Neofaschismus in Italien: Bereit für die angeblich drohende Konfrontation

Nr. 2 –

Die rechte Regierung von Giorgia Meloni behauptet eine Zuspitzung der sozialen Konflikte im Land. Mit einer Reihe repressiver Massnahmen stellt sie sich darauf ein – und lässt sich dabei von Gesetzen aus der Zeit der Diktatur inspirieren.

Nicht nur ideologisch greift Italiens regierende Rechte immer wieder auf das faschistische Erbe zurück (siehe WOZ Nr. 44/23). Auch beim repressiven Umbau des Staatsapparats holt sie sich Anregungen beim «Ventennio», den mehr als zwanzig Jahren der Diktatur von 1922 bis 1945. So scheint ein Artikel, den sie dem Strafgesetzbuch hinzufügen will, direkt inspiriert vom 1931 eingeführten Codice Rocco, benannt nach Benito Mussolinis Justizminister Alfredo Rocco.

Darauf verweist Patrizio Gonnella, Jurist und Präsident der Vereinigung Antigone, die sich für die Rechte von Strafgefangenen einsetzt. Gonnellas Kritik richtet sich gegen den angekündigten Straftatbestand der Gefängnisrevolte. Nicht nur Gewalt gegen Vollzugsbeamte, auch passiver Widerstand oder Ausbruchsversuche sollen fortan als Akte der «Revolte» gelten und mit maximal acht Jahren zusätzlicher Haft bestraft werden. Ähnliches droht auch Geflüchteten, die sich gegen die Zustände in Abschiebezentren zur Wehr setzen.

Sieben Jahre Haft für «Drohungen»

Die Lebensbedingungen in vielen hoffnungslos überfüllten italienischen Gefängnissen provozieren täglich Widerstand. Offiziell fehlen 10 000 Haftplätze. Mancherorts mangelt es sogar an Decken und Sitzgelegenheiten. Vergangenes Jahr wurden landesweit 67 Suizide von Gefangenen gezählt. Fast ein Drittel der Häftlinge sitzen wegen Drogendelikten, viele von ihnen sind sehr jung. Nach dem Willen der Regierung sollen auch Kinder künftig leichter in Untersuchungshaft genommen werden können.

Systematisch bereitet sich Giorgia Melonis Regierung darauf vor, der zu erwartenden Zuspitzung sozialer Konflikte durch mehr Repression zu begegnen. Das zeigt ihr im November vorgelegtes «Sicherheitspaket», eine Sammlung von Strafverschärfungen, neu eingeführten Straftatbeständen und mehr Befugnissen für die Sicherheitskräfte. So dürfen Polizist:innen künftig auch privat Schusswaffen tragen. Längere Strafen gibt es für Widerstand gegen die Staatsgewalt und die Bemalung von Kasernen oder Polizeigebäuden mit Parolen. Wenn Inschriften zum Widerstand in Gefängnissen oder Sammelunterkünften aufrufen, erfüllen sie den Tatbestand der Beteiligung an einer Revolte.

Besonders auffällig sind etliche verschärfte Massnahmen gegen Aktionen zivilen Ungehorsams und politischen Protest: Hausbesetzer:innen, die «Gewalt oder Drohungen» anwenden, können bis zu sieben Jahre eingesperrt werden. Strassenblockaden sollen nicht mehr als Ordnungswidrigkeiten, sondern als Straftaten bewertet werden; dafür werden dann zwischen sechs Monate und zwei Jahre Haft fällig.

«Waffen und Muskelkraft»

Auf die Frage eines Reporters, ob er denn Angst vor sozialen Spannungen habe, antwortete Justizminister Carlo Nordio von Melonis neofaschistischer Partei Fratelli d’Italia (FdI): Angst habe er keine, aber der Staat müsse auf alles vorbereitet sein. Die grüne Abgeordnete Luana Zanella warf dem Justizminister vor, er setze allein auf «Bestrafung, mehr Waffen, mehr Repression, mehr Zurschaustellung von Muskelkraft». Auch viele Strafverteidiger:innen protestierten.

