Kommentar: Eine letzte Aufgabe bleibt

Nr. 44 –

Die Schweizer Armee ist in der Krise. Ihr Hauptproblem: Kein Feind in Sicht!


Es muss für echte Fans der Armee schmerzlich und ernüchternd gewesen sein. Am letzten Freitagabend versuchten fünf ihrer eifrigsten Verfechter in der «Arena» auf SF 1 vergeblich die Frage überzeugend zu beantworten, weshalb die Schweiz eine Armee braucht. Der Chef der Armee und damit der höchste Militär im Land war da, der Militärminister, der Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft sowie zwei führende Sicherheitspolitiker von SVP und CVP.

Was bedroht die Schweiz? Die fünf Männer erwähnten in der «Arena»: Terrorismus, Erpressung durch Diktatoren, ein Eichhörnchen (das einmal das Fernsehstudio lahmgelegt hat), Naturkatastrophen, Erdölknappheit, ausbleibende TouristInnen (weil eine schwache Armee den Standortvorteil gefährdet), Wef, Migrationsströme, weltweite Aufrüstung (im Speziellen China). – Das soll rechtfertigen, jährlich Milliarden von Franken für die Armee auszugeben?

Die genannten Gefahren, so unterschiedlich sie sind, haben eines gemeinsam: Hochgerüstete Kampfeinheiten braucht man dafür nicht. Würden die Mittel aber nicht mehr für die Armee ausgegeben, sondern sinnvoller investiert, wäre den Bedrohungen auch tatsächlich zu begegnen. Einerseits ist Katastrophenhilfe mindestens so gut zivil zu organisieren. Anderseits können weltweit Initiativen gefördert werden, die Konflikte erkennen und bearbeiten, bevor sie gewalttätig werden. Ebenso Initiativen für mehr Bildung, weniger Klimawandel, mehr Gesundheit, für einen intelligenteren Umgang mit Ressourcen – kurz: für eine gerechtere Welt. Denn eine solche Welt ist für alle und auch für die SchweizerInnen eine sicherere Welt.

Frühestens im nächsten Frühling soll der einst schon für Sommer 2009 angekündigte überarbeitete sicherheitspolitische Bericht erscheinen. Ob er wirklich neue Wege aufzeigen wird, mit den analysierten Bedrohungen fertig zu werden, ist allerdings ungewiss. Auch wenn der Bundesrat nun beschlossen hat, den Bericht nicht allein vom Militärdepartement erstellen zu lassen – die Kräftekonstellation in der eidgenössischen Sicherheitsdebatte wird mehr als kleine Kurskorrekturen nicht erlauben.

Grundsätzlich sind drei Strategien denkbar, die das offensichtlich Vernünftigste verhindern (nämlich die Armee aufzulösen, da sie – egal ob aus pazifistischer oder aus militaristischer Perspektive – keinen Beitrag zur Sicherheit des Landes leistet):

1. Der Schweiz vergleichbare neutrale europäische Länder wie Finnland, Österreich oder Irland haben ihre Armeen verkleinert und klar auf Auslandseinsätze innerhalb von Militärbündnissen ausgerichtet. Damit legitimieren sie ihre Existenz. – Dieser Weg ist in der Schweiz seit Jahren total blockiert; Mehrheiten werden innert nützlicher Frist wohl kaum zu finden sein, dazu sind FDP und CVP – die diese Idee, sollte sie eine Chance haben, energisch vorantreiben müssten – viel zu wenig entschlossen.

2. Die Schweiz entscheidet sich, wieder mehr Geld in die Armee zu stecken und damit die Gesellschaft wieder stärker zu militarisieren. Bereits heute fordern SVP-Politiker einen prononcierteren Auftritt der Armee im Innern, die Soldaten sollen – wie früher! – ganz natürlich zum helvetischen Alltag gehören. Mehr Geld gibt es aber nur, wenn es den selbsternannten PatriotInnen gelingt, gleichzeitig die Angst in der Bevölkerung zu schüren (wovor, ist egal) und Gewalt (also die Armee) als probates Mittel gegen diese Angst zu propagieren.

3. Die wahrscheinliche Lösung heisst aber: weiter wie bisher. Also Geld ausgeben für etwas, das nichts bringt, nur weil der Mut fehlt, endgültig aus veralteten Denkmustern auszubrechen. Dass die anstehenden Probleme mit Waffen zu lösen seien, daran glaubt wohl kaum jemand. Doch wer will sich schon mit dem komplexen Thema Klimawandel, unserem viel zu hohen Ressourcenverbrauch, der immer grösser werdenden planetaren Ungleichheit zwischen Arm und Reich beschäftigen?

Diese Aufgabe wird die Armee wohl noch einige Zeit behalten: Sie hilft mit, die wahren Gefahren zu verdrängen. Und die Militärs und ihre politischen Vertreter kämpfen zwar wenig überzeugend, aber sehr ausdauernd für ihren Erhalt.