Klimawandel: Vom Prinzip der Solidarität

Nr. 51 –

Die Logik des kapitalistischen Systems zerstöre die Erde, sagt Boliviens Präsident Evo Morales und fordert die Industriestaaten auf, ihre Versprechungen einzuhalten.


Schwestern und Brüder, heute ist unsere Mutter Erde schwer krank. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts haben wir die heissesten Jahre des letzten Jahrtausends erlebt. Die globale Erwärmung verursacht abrupte Wetterveränderungen mit katastrophalen Folgen: den Rückgang der Gletscher und das Abschmelzen der Polarkappen; den Anstieg des Meeresspiegels und die Überschwemmungen der Küstengebiete; das Wachstum der Wüsten und die Abnahme der Süsswasservorräte; immer mehr und stärkere Naturkatastrophen sowie das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten.

Dies alles hat 1750 mit der Industriellen Revolution begonnen. In nur zweieinhalb Jahrhunderten haben die sogenannten entwickelten Staaten einen grossen Teil der fossilen Brennstoffe aufgebraucht, die zuvor in über fünf Millionen Jahren entstanden sind.

Es ist die Logik des kapitalistischen Systems mit der Gier nach Gewinn ohne Ende, die den Planeten zu zerstören droht. Im Kapitalismus sind wir nicht Menschen, sondern KonsumentInnen. Für den Kapitalismus gibt es keine Mutter Erde, sondern nur Rohstoffe. Der Kapitalismus ist die Ursache von Ungleichheiten in der Welt. Er schafft Luxus für einige wenige, während Millionen an Hunger sterben. In den Händen des Kapitalismus verwandelt sich alles in eine Ware: das Wasser, die Erde, das menschliche Genom, die uralten Kulturen, die Justiz, die Ethik, der Tod und selbst das Leben. Alles, absolut alles, ist zu kaufen und zu verkaufen im Kapitalismus. Selbst der Klimawandel wird dabei zu einer Ware.

Mit der Unterzeichnung des Kioto-Protokolls von 1997 haben sich die Industrienationen und die Schwellenländer dazu verpflichtet, ihren Ausstoss an Treibhausgasen um mindestens fünf Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken. Dieses Ziel sollte durch die Umsetzung verschiedener, vor allem vom Markt dominierten Mechanismen erreicht werden. Bis zum Jahr 2006 hatte der Ausstoss der Treibhausgase in Relation zu 1990 allerdings um 9,1 Prozent zugenommen. Die Marktmechanismen haben keine massgebliche Reduktion der Emissionen erreicht. Dies zeigt, dass der Markt weder dazu fähig ist, das globale Finanz- und Produktionssystem zu regulieren, noch den Ausstoss der Treibhausgase zu begrenzen. Der Markt schafft einzig neue Gelegenheiten für Geschäftemacherei von InvestorInnen und Konzernen.

Während die USA und die EU den Banken 4100 Milliarden US-Dollar zugesprochen haben, um diese aus einer Krise zu retten, die von den Banken selbst verursacht worden ist, erhalten Programme gegen den Klimawandel nur 13 Milliarden US-Dollar.

Hinzu kommt, dass diese Mittel unfair verteilt werden. Es wird wesentlich mehr Geld dafür eingesetzt, die Emissionen zu reduzieren (Abschwächung), als die Folgen des globalen Klimawandels zu verringern (Adaptierung), unter denen alle Länder leiden. So fliesst der Hauptanteil der Gelder für Sanierungs- und Entwicklungspläne genau in jene Staaten, welche die Umwelt am stärksten verschmutzt haben.

Gleichzeitig bleiben die Versprechungen für Technologietransfers und für die Finanzierung von Programmen zur nachhaltigen Entwicklung in den Ländern des Südens reine Worthülsen. Wir müssen also beim nächsten Klimagipfel in Kopenhagen einen grossen Schritt vorwärts machen, wenn es uns gelingen soll, Mutter Erde und die Menschheit zu retten. Zu diesem Zweck mache ich folgende Vorschläge:

Strukturelle Ursachen

1) Es braucht eine Debatte über die strukturellen Ursachen des Klimawandels. Solange wir nicht das kapitalistische System aufgeben und es gegen ein System tauschen, das auf Solidarität, Gemeinschaft und Harmonie zwischen Mensch und Natur basiert, bleiben alle unsere Massnahmen wirkungslose und gefährliche Symptombekämpfung. Für uns, die indigenen Völker, ist das Modell des «Besser Leben» gescheitert. Wir glauben nicht an die rein an Wachstum orientierte Vorstellung von Fortschritt und die unbegrenzte und grenzüberschreitende Entwicklung auf Kosten anderer und der Natur. Aus diesem Grund sprechen wir stattdessen vom «vivir bien», vom guten Leben in Harmonie mit anderen Menschen und mit der Mutter Erde.

