Alan Greenspan: Der Zeusler von der Fed

Nr. 44 –

Warum der ehemalige US-Notenbankchef über die Subprime-Krise schockiert ist - und für die Zukunft einen nachhaltigen Subprime-Markt will.


Der ehemalige US-Notenbankchef Alan Greenspan sagte letzte Woche vor einem Parlamentsausschuss, er sei angesichts des heutigen Finanzdebakels «schockiert und fassungslos». Wenn dieser erfahrene Finanzexperte, der die letzten vierzig Jahre im Herzen des neoliberalen Ungeheuers verbracht hat, nun von dessen Kreislaufkollaps überrascht ist - was bleibt uns randständigem Fussvolk noch an starken Reaktionsmöglichkeiten? Was empfinden die Lohnabhängigen, die in der Krise ihren Job verlieren, die Rentnerinnen, deren Rente mit jedem Tag dahinschmilzt, die Hausbesitzer, deren Haus zwangsversteigert wird? Einen noch tieferen Schock oder eine noch grössere Fassungslosigkeit? Oder allenfalls die Wut, die ein Insider wie Greenspan sich nicht erlauben kann?

Halt, das ist die falsche Fragestellung. Der Ökonom Alan Greenspan hat sich nie gross um das Wohl der oben genannten Gesellschaftsmitglieder gekümmert. Nicht die Nachfrageseite der Wirtschaft interessierte ihn, sondern die Angebotsökonomie («supply-side economics»), welche das Kapital und die KapitalistInnen ins Zentrum rückt. Diese wirtschaftlichen Spezialinteressen hat er mit allen möglichen Mitteln geschützt und gestärkt. Wenn die Löhne stiegen, war das eine inflationäre Bedrohung. Wenn die Börsenkurse stiegen, war das hingegen der beste Beweis für eine goldige Zukunft. Der «Tyrannei des Profits» huldigte Alan Greenspan von 1974, als ihn Richard Nixon in sein Beraterteam holte, bis 2006, als seine Amtszeit als Notenbankchef endete. Der einzige Unterbruch in seiner politökonomischen Karriere kam vom eigensinnigen US-Präsidenten Jimmy Carter, der ihn nicht in seinem Stab haben wollte.

Alan Greenspan war mit Abstand der ideologischste Notenbankchef seit der grossen Depression der dreissiger Jahre. Die meisten seiner Vorgänger pflegten zumindest den Anschein politischer Neutralität. Als rein technokratische Institution geniesst die US-Zentralbank (Fed) bis heute den vollen Respekt beider Regierungsparteien. Dabei war das Zentralbanksystem unter Alan Greenspans Ägide zu einer Hauptursache für die wachsende Ungleichheit geworden und hatte sich die Demontage des New Deal zur Aufgabe gemacht. Das Merkwürdigste an dieser ganzen Sache ist, dass Greenspans zum Teil massive Eingriffe in den «freien Markt» in den meisten Diskussionen bis heute nicht als Eingriffe - als Umverteilung oder Regulation - gesehen werden, sondern als blosser Ausdruck von Laissez-faire, als reiner Kapitalismus.

Vielleicht sieht das Alan Greenspan auch so. Jedenfalls stand er jahrzehntelang unter dem Einfluss der libertären US-Philosophin Ayn Rand, die einen radikalen «rationalen Egoismus» vertrat. Im Herbst 2008 entdeckt Alan Greenspan nun plötzlich, dass sein ideologisches Konstrukt eine «Schwachstelle» hat. Wie zentral oder permanent der Defekt sei - darauf wollte sich der alte Fuchs vor dem Kongress dann doch nicht festlegen lassen. Immer noch vertraut er auf die Korrekturkraft des Marktes, es brauche lediglich einen «nachhaltigeren» Subprime-Hypothekenmarkt.

Zeitlebens erhielt Alan Greenspan viel Lob für seine schnellen und mutigen Rettungsaktionen - ein flinker Feuerwehrmann, der einen Brand nach dem andern löscht, bevor das Wirtschaftsgebäude zerstört wird. Dabei war der Feuerwehrmann selbst ein Brandstifter.