Halbes Budget, doppelter Eifer Unterschätzt (4): Bei seiner Premiere war Darren Aronofskys «The Fountain» ein Quell für Gelächter. Und heute?

wobei 1/

Hugh Jackman und Rachel Weisz in Darren Aronofskys «The Fountain»
Kluger «Camp» oder doch geglückter heiliger Ernst? Hugh Jackman und Rachel Weisz in Darren Aronofskys «The Fountain». Still: Alamy

Jeder Schatten, egal wie tief, werde vom Morgenlicht bedroht, heisst es einmal – oder höchstwahrscheinlich mehrmals – in diesem Film. Aber umgekehrt gilt das leider genauso. Den Reaktionen nach zu schliessen, hat jedenfalls kaum ein Film deutlicher als «The Fountain» (2006) demonstriert, wie fein die Grenze zwischen dem Erhabenen und dem Lächerlichen sein kann.

Regisseur Darren Aronofsky wurde damals von einer gewissen Zielgruppe für seinen mathematisch-paranoiden Erstling «π» (1998) verehrt. Doch nach dem Suchtdrama «Requiem for a Dream» (2000) machte er es der Welt vielleicht etwas gar leicht, sein neues, von buchstäblich heiligem Ernst getriebenes Werk zu belächeln oder gar auszulachen. Für mich war die Reaktion des Publikums ein Schock, nachdem ich mich vor lauter Vorfreude auf «The Fountain» in Venedig in die Pressevorführung zu schmuggeln getraut hatte. Da sass ich nun, zwischen versammelter Weltpresse und respektablen Festivaldirektoren, überwältigt von Aronofskys grössenwahnsinnigen Bildern und Clint Mansells Musik, die diesen Wahnsinn noch steigerte – und im ganzen Saal begannen die Leute zu buhen. Dass es nach der öffentlichen Premiere am Tag darauf zehnminütige Standing Ovations gegeben hatte, erfuhr ich erst viel später.

Eine zweite persönliche Anekdote, aus anderer Perspektive. Als Operateur sollte ich «The Fountain» einmal im Rahmen eines Science-Fiction-Abends vorführen. Dabei merkte ich nicht, dass der Film mit zwei vertauschten Akten geliefert worden war, das Publikum ihn also in der Abfolge 1–2-4–3-5 zu sehen bekam. Der Fehler würde mir wohl heute noch Albträume bereiten – wenn es damals im vollen Kinosaal überhaupt jemandem aufgefallen wäre.

Haarlos im goldenen Weltall

Der Plot, vom ganzen Bombast befreit, ist ähnlich reduziert wie das Farbspektrum des Films, das ausser verschiedenen Schwarz- und Goldtönen nicht viel kennt. Doch gleichzeitig ist er überkompliziert, nonlinear, erstreckt sich über tausend Jahre und springt zwischen drei Zeitebenen hin und her, wobei man sich die narrativen Zusammenhänge selber erarbeiten muss. Orientierung bieten Hugh Jackman und Rachel Weisz, die in scheinbar unterschiedlichen Rollen in allen Epochen auftreten, verschiedene visuelle Leitmotive sowie der Soundtrack, der in Sachen Monumentalität da einsteigt, wo andere Filme zu ihrem Höhepunkt gelangen. Alles an «The Fountain» ist zu viel – aber was heisst schon «zu viel» bei einem Film, in dem es buchstäblich um alles gehen soll.

Aronofsky arbeitet sich hier mit solcher Inbrunst an allem ab, als ob tatsächlich – nun – alles auf dem Spiel stünde, inklusive Sinn. Also Leben und Tod, die mögliche Ewigkeit des Ersteren, die Unabwendbarkeit von Letzterem sowie die ganzen Paradoxa dazwischen. Auch die Religion fehlt nicht, wenngleich ihre Präsenz hier noch viel abstrakter ist als fünf Jahre später in «The Tree of Life» von Terrence Malick, dem offensichtlichen (und reiferen) Geschwister von «The Fountain». Im Gegensatz zu Malick aber gelingt es Aronofsky, seine Erleuchtungs- und Erlösungsgesten nicht an eine eindeutige religiöse Message zu knüpfen, auch wenn der am Ende in Zenmeditationspose durchs Weltall schwebende Hugh Jackman diese Behauptung vielleicht etwas zweifelhaft aussehen lässt. Ansonsten konzentriert sich Aronofskys Interesse für das Christentum auf die Genesis (davon zeugen auch seine späteren Filme «Noah» und «Mother!»). Der Baum des Lebens, bei Malick reine Metapher, steht hier tatsächlich auf einer Pyramide in Guatemala, sein Holz ist essbar, durch sein Inneres fliesst dicke, weissliche Milch. Später schwebt der Baum zusammen mit dem jetzt haarlosen Hugh Jackman durch ein golden gewordenes Weltall, der Transzendenz entgegen.

