Fussballrandale: Gute Fans, böse Fans

Nr. 44 –

Während der Fussball-WM feierten die deutschen Fans vor allem sich selber, aber jetzt wird in manchen Stadien wieder gehetzt. Eine Studie hat neue Schubladen entdeckt, in die die Fans gesteckt werden können, und der Fussballbund richtet eine «Taskforce» ein.

Jetzt, da die deutschen Fussballfans mal wieder ihre hässliche Fratze zeigen und sich nicht mehr auf ein fröhliches Dauerjubeln in den Farben Schwarz, Rot und Gold beschränken, ist die Aufregung beim Deutschen Fussball-Bund (DFB) gross. Im September rassistische Schmährufe in Rostock gegen den Schalke-Nationalspieler Gerald Asamoah, einen Monat später in Aachen Ausfälle gegen Spieler der Alemannia und die Gäste aus Mönchengladbach, am vergangenen Wochenende antisemitische Sprechchöre von Dresdner Fans bei einem Gastspiel in Berlin, fremdenfeindliche Gesänge in den unteren Ligen - die Aufzählung liesse sich fast beliebig weiterführen.

Die fröhliche Zeit der Fussballweltmeisterschaft, zum «Sommermärchen» filmisch verklärt, ist endgültig vorbei. Die deutschen Fussballstadien entwickeln sich zu No-go Areas für ausländische Kicker, vor allem dann, wenn sie keine weisse Hautfarbe haben. Während sich der DFB an den öffentlichkeitswirksamen Bildern der WM-Fanmeilen bis in den kühlen Herbst hinein nicht sattsehen konnte, hatten sich die Fans der rechtsradikalen Szene längst strategisch auf die neue Spielzeit vorbereitet. Beim Europameisterschafts-Qualifikationsspiel in Bratislava gegen die Slowakei zeigten rund 400 deutsche Männer ohne Scheu zwei Reichskriegsflaggen und skandierten gegenüber den slowakischen Gastgebern «Zicke zack Zigeunerpack». Fast hilflos registrierten die deutschen Elitekicker und Funktionäre diese unerwünschten Mitreisenden, die sich doch so erschreckend deutlich von dem zwölften Mann oder der zwölften Frau bei der Weltmeisterschaft unterschieden. Was soll man dazu noch sagen? Die Standardfloskeln, wie sie von den deutschen Spielern nach dem Spiel in der Slowakei in Richtung der rechtsradikalen Fangemeinde abgespult wurden («Das sind keine Fans») sind zwar gut gemeint, aber nicht sehr wirksam. Und - wer oder was sind überhaupt Fans oder gar «echte Fans»?

Fans sind keine homogene Gruppe. Das meint Günter A. Pils. Der Professor hat das in seiner vorigåe Woche veröffentlichten Studie nachgewiesen. Mehr als 615 Seiten umfasst das vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft in Auftrag gegebene Werk mit dem Titel: «Wandlungen des Zuschauerverhaltens im Profifussball - Notwendigkeiten, Möglichkeiten und Grenzen gesellschaftlicher Reaktionen». Nach fünfzehn Jahren hat Deutschland also mal wieder eine Fanstudie. Der Titel deutet es bereits an: Die Fanszene in den Stadien hat sich in den vergangenen Jahren nachhaltig verändert. Und es gibt neue Schubladen, in die SportsoziologInnen, Vereins- und VerbandsfunktionärInnen und Fanbeauftragte die Fans hineinstecken können. Ob die Fans damit besser zu erklären und zu begreifen sind, sei dahingestellt. Sicher ist, dass die simplen Kategorien der «guten» Fans, die sich nur für den reinen Sport interessieren und dabei friedfertig bleiben, und der schlechten Hooligans, denen es vornehmlich um Gruppengeist und Keile geht, immer weniger greifen.

Eine von der Studie neu entdeckte Sorte von Fussballfans sind zum Beispiel die sogenannten Ultras, die sich dem Erhalt des traditionellen Fussballs als Zuschauersport verpflichten, den Ausverkauf des Profifussballs ablehnen und entschieden gegen die Kommerzialisierung des Fussballsports auftreten. In gut organisierten Fanchoreografien bringen sie, in Deutschland wie auch etwa in der Schweiz, ihre Protest- wie Zuneigungskultur gegenüber ihrem Verein laut- und bildreich zum Ausdruck - und greifen nur selten zum Mittel der Gewalt. Sie sind protestierende, lärmende FussballfreundInnen, keine klassischen Hooligans also, und nicht zu verwechseln mit den deutschtümelnden Rüpeln beim Qualifikationsspiel in Bratislava. Um die neue Unübersichtlichkeit zu vollenden, taucht in der Studie noch eine weitere Kategorie auf: die Hooltras - eine Schnittmenge aus beiden Gruppen.

Ebenso wenig eindeutig und nach dem Schwarz-Weiss-Prinzip lässt sich entscheiden, ob die Fans im Ganzen mehr oder weniger rassistisch sind als noch vor Jahren. Tendenziell, so scheint es, verschiebt sich rassistisches Verhalten von der Bundesliga hin zu den Niederungen des bezahlten und unbezahlten Fussballs in den unteren Ligen. Wer heute über Fussballfans spricht, hat vor allem eins: Schwierigkeiten, klare Aussagen zu treffen.

Immerhin verdichten sich die Anzeichen, dass Fussballfans wieder ernster genommen werden und nicht auf nur fröhliche StimmungsmacherInnen in modernen Arenen reduziert werden. So versucht sich der Präsident des DFB, Theo Zwanziger, in Dialogbereitschaft. An einem runden Tisch sollen sich schon bald Vereins-, Verbands- und FanvertreterInnen zu einem Fanforum versammeln. Ob der DFB allerdings den von Fanprojekten geforderten Solidarfonds einrichten wird (vgl. untenstehendes Interview), ist noch offen - vorerst setzen er und die Deutsche Fussball-Liga auf eine Taskforce. Sie soll, wie nach einem Krisengipfel am Dienstag bekannt wurde, die Vereine der unteren Ligen beobachten. Ausserdem will der DFB einen Sicherheitsbeauftragten einstellen und im Bedarfsfall die Vereine härter bestrafen. Dass dieser Ansatz aufgeht, darf bezweifelt werden.