Die Bata-Geschichte: Der Schuster und seine Satelliten

Nr. 48 –

Thomas Bata wurde mit Unterstützung eines Zürcher Wirtschaftsanwalts zum weltgrössten Schuhfabrikanten. Eine Siedlung und ein neues Buch erzählen, wie er moderne Arbeitsverhältnisse vorwegnahm.

Grosse Ähnlichkeit: Enkel Thomas Georg und Sohn Thomas J. Bata 1984 vor dem Porträt des Familiengründers Thomas Bata.

Tobias Ehrenbold steht, wo sich einst das Fabriktor befand. «Der Kerngedanke war: Kollektiv arbeiten, individuell wohnen.» Ehrenbold erklärt das Satellitendorf, das Schuhproduzent Bata ab 1932 hier in Möhlin im Aargauer Fricktal errichten liess: Die Fabrikgebäude sind modular aufgebaut, eine Einheit umfasst 6,15 auf 6,15 Meter. «Das erlaubte eine sparsame, aber moderne, kühne Bauweise.» Die Wohnhäuser aus rotem Backstein haben verschiedene Grundrisse. «Auch beim Wohnen konnte man sozial aufsteigen.» Eine Allee als zentrale Achse verbindet Fabrik und Häuser. Das Klubhaus mit Tennisplatz und Minigolf sowie ein Schwimmbad rundeten die Anlage ab. Der geplante Hafen und ein Flugplatz wurden nie realisiert.

Seit 1990 steht die Fabrik im Bata-Park still. Die denkmalgeschützten Hallen dienen der Zwischennutzung. Die Häuser sind weiter bewohnt, zum Teil noch immer von «Batalianern», wie sich die ArbeiterInnen nannten. Im Klubhaus befindet sich ein Schuhoutlet. Die Anlage ist von jener Melancholie erfüllt, wie sie Ruinen der Moderne eigen ist: Obwohl verwittert, künden sie weiterhin von einer besseren Zukunft. «Ist das abgefahren, dachte ich, als ich das erste Mal hierherkam», erinnert sich Ehrenbold. Mittlerweile kennen alle den jungen Kulturwissenschaftler mit Dreitagebart. «Sali, Tobias», ruft eine Bewohnerin, die auf dem Velo vorbeifährt. Ehrenbold hat die Geschichte von Bata in der Schweiz erforscht und in einem spannenden Buch veröffentlicht. Es ist die Geschichte des «tschechoslowakischen Eindringlings», dem von der Konkurrenz übel mitgespielt wurde. Die Geschichte typischer Schweizer Finanzkonstrukte. Und von der Rationalisierung der Arbeit, in diesem Fall der Mitarbeit.

«Die Menschen formen»

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts reist der Schuhmacher Thomas Bata, aufgewachsen in einem Dorf in Mähren, in die USA und lernt die Rationalisierung der Arbeitsabläufe kennen. Zurück in der Heimat, eifert er seinem Vorbild Henry Ford nach. Die Stadt Zlin wird für Schuhe, was Detroit für Autos ist: Täglich werden mehr als 100 000 Paar Schuhe hergestellt. Produziert wird am Fliessband, eigene Schiffe befördern den Export. Die Abteilungen werden zueinander in Wettbewerb gesetzt, den sozialen Frieden bewirken das Versprechen beruflichen Aufstiegs sowie Schulen und Spitäler. «Unser Ziel: bessere Schuhe, höhere Löhne, niedrigere Preise» lautet ein Slogan von Bata, der sich gleichermassen an den Eigentümer, die ArbeiterInnen und die Kundschaft richtet. Wobei Bata nicht von Arbeitern, sondern von Mitarbeitern spricht. Sein Ziel ist es nicht, «einen Betrieb aufzubauen, sondern die Menschen zu formen».