Natürlich ist in «The Fountain» alles eine Metapher – und umgekehrt. Der Wissenschaftler betreibt hier nicht Krebsforschung, sondern er will den Tod besiegen, der in der Form eines Tumors in seiner Geliebten an die Tür klopft. So besessen ist er von diesem Vorhaben, dass er einen Spaziergang mit seiner Geliebten im ersten Schnee ausschlägt, was im Film etwa die Tragweite der Ursünde hat. Zu anderer Zeit, an anderem Ort, ist der Forscher ein Konquistador, der von der Königin Spaniens auf die Suche nach dem Jungbrunnen und besagtem Lebensbaum geschickt wird. Als Zenastronaut schliesslich will er den Baum, jetzt mit der Geliebten identisch geworden, zum Sternnebel Xibalbá bringen, wo laut Mayamythologie die Wiedergeburt wartet. Natürlich ist alles vergeblich, wenn das Ziel darin bestehen soll, den Tod zu überwinden, denn ewiges Leben heisst eben, den Tod zu akzeptieren und mit dem Körper wieder in die Natur einzutreten – so die gleichermassen einfache wie profunde Erkenntnis von «The Fountain». Oder so zumindest eine mögliche Erkenntnis. Über die Bedeutung der verschiedenen Zeitebenen rätseln und diskutieren die Leute teils heute noch, denn «The Fountain» hat, allem Gelächter zum Trotz, das erlangt, was man so schön quasireligiös «Kultstatus» nennt.

Unendliche Fallhöhe

Ein Zyniker könnte diesen Kult damit erklären, dass «The Fountain» eben ein mustergültiges Beispiel für «Camp» nach Susan Sontag sei in seiner Diskrepanz zwischen Absicht und Endprodukt. Dass die Fallhöhe zwischen Aronofskys offensichtlich grössenwahnsinnigem Vorhaben und dem fertigen Film fast unendlich ist, liesse sich so auch über die Entstehungsgeschichte erklären: «The Fountain» hätte nämlich bereits fünf Jahre früher gedreht werden sollen, mit doppeltem Budget und mit Brad Pitt und Cate Blanchett in den Hauptrollen. Dinge gingen schief, beide Stars fielen aus, die bereits angeheuerte Crew musste entlassen, die Setbauten versteigert werden.

Aronofsky tat zuerst, was die meisten in solchen Situationen auch tun: Er gab auf und widmete sich neuen Projekten. Nichts kam zustande, der gehypte Regisseur machte fünf Jahre lang keinen neuen Film, bis ihm bewusst wurde, dass er «The Fountain» machen musste. Neue Darsteller:innen, neues Drehbuch, halbes Budget, doppelter Eifer. Der Film, der so entstanden ist, enthält dieses Scheitern – seinen eigenen Tod und die Wiedergeburt. Und eine bessere Erklärung für seinen Kultstatus wäre, dass «The Fountain» bei jeder Betrachtung neue Seiten offenbart. Er verändert sich und wir uns mit ihm. In aller Lächerlichkeit, in aller Grandiosität.

Unterschätzt

In dieser Rubrik würdigen wir Filme, die zu Unrecht vergessen gingen oder nicht die Aufmerksamkeit erhielten, die sie verdienen. Bisher erschienen: «Das Höllentor von Zürich» von Cyrill Oberholzer und Lara Stoll («wobei» 1/20), «Showgirls» von Paul Verhoeven («wobei» 1/21) und die tschechische TV-Serie «Die Besucher» von Ota Hofman und Jindřich Polák («wobei» 1/22).