Nullsummenspiel: Die Droge Derivat

Nr. 48 –

Eine wichtige Ursache der Weltfinanzkrise lässt sich leicht benennen - und auch leicht aus dem Weg räumen.


Warum sind die UBS und unzählige andere internationale Grossbanken faktisch bankrott und nur noch dank massiver Staatshilfe weiter zahlungsfähig? Weshalb bleiben weite Teile der globalisierten Finanzmärkte seit Monaten blockiert, obwohl die Zentralbanken die Zinsen laufend senken?

Meine Antwort lautet: Der Hauptgrund der gegenwärtigen Finanzkrise liegt in den wenig verstandenen volkswirtschaftlichen Auswirkungen des Masseneinsatzes von Finanzderivaten durch private Banken und Finanzdienstleister. Daneben gibt es noch weitere Ursachen, von denen für einmal nicht die Rede sein soll.

Derivate sind das Kokain des Kapitalismus. Dieser Vergleich vermag die tiefere Ursache der heutigen Finanzkrise zu entschlüsseln. So wie das Kokain im Kopf eines verdammten Verlierers das Gefühl erzeugt, ein geiler Gewinner zu sein, ihn jedoch tatsächlich von seiner realen Existenz entfremdet, erzeugt der Derivateinsatz im Finanzkapitalismus die Illusion einer Wertschöpfung, die in Tat und Wahrheit gar nicht existiert.

Die Abspaltung einer illusionären Scheinwelt von der physischen Wirklichkeit ist das Grundproblem sowohl der KokainistInnen wie auch des Finanzkapitalismus. Der wachsende Einfluss der Scheinwelt beeinträchtigt zunehmend die reale Existenz, macht diese unsteuerbar und führt letztlich in den Abgrund. Triebkraft beim Realitätsverlust ist die mächtige ungebremste, süchtige Gier - beim Finanzkapitalisten nach Geld, beim Kokainismus nach Rausch.

Bis Anfang der siebziger Jahre war die Finanzwirtschaft noch das Abbild der Realwirtschaft, also des real existierenden Kreislaufprozesses von Produktion, Vertrieb und Konsum von Waren und Diensten, in Geldform. Danach begann der Aufstieg der Finanzderivate.

Ein solches Derivat ist rechtlich gesehen ein Vertrag, der die Wette zweier Kontraktparteien auf die zukünftige Preisentwicklung eines beliebigen Basiswertes zu einem handelbaren Wertpapier verbrieft. Ökonomisch gesehen ist das Derivat per definitionem ein Nullsummenspiel: Nach Ablauf der Kontraktdauer gewinnt jene Partei, die richtig wettete, genau so viel, wie die falsch wettende Partei verliert.

Wenn beide Parteien noch während der Laufzeit der Terminwette ihre jeweilige Position auf dem Derivatmarkt weiterverkaufen, wird auch die wertlose Position des sicheren Verlierers zu Geld gemacht. Dieser bekommt also mit anderen Worten Geld für nichts. Für SpekulantInnen mit Know-how im Derivatgeschäft ist dies ein Anreiz dafür, lang laufende Derivate mit hohen Nominalwerten abzuschliessen und sofort weiterzuverkaufen. In der Realwirtschaft können solch hohe Gewinne ohne nennenswerten Eigenkapitaleinsatz nicht erreicht werden.

Bis in die neunziger Jahre hatte sich das Derivatgeschäft für Investmentbanken, Hedgefonds und Private-Equity-Firmen zur hochprofitablen Geldmaschine entwickelt, ohne von der Öffentlichkeit richtig wahrgenommen zu werden. Eine illusionäre Scheinwelt, die bis zum August 2007 unvermindert expandierte - abgesehen von einigen Abstürzen wie dem Crash des LTCM-Hedgefonds im Jahr 1997 oder dem Absturz der Derivatspekulanten Enron und Worldcom nach dem Platzen der New-Economy-Blase von 2002.

Dann brachen die Märkte für US-Immobilienderivate zusammen, womit ein noch wenig verstandener, bis heute anhaltender anarchischer Schrumpfungsprozess des derivativen Nullsummenspiels in Gang gesetzt wurde. Die Banken mussten riesige Bestände an wertlos gewordenem Derivatmüll abschreiben, was Lehman Brothers in den Konkurs trieb und zahlreiche andere Institute nur dank enormer Staatshilfe überlebten.

Heute, da die Weltfinanzkrise in eine Weltrezession übergeht und eine Weltwährungskrise naht, und seit die Realwirtschaft wieder ins Zentrum rückt, könnte man meinen, die Rolle der Derivate sei nur noch von historischem Interesse. Doch dem ist nicht so: Beim anstehenden sozial- und ökoverträglichen Umbau des Finanzsystems ist eine zentrale Forderung, dass das internationale Derivatgeschäft zu einer Nische für SpezialistInnen zurückgebaut wird, die zudem stark reguliert werden muss.