Durch den Monat mit Dieter von Blarer (Teil 4): Ihre Familie wurde enteignet?

Nr. 26 –

Dieter von Blarer hat adlige Vorfahren, die Schlösser und Lehensgüter besassen. Und er lebte mehrere Jahre in Zentralasien und versuchte, mit pragmatischen Alltagsprojekten den Frieden zu fördern.

Dieter von Blarer: «Als wir vor einigen Jahren das Familienarchiv aufarbeiten liessen, kamen interessante Geschichten der Frauen zum Vorschein.»

Dieter von Blarer, wie kommt man in der Schweiz zu einem «von»?
Meine Vorfahren stammen aus der Ostschweiz. Sie besassen am Bodensee Schloss Wartensee und Schloss Wartegg, beide sind heute Hotels, die mit der Familie nichts zu tun haben. Der volle Familienname wäre Blarer von Wartensee. Aber zum Glück hatte der sogenannte Adel in der Schweiz nie die Bedeutung wie in anderen Teilen Europas.

Und wie sind Sie im Baselland gelandet?
Im 16. Jahrhundert wurde mein Ururur…onkel Fürstbischof von Basel mit Sitz in Pruntrut. Die Familie hatte in der Umgebung von Aesch und im Laufental Lehensgüter vom Fürstbischof. Das Tschäpperli, unser Weingut, gehörte seit 1619 zum Erblehen der Familie. Sie wurde in der Französischen Revolution enteignet, kaufte das Tschäpperli aber wieder zurück.

Und Sie haben es geerbt?
So einfach war es nicht. Es war Ende des 19. Jahrhunderts unter vielen Händen aufgeteilt. Erst im Verlauf des 20. Jahrhunderts gelang es, die Reben im Tschäpperli wieder in einer Hand zu vereinigen. Ich habe es dann 1986 von meinem Vater und meiner Tante gepachtet und später zusammen mit meiner Lebenspartnerin Steffi Wirth gekauft.

Und die Frauen in der Familie?
Die Geschichtsschreibung von Familien wie meiner ist geprägt von der Geschichte der Männer. Als wir vor einigen Jahren das Familienarchiv aufarbeiten liessen, kamen aber interessante Geschichten der Frauen zum Vorschein. Meine Urururururgrossmutter Maria Anna Gabriela, eine geborene Rotberg, kämpfte als Witwe mit fünf minderjährigen Kindern für die Rückgabe der Güter, die nach der Französischen Revolution enteignet worden waren. Mein Urgrossvater ging Konkurs, danach hat meine Urgrossmutter Marie Gerster mit eigenem Geld Teile des heutigen Tschäpperli und anderes Land aus der Konkursmasse gerettet.

Vier Jahre verbrachten Sie in Zentralasien. Was taten Sie dort?
Zwischen 2001 und 2005 war ich im Auftrag des Departements für auswärtige Angelegenheiten für zivile Friedensförderung tätig. Ich war für Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan zuständig. Wir hatten ein Projekt im Ferghanatal, bei dem es darum ging, sehr praktisch alltägliche Probleme über die Staatsgrenzen hinaus anzugehen. Wasser war immer ein grosses Thema. Da fliesst zum Beispiel ein Flüsschen durch eine usbekische Exklave, die dortige Bevölkerung entnimmt so viel Wasser, dass die tadschikischen Dörfer weiter unten kaum mehr Wasser haben. In solchen Fällen haben wir versucht, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen, um Lösungen zu finden.

Usbekistan hat bezüglich Menschenrechtsverletzungen einen schlechten Ruf. Liess sich in diesem Bereich etwas bewirken?
Ich hatte ein Projekt zur Folterprävention entwickelt. Zusammen mit einer Gruppe von Anwälten und Anwältinnen verhandelten wir mit der Polizei und dem Geheimdienst in der Region Ferghana, um Verhafteten möglichst rasch Zugang zu einem Rechtsvertreter zu verschaffen. Wir versuchten, Transparenz herzustellen. Das war auch für die Behörden interessant, weil es sie vor falschen Anschuldigungen schützte. Es ging dabei nicht um die wirklich grossen Fälle politischer Repression, sondern mehr um alltägliche Polizeigewalt. Die Polizei hatte Vorgaben, wonach sie beispielsweise 98 Prozent der Delikte aufklären sollte. Erwischten sie nun einen Hühnerdieb und hatten noch zehn ungeklärte Fälle von Hühnerdiebstahl, setzten sie den Hühnerdieb unter Druck, bis er alle Diebstähle gestand. Gegen diese alltäglichen Misshandlungen konnten wir schon etwas bewirken.

Kirgisistan gilt als offener. Stimmt das?
Das stimmt schon. Hier hatten wir ein Projekt, das sich mit Gewaltprävention rund um Demonstrationen beschäftigte. Das wäre in den anderen beiden Ländern gar nicht möglich gewesen, weil dort die Kontrolle des öffentlichen Raumes so rigide ist, dass es kaum zu Demos kommt. Aber auch in Kirgisistan können Demonstrationen eskalieren. Um dem entgegenzuwirken, haben wir versucht, beide Seiten zusammenzubringen.

Die Polizei mit den Demonstrierenden?
Richtig. Am Anfang hat es noch Tränen und heftige Szenen gegeben. Schon am ersten Abend wollte ein Beteiligter abreisen, weil er in der Runde mit einem Polizeioffizier zusammen kam, der ihn auf einer Polizeistation verprügelt hatte. Er wollte partout nicht mit ihm an einem Tisch sitzen. Wir konnten ihn überzeugen zu bleiben. Mit der Zeit hat sich die Runde gelockert und alle begannen zu verstehen, dass es auch um die unterschiedlichen Rollen geht, die jeder im Staat einnimmt.

Sie hören Ende Jahr als Ombudsmann des Kantons Basel-Stadt auf. Welche Pläne haben Sie für die Zeit danach?
Ich werde wieder selbstständig arbeiten. Gerne würde ich ähnliche Projekte wie in Zentralasien betreuen, das kann aber auch hier in der Schweiz sein. Wichtig ist mir, mehr Autonomie über meine Zeit zu bekommen. Und wieder mehr in den Reben zu arbeiten.

Dieter von Blarer (57) hatte zwischen 1986 und 2002 in Aesch BL eine eigene Anwaltspraxis. Zwischen 1999 und 2005 war er in verschiedenen Funktionen für den Expertenpool zivile Friedensförderung des EDA in Kosovo und Zentralasien tätig. Seit 2006 ist er Ombudsmann des Kantons Basel-Stadt.