Humanitarian Pilots Initiative: Von der Ostschweiz ans Mittelmeer

Nr. 20 –

Die beiden Gleitschirmpiloten Fabio Zgraggen und Samuel Hochstrasser betreiben zusammen eine Flugschule im Appenzell. Nun wollen sie ihre Passion fürs Fliegen nutzen, um Flüchtlingen in Seenot zu helfen.

Fliegen bald vor der libyschen Küste: Samuel Hochstrasser (links), Fabio Zgraggen.

Fabio Zgraggen und Samuel Hochstrasser kennen sich seit Jahren, zusammengebracht hat sie ihr gemeinsames Hobby: das Gleitschirmfliegen. Beide begeisterten sich schon früh für die Fliegerei, waren fasziniert von einer romantischen Vorstellung von Freiheit. Zgraggen hatte irgendwann genug von seinem Job in einer Grafikdesignagentur, widmete dem Fliegen immer mehr Zeit, liess sich später erst zum Gleitschirmfluglehrer ausbilden, dann zum Piloten. Auch der gelernte Dachdecker Hochstrasser machte das Fliegen irgendwann zum Beruf. Inzwischen haben sich Zgraggen und Hochstrasser selbstständig gemacht und betreiben im Appenzell ihre eigene Firma – eine Flugschule, die auch Grafikdienste anbietet.

An einem lauen Sommerabend im letzten Jahr entstand dann die Idee zur Seenotrettung. Zgraggen und Hochstrasser sassen nach einem Flugtag mit KollegInnen zusammen, sprachen von den Meldungen über ertrunkene Flüchtlinge, die damals überall über die Bildschirme flimmerten. Mehr als eine Million Menschen wagten 2015 die gefährliche Fahrt übers Mittelmeer, gegen 3800 haben die Fahrt gemäss Uno-Angaben nicht überlebt. An diesem Abend beschlossen Hochstrasser und Zgraggen, selbst etwas zu unternehmen.

«Wir wollten etwas tun, suchten nach einer Initiative, in die wir unsere Energie stecken könnten», erzählt Hochstrasser. Der 35-jährige Luzerner spricht konzentriert, wählt seine Worte mit Bedacht: «Wir beschlossen, unsere Passion für humanitäre Zwecke zu nutzen.»

Mittlerweile sieben Piloten

Die beiden kontaktierten Organisationen, die im Mittelmeer aktiv sind, stellten ihr damals noch wenig konkretes Vorhaben vor – und merkten: Der Bedarf an Aufklärung aus der Luft ist gewaltig, vor allem entlang der sogenannten zentralen Mittelmeerroute. Die Hilfsorganisation Migrant Offshore Aid Station (Moas) etwa nutzt Drohnen, um Flüchtlingsboote orten zu können. «Mit einem Flugzeug lässt sich in kürzerer Zeit ein viel grösseres Gebiet absuchen», sagt Zgraggen.

So wurde die Idee immer konkreter, aus dem Austausch mit den anderen Gruppen entstand die Humanitarian Pilots Initiative (HPI). Hochstrasser und Zgraggen suchten nach Gleichgesinnten, sammelten in ihrem Bekanntenkreis Spenden, holten Piloten aus ihrem persönlichen Umfeld an Bord. «Das Vorhaben ist überall auf grosse Begeisterung gestossen», sagt Zgraggen. Nur ein paar andere Piloten hätten reserviert reagiert und besserwisserisch Ratschläge erteilen wollen.

Inzwischen ist der Gründungsabend rund ein Jahr her, das Team der HPI offiziell zu siebt. Das Projekt soll organisch wachsen, sagt Zgraggen. Wichtig sei ihm deshalb, dass sich die Mitglieder gut kennen, sich aufeinander verlassen können. In wenigen Wochen wollen sie mit den Aufklärungsflügen beginnen, auch die Flugerlaubnis liegt schon bereit. Dann soll ein Kleinflugzeug entlang eines 24-Seemeilen-Streifens im internationalen Gewässer vor der libyschen Küste zum Einsatz kommen, das in Notfällen oder zum Nachtanken auch auf dem Wasser landen kann. Vier Stunden pro Tag werden die HPI-Piloten das Gebiet überfliegen, Ort und Zustand der Flüchtlingsboote der Küstenwache melden. Diese kontaktiert dann eines der privaten und staatlichen Schiffe, die im Mittelmeer auf ihren Einsatz warten.

Noch ist das Projekt nicht angelaufen, noch wissen Zgraggen und Hochstrasser nicht, was sie auf See erwartet. In einer ersten Phase wollen sie deshalb eng mit der Besatzung der «Sea-Watch» zusammenarbeiten, die im Mittelmeer seit rund einem Jahr Flüchtlinge rettet. Und weil die Finanzierung erst für wenige Wochen gesichert ist, sind sie weiterhin auf der Suche nach Spenden. «Wenn es gut läuft, können wir uns auch Einsätze an anderen Orten vorstellen, vielleicht auch Hilfsgüterflüge», meint Zgraggen.

Der dreissigjährige Appenzeller scheint genau zu wissen, worauf er sich einlässt, auch emotional. Sie hätten auch bereits Kontakt zu einem Careteam, erzählt er. «Am schlimmsten wird, glaube ich, wenn wir bei unseren Einsätzen ein Flüchtlingsboot entdecken, das sich vielleicht kurz vor dem Kentern befindet – und wir dann nichts ausrichten können.» Denn auf Seenotrettung ist ihr Flugzeug nicht ausgelegt, ihnen bliebe also nicht anderes übrig, als die Koordinaten des Boots weiterzugeben.

Keine politische Mission

Die Humanitarian Pilots Initiative ist eine Anklage an Europas Abschottungspolitik, an Brüssels verantwortungslose Untätigkeit. Dennoch wollen weder Zgraggen noch Hochstrasser ihr Projekt als politische Aktion verstanden wissen. «Wir lassen uns nicht von politischen Gedanken leiten», meint Hochstrasser. Entstanden sei ihre Initiative aus der Schweizer Gleitschirmszene heraus, einem politisch nicht verortbaren Umfeld. Und auch die Mitglieder der HPI liessen sich nicht auf eine Position festlegen, seien in einigen politischen Fragen uneinig. Wichtig sei allen Beteiligten vor allem der humanitäre Gedanke der Seenotrettung.

Tatsächlich mag der humanitäre Aspekt entscheidend sein, die Mission der beiden Gleitschirmpiloten unpolitisch. Doch in einer Zeit, in der das Sterben auf dem Mittelmeer politisch gewollt ist, erscheint auch das Vorhaben, Flüchtlinge aus Seenot zu retten, als starkes politisches Statement.