, dünkt mich nach meiner Erfahrung weit hergeholt: Es ist ein nicht zu vernachlässigender Fakt, dass heute "postfaktische" Quellen und weiterer Trash nur ein Knopfdruck auf der Fernbedienung oder ein Tapser auf dem Second Screen entfernt sind. Und wie der ungebrochene Erfolg dieser (neuen) Medien beweist, dürfte die SRG mit ihren Produktionen wenig dagegen auszurichten haben.

Es stellen sich Fragen wie:

• Weshalb braucht ein öffentlich rechtliches Medium für Politik, Gesellschaft und Kultur irrelevante Formate?
• Haben diese nicht vorwiegend die Aufgabe werbetreibende Kunden — über den Umweg der Einschaltquoten — bei Stange zu halten?
• Nutzen an diesen gesellschaftlich wichtigen Themenfeldern interessierte Zuschauer:innen und Hörer:innen tatsächlich SRF, weil sie mit einem Wust an demokratiepoltisch mehr als fragwürdigem Trash und Bullshit-"Politik"-Talkshows umgarnt werden?
• Vertreibt die SRG mit ihren Trash-Formaten, Sportklamauk und ihrem staatlichen Werbevolumen nicht ausgerechnet jene Zuschauer:innen, die gerne als Legitimation für deren in heutiger Form bestehendes Programm herhalten müssen?
• Was, wenn man der SRG sowohl Werbung wie gesellscftliche irrelevante Themenfelder entzieht und sie ausschließlich über Gebühren und stattliche und zivil gesellschaftliche Zuschüsse finanziert?
• Würde das der SRG nicht Freiraum für eine Gesundschrumpfung auf ausschliesslich politisch, gesellschaftlich und kulturelle relevante Themenfelder verschaffen?

Viel Fragen, keine Antworten; Damit beginnt jeder kritisch wertvolle Diskurs politischer Themen. Vielleicht dienen sie der WoZ oder den Kommentarspaltenleser:innen ja als Impuls für neue Betrachtungen medienpolitischer Funktionsweisen und Visionen — anstatt auf in meinen Augen längst überholten Argumentslinien zu surfen, die die Libertäre noch so gerne vorspurt.