Derweil hat das Kassationsgericht eine weitere Gruppe mutmasslicher Staatsfeind:innen ausfindig gemacht: Aktivist:innen der «No TAV»-Bewegung, die mit militantem Widerstand den Bau der Trasse für einen Hochgeschwindigkeitszug zwischen Turin und Lyon verhindern wollen. Das sei «bewaffneter Kampf», befand das Gericht – und machte damit aus einer «kriminellen» eine «subversive» Vereinigung. Der Prozess gegen 26 «No TAV»-Aktivist:innen soll im September mit dieser absurden Anklage fortgesetzt werden. Eine abschreckende Wirkung hat das Urteil aber schon jetzt, auch auf jene, die sich auf gewaltfreien Protest beschränken. Dazu zählen Mitglieder der Klimagerechtigkeitsbewegung Ultima Generazione: aus Sicht der Regierung «Öko-Vandalen». In einem Erlass des Innenministeriums zum Jahreswechsel werden sie mit Terrorist:innen auf eine Stufe gestellt.

Verfassung soll umgebaut werden

Die Regierung geht nicht zuletzt auch gegen die Gewerkschaften vor, traditionell Feinde der Rechten. Mehrfach hat sie per Dekret die bewilligte Dauer von Streiks von acht auf vier Stunden reduziert. Auch Angriffe auf die Unabhängigkeit der Justiz, ein rechter Standard seit Silvio Berlusconis Einmarsch in die politische Arena, häufen sich. In einem Interview mit dem «Corriere della Sera» lamentierte Verteidigungsminister Guido Crosetto (FdI) über die «einzige Kraft», die seiner Regierung gefährlich werden könne: die «juristische Opposition» – regierungskritische Richterinnen und Staatsanwälte, von denen im Vorfeld der Europawahlen im Juni heftige Attacken zu erwarten seien. Nach entrüsteten Reaktionen sprach Crosetto von einem Missverständnis – und von einem «Erschiessungskommando», das es auf seine Person abgesehen habe.

Sich selbst zum Opfer zu machen, ist seit jeher Bestandteil rechter Rhetorik. Dieses Leitmotiv zog sich auch durch Melonis dreistündige Pressekonferenz am 4. Januar. Und um nicht länger Opfer zu sein, müsse man sich zur Wehr setzen, auch gegen «fremde Mächte», die Italien kleinhalten wollten und deswegen eine migrantische «Invasion» organisieren würden. Damit soll jetzt Schluss sein. Anfang November hat Meloni persönlich einen Deal mit Albanien abgeschlossen. Dort sollen im Frühjahr zwei Lager für Geflüchtete entstehen. Werden ihre Asylgesuche abgelehnt, sollen sie umgehend in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Oppositionspolitiker:innen befürchten ein italienisches Guantánamo, Meloni dagegen schwärmt von einem Abkommen «im europäischen Geist». Womit sie – siehe den im Dezember geschlossenen europäischen «Asylkompromiss» – leider nicht ganz unrecht hat.

Mehr Probleme bereitet das, was Meloni «die Mutter aller Reformen» nennt: der autoritäre Umbau der Verfassung. Mit dem «Premierato», der Direktwahl des oder der Ministerpräsident:in, bekomme Italien endlich eine stabile Regierung, deren Zusammensetzung dem Mehrheitswillen am Wahltag entspreche; während der fünfjährigen Legislaturperiode sollen Koalitionswechsel und Kabinette unter der Leitung parteiloser Technokrat:innen nicht mehr möglich sein – die vollendete Demokratie!

Bei näherer Betrachtung wird allerdings exakt das Gegenteil sichtbar. Die von der rechten Koalition jetzt auf den Weg gebrachte Verfassungsänderung schränkt die Rechte des Parlaments und des über den Parteien stehenden Staatspräsidenten drastisch ein. Um die Mehrheitsverhältnisse stabil zu halten, soll die in Wahlen siegreiche Listenverbindung 55 Prozent der Sitze in beiden Kammern bekommen – auch wenn sie nur eine relative Mehrheit der Stimmen erreicht hat. Das wäre noch kein Faschismus. Aber die Summe der repressiven Verschärfungen als Staatsfaschisierung zu bezeichnen, ist keine Übertreibung.