Als in der Wirtschaftskrise die Zölle steigen, entschliesst sich Bata, nicht mehr nur Schuhe zu exportieren, sondern standardisierte Quartiere nach dem Vorbild von Zlin. Diese sollen für den jeweiligen Binnenmarkt produzieren. In der Schweiz wird Möhlin gewählt, wegen der idealen Lage und einer bäuerlichen Bevölkerung, die dringend Arbeit sucht und also formbar ist. Die Schuhindustriellen bekämpfen den Billiganbieter heftig. Bata hat sich auf Stiefel und Turnschuhe spezialisiert: Konkurrent Bally bezeichnet Gummisohlen als Landesgefahr, sie machten dienstuntauglich. Der Bundesrat erlässt ein Bauverbot für Schuhfabriken. KommunistInnen demonstrieren in Möhlin gegen den «kapitalistischen Grossausbeuter», und auch der windige Journalist Rudolf Philipp kreuzt auf. In seinem Buch gegen «Diktator Bata» heisst es: «Er zwingt niemanden, das besorgt sein System.» Bata reagiert auf die Angriffe, indem es sich als typisches Schweizer Unternehmen inszeniert: Der 1. Mai, der festliche Tag der Mitarbeit, wird bald am 1. August gefeiert.

Stiftung in St. Moritz

In der Schweiz hat Bata allerdings auch einen wichtigen Partner: den Zürcher Wirtschaftsanwalt Georg Wettstein. Dieser entwirft für Batas Ländergesellschaften eine Holding namens Leader und, um das Vermögen der Familie durch den Krieg zu schleusen, die Bata Schuh Stiftung. Holding und Stiftung haben noch heute ihren Sitz im steuergünstigen St. Moritz, wo sich Bata und Wettstein erstmals trafen. Thomy, der Sohn von Bata, heiratete später Sonja, Wettsteins Tochter. Gemeinsam leiteten sie die Firma. Das Vermögen der heute 86-jährigen Sonja Bata und ihrer Familie wird auf über drei Milliarden Franken geschätzt, den Weltkonzern dirigiert ihr Sohn Tom von Lausanne aus. Bata ist mit 40 000  MitarbeiterInnen und 4600 Verkaufsläden immer noch der grösste Schuhhersteller. In der Schweiz betreibt er 55 Filialen.

Autor Ehrenbold führt ins Vorzimmer des Direktionsbüros, wo er sein Buch geschrieben hat. Von der Firma suchte er keine finanzielle Unterstützung, weil ihm die Unabhängigkeit wichtig war. Die Akten hat er selbst zusammengetragen. Ein Manko, gerade hinsichtlich der Situation der Angestellten, sei das Fehlen von Personalunterlagen. Die Arbeitsverhältnisse schätzt er ambivalent ein: «Zuerst war ich Bata gegenüber kritisch, zunehmend erkannte ich aber sein soziales Engagement. Die Anlage für die Arbeiter war ihrer Zeit voraus, wurde dann im Konsumaufbruch überholt.» Mit der Rationalisierung wurde es möglich, die Leistung der ArbeiterInnen zu vergleichen. «Sie sollten als Unternehmer denken, was nicht nur Freiheit, sondern auch Konkurrenz mit sich brachte.»

Der Lift fährt aufs Flachdach, mit Aussicht über die Siedlung. Ehrenbold will weiterforschen, am liebsten international. Was ihn am meisten störe, sei die Scheinheiligkeit, mit der heute günstige Produkte gekauft werden, ohne dass nach den Lebensbedingungen der Beschäftigten gefragt werde. In Indien hat Ehrenbold eine Schuhfabrik besucht. «Dabei fiel mir auf, dass vor der Fabrik die gleichen Veloständer stehen wie in den dreissiger Jahren im ärmlichen Möhlin.»

Ganz modern: Der Bata-Park in Möhlin.

Tobias Ehrenbold: «Bata. Schuhe für die Welt, Geschichten aus der Schweiz». Verlag Hier + Jetzt. Baden 2012. 174 Seiten. 49 Franken.