2) Die entwickelten Staaten müssen ihr Konsumverhalten kontrollieren und Schluss machen mit dem Luxus, der Verschwendung und dem exzessiven Brennstoffverbrauch. Subventionen für fossile Brennstoffe müssen abgeschafft und stattdessen alternative und umweltfreundliche Energien entwickelt werden: die Sonnenergie, die Erdwärme, die Wind- und Wasserkraft.

3) Die sogenannten Biotreibstoffe stellen keine Alternative dar, da sie die Produktion für Brennstoffe über die Produktion von Lebensmitteln stellen. Sie weiten die Agrarproduktion aus und zerstören dadurch die Wälder und die Biodiversität. Sie lassen Monokulturen entstehen, begünstigen die Landkonzentration in den Händen weniger, verschlechtern die Bodenqualität, erschöpfen Wasserressourcen, treiben die Preise für Nahrungsmittel in die Höhe und führen häufig zum Konsum von noch mehr Energie.

Zusagen einhalten

4) Die Industrienationen müssen ihre Verpflichtung zur Reduktion der Treibhausemissionen um mindesten fünf Prozent unter das Niveau von 1990 bis zum Jahr 2012 strikt einhalten. Es ist nicht akzeptabel, dass dieselben Staaten, die in der Vergangenheit den Planeten verschmutzt haben, nun Versprechen für noch mehr Reduktionen in der Zukunft abgeben, ohne sich an ihre gegenwärtigen Verpflichtungen zu halten.

5) Die Industrienationen müssen neue Mindestverpflichtungen eingehen und eine Reduktion der Treibhausgase um vierzig Prozent bis 2020 und um neunzig Prozent bis 2050 anstreben, ausgehend vom Stand der Emissionen von 1990. Diese Reduktion muss in den Staaten selbst umgesetzt werden und kann nicht durch flexible Marktmechanismen wie mit dem Handel von Emissionszertifikaten erreicht werden. Entsprechend müssen wir Systeme zur Kontrolle, Messung und Dokumentation entwickeln, die transparent und für die Öffentlichkeit zugänglich sind.

6) Jene Entwicklungsstaaten, die in der Vergangenheit nicht zur Verschmutzung der Umwelt beigetragen haben, müssen ihren Raum auch weiter schützen dürfen sowie eine alternative und nachhaltige Entwicklung umsetzen können, die nicht die Fehler der wilden Industrialisierung wiederholt. Um diesen Prozess zu unterstützen, sind diese Staaten unbedingt auf einen Finanz- und Technologietransfer angewiesen.

Ökologische Schulden

7) Die Industrienationen müssen ihre historisch bedingten ökologischen Schulden anerkennen und für die Entwicklungsstaaten einen «Integrierten Finanzmechanismus» schaffen, der folgende Punkte unterstützt: Sanierungspläne und Programme zur Reduktion der Emissionen wie auch der Folgen des Klimawandels müssen umgesetzt werden; Technologien müssen entwickelt und transferiert werden; auf Naturkatastrophen, die vom Klimawandel ausgelöst sind, muss besser reagiert werden; nachhaltige und umweltfreundliche Entwicklungspläne müssen realisiert werden.

8) Um tatsächlich wirksam sein zu können, muss dieser «Integrierte Finanzmechanismus» auf finanzielle Zuwendung in der Höhe von mindestens einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Industriestaaten zählen können. Zudem muss er Beiträge erhalten aus Abgaben auf Erdöl und Erdgas, auf Finanztransaktionen, auf Meeres- und Lufttransporte sowie auf die Profite der transnationalen Konzerne.

9) Diese Beiträge der Industrienationen müssen zusätzlich geleistet werden und dürfen nicht Teil der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit, bilateralen Förderung oder Hilfsleistungen von Organisationen sein. Jede Form der finanziellen Hilfe ausserhalb der Klimarahmenkonvention der Uno (UNFCCC) kann nicht als Erfüllung der Verpflichtung der Staaten im Rahmen der Konvention betrachtet werden.

10) Diese Geldmittel müssen direkt den Plänen oder nationalen Programmen der einzelnen Staaten zugute kommen und dürfen nicht gemäss der Logik des Marktes verteilt werden.

