Asylpolitik: Von der «Dynamisierung» zur Eingrenzung

Nr. 11 –

Nachdem sie RechtsberaterInnen den Zutritt zu einer Asylunterkunft verweigert hatte, bot die Asylfirma ORS Hand zum Kompromiss. Doch dann schritt das Zürcher Sozialamt ein.

Kurz schien es, als würde sich im aktuellen Konflikt um die Zustände in den Zürcher Notunterkünften (NUKs) für abgewiesene Asylsuchende doch etwas bewegen. Ende Februar hatte die WOZ publik gemacht, dass das für die Betreuung in den NUKs verantwortliche Unternehmen ORS RechtsberaterInnen den Zutritt zu Asylunterkünften im Kanton Zürich verwehrte. Die Zutrittsverweigerung war eine weitere Verschärfung im Umgang mit abgewiesenen AsylbewerberInnen.

Kurz nach Erscheinen des Artikels in der WOZ meldete sich die Asylfirma ORS bei einer Rechtsberaterin und bat um ein klärendes Gespräch. Bei diesem waren drei Angestellte der ORS sowie zwei RechtsberaterInnen zugegen. Im Gespräch hätten die ORS-MitarbeiterInnen durchaus Verständnis für ihre freiwillig geleistete Arbeit gezeigt und auch ein Entgegenkommen signalisiert, berichten die RechtsberaterInnen. Am Ende sei man zu einer Übereinkunft gekommen, in welcher Form die Rechtsberatungen in den Asylunterkünften künftig stattfinden könnten. Die ORS sollte das Vereinbarte schriftlich festhalten. Damit schien der Konflikt ein Ende zu finden.

Doch dann traf das E-Mail der Asylbetreuungsfirma ORS ein, und dieses hatte mit den im Gespräch getroffenen Abmachungen nicht mehr viel zu tun. Die ORS musste diese nach Rücksprache mit ihrem «Auftraggeber» grossteils zurücknehmen und in einer Form anpassen, die die Rechtsberatungen praktisch verunmöglicht, wie der Mailwechsel zeigt, der der WOZ vorliegt. Der «Auftraggeber» ist das kantonale Sozialamt, das der Sicherheitsdirektion unter SP-Regierungsrat Mario Fehr angehört.

Zwischenzeitlich fanden die Rechtsberatungen denn auch vor den Notunterkünften im Freien statt. Eva Käser, Mitarbeiterin der Beratungsstelle Freiplatzaktion Zürich, sagt: «Ganz offensichtlich will das Sozialamt unsere Arbeit verhindern.» Dabei war es gerade ein Praxiswechsel der Zürcher Behörden gewesen, der diese Art von mobilen Rechtsberatungen überhaupt nötig machte.

Nicht so viele Ausreisen wie erhofft

Rückblick: Im Sommer 2005 wurde bekannt, dass das Sozialamt des Kantons Zürich eine neue Praxis im Umgang mit Asylsuchenden mit Nichteintretensentscheid verfolgte. Obwohl diese Menschen seit etwas mehr als einem Jahr nur acht Franken Nothilfe am Tag erhielten, seien sie nicht so häufig ausgereist wie erhofft. Deshalb versuchte man, ihren Aufenthalt in der Schweiz anderweitig zu erschweren. Der Chefbeamte Ruedi Hofstetter erläuterte damals, die abgewiesenen Asylsuchenden würden nun nach jeweils sieben Tagen aus ihrer Notunterkunft verwiesen. Danach müssten sie sich beim Migrationsamt melden, das ihnen für die nächsten sieben Tage eine neue Unterkunft zuweise. Diese Politik der «Dynamisierung», von der fast ausschliesslich Männer betroffen waren, sollte sicherstellen, dass die Nothilfebezüger keine Wurzeln schlagen. Man wollte signalisieren, dass sie nicht als Daueraufenthalter geduldet würden.

Elf Jahre später erfolgte dann die Abkehr von dieser Praxis, da die Politik der «Dynamisierung» offenbar nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatte. Im Frühsommer 2016 tauchten bei AnwältInnen und Asylorganisationen vermehrt Asylsuchende auf, die von Eingrenzungen berichteten. Neu mussten sie die Unterkunft nicht mehr jede Woche wechseln, sondern durften sich nicht mehr frei bewegen: Wer eine Eingrenzungsverfügung erhielt, durfte die Gemeinde oder den Bezirk, in dem sich die Unterkunft befand, nicht mehr verlassen. Für Termine bei Anwältinnen oder Ärzten brauchte es eine Ausnahmebewilligung.

Im Februar dieses Jahres dann eine erneute Verschärfung dieses Eingrenzungsregimes: Seither müssen sich NothilfebezügerInnen morgens und abends in der Notunterkunft melden, ansonsten wird ihnen die Nothilfe von täglich 8.50 Franken nicht ausbezahlt. Die Anwendung dieser Bestimmung variiert teilweise. So müssen sich beispielsweise in mindestens zwei Unterkünften Frauen und Kinder nur einmal melden, Männer hingegen zweimal.

Verschiedene Rekurse hängig

Das zuständige Sozialamt des Kantons Zürich erteilt derzeit keine Auskünfte zu den Eingrenzungen, zur Anwesenheitspflicht und zur Zutrittsverweigerung für RechtsberaterInnen. Es will am Freitag «zum Themenkreis abgewiesene Asylsuchende» die Öffentlichkeit informieren.

Derweil herrscht Unklarheit: Wer verfügt die Eingrenzungen? Wer entscheidet über Anwesenheitspflichten? Wer setzt diese Regeln durch? Auf welcher rechtlichen Grundlage? Wer ist in letzter Instanz verantwortlich? Eine private Firma oder das kantonale Sozialamt? Und wer kann für unrechtmässige Handlungen und Weisungen rechtlich belangt werden? Zurzeit sind verschiedene Rekurse gegen die Verfügungen des Sozialamts hängig. Sie sollen Klarheit über die rechtliche Situation von abgewiesenen Asylsuchenden ohne gültigen Aufenthaltsstatus bringen.

Am Samstag laden verschiedene Asyl- und Menschenrechtsorganisationen zu einer Konferenz «gegen die Bunker- und Eingrenzungspolitik» in Zürich. Sie haben Ausnahmebewilligungen für die von den Eingrenzungen Betroffenen beantragt, damit diese an der Konferenz teilnehmen können (vgl. «Wieso sagen Sie ‹moderieren› und nicht ‹unterrichten›?» ).