11) Die Geldmittel dürfen nicht nur an einige wenige Industriestaaten verteilt werden, sondern müssen vor allem jenen Staaten zugute kommen, die weniger Treibhausgase freisetzen, die die Natur erhalten und welche vor allem unter den Folgen des Klimawandels zu leiden haben.

12) Der weitreichende finanzielle Mechanismus muss von der Uno verwaltet werden und nicht vom Globalen Umweltfonds oder von anderen Finanzvermittlern wie der Weltbank oder regionalen Entwicklungsbanken; die Leitung muss sich kollektiv, transparent und unbürokratisch verhalten. Sämtliche Entscheidungen müssen zudem gemeinsam von allen Mitgliedstaaten - besonders den Entwicklungsländern - getroffen werden und nicht nur von den Geberstaaten.

Technologietransfer

13) Sämtliche Innovation und technische Entwicklung im Bezug auf den Klimawandel muss lizenzfrei sein und darf nicht unter einem privaten monopolistischen Patentregime stehen.

14) Jedes Produkt aus öffentlich finanzierter Innovation und technischer Entwicklung muss lizenzfrei und für alle Entwicklungsstaaten zugänglich sein.

15) Das System der freiwilligen oder zwangsweisen Freigabe von bereits bestehenden Lizenzen muss gefördert und verbessert werden, damit alle Staaten gratis Zugang dazu haben. Industrienationen sollten ihre Patente und Rechte an geistigem Eigentum nicht als etwas behandeln dürfen, das es mit allen Mitteln zu verteidigen gilt.

16) Das Handeln und Denken in Harmonie mit der Natur, das die indigenen Völker praktizieren, muss wieder belebt und gefördert werden, da es sich über Jahrhunderte hinweg als sehr nachhaltig erwiesen hat.

Mithilfe von allen

17) Programme, Pläne und Aktionen zur Verringerung der Folgen des Klimawandels sollen unter Mithilfe der lokalen Gemeinschaften und der indigenen Völker gefördert werden. Das beste Mittel, den Herausforderungen durch den Klimawandel zu begegnen, sind nicht Marktmechanismen, sondern der Einsatz von motivierten und gut organisierten Menschen, die über eine kulturelle Identität verfügen.

18) Die Reduktion der Emissionen, die durch Abholzung und Schädigung des Waldes entstehen, muss auf einem Mechanismus der direkten Kompensation zwischen den Entwicklungsländern basieren. Die lokalen Gemeinschaften müssen daran beteiligt sein. Es braucht zudem transparente und öffentlich zugängliche Mechanismen zur Kontrolle, Dokumentation und Verifizierung.

19) Wir brauchen eine weltweite Organisation für den Schutz der Umwelt und des Klimas, der die weltweiten Handels- und Finanzorganisationen untergeordnet sind. So wäre es möglich, umweltfreundliche und lösungsorientierte alternative Modelle zu fördern. Diese Organisation muss zudem über effiziente Methoden verfügen, durch die sie nachfassen, verifizieren und sanktionieren kann, um sicherzustellen, dass heutige und zukünftige Vereinbarungen auch eingehalten werden.

20) Es ist unabdingbar, die Welthandelsorganisation, die Weltbank, den Internationalen Währungsfonds und das gesamte internationale Wirtschaftssystem einer strukturellen Anpassung zu unterziehen. Nur so kann in Zukunft ein fairer und sich ergänzender Handel garantiert werden. Und nur so kann ohne Bedingungen eine nachhaltige Entwicklung finanziert werden, die Verschwendung vermeidet.

Die Menschheit ist fähig, die Erde zu retten, aber nur, wenn wir uns auf die Prinzipien der Solidarität und der ergänzenden Harmonie mit der Natur besinnen - und uns lossagen von der Herrschaft des Wettbewerbs, des Profitdenkens und des ungezügelten Konsums der natürlichen Ressourcen.


Evo Morales

Juan Evo Morales Ayma ist seit Januar 2006 Präsident von Bolivien. Er ist der erste Angehörige einer indigenen Bevölkerungsgruppe, der dieses Amt in Bolivien bekleidet. Er schrieb den vorliegenden Text anlässlich des Uno-Klimagipfels in Poznan. Die vollständige Fassung (auf Englisch) finden Sie unter dem Titel «Save the planet from capitalism» auf der Webseite: www.zcommunications.org/zspace/evomorales sowie (auf Spanisch) unter www.earthpeoples.org.