Platzfrage: Auch Golfplätze könnten öffentlich sein

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Utopien sind enge Grenzen gesetzt: Im öffentlichen Raum steht der geteilte Luxus immer mehr unter Druck. Und doch zeigt er sich vielerorts erstaunlich widerstandsfähig.

Illustration von Luca Schenardi: mehrstufiger Brunnen aus Gold

Jeden Tag kurven unzählige wohlgeformte Menschen auf teuren Velos an den charmanten Cafés und sympathischen Ladengeschäften der Zürcher Weststrasse vorbei. Die ehemalige Hauptverkehrsachse ist ein Vorzeigeprojekt der Zürcher Stadtplanung, ein Schaufenster der Sozialdemokratie: Die Autos sind verdrängt; stattdessen bietet die saubere, verkehrsberuhigte Strasse Sitzgelegenheiten, kleine Plätzchen, mehrere Orte der Begegnung im Quartier. Dieser hübsche, entschleunigte Raum, mitten in der Stadt: Sieht so öffentlicher Luxus aus?

Doppelter Luxus

Es gibt da eine Weisheit, die Börsengurus an lernwillige Anleger:innen weitergeben: ­«Luxus geht immer». Noch in den schlimmsten Wirtschaftseinbrüchen, inmitten massenhaft zerstörter Existenzen, finden protzige Uhren, Markenaccessoires und Sportautos stabilen Absatz, schliesslich gibt es immer jene schmale Schicht, die über sämtlichen Einschnitten und Verwerfungen zu schweben scheint, ja von ihnen zu profitieren weiss. Nicht zufällig heisst heute der reichste Mann Europas, vielleicht sogar der ganzen Welt Bernard Arnault: Er ist CEO des französischen Luxusgüterkonzerns LVMH. Weit über 200 Milliarden US-Dollar soll Arnault besitzen.

Sein Geschäft mit dem Luxus lebt davon, Status zu versprechen. Abgrenzung, Überlegenheit. Ein Produkt ist erst ein Luxusgut, wenn möglichst viele Ressourcen und Arbeitsstunden darauf verschwendet worden sind – und wenn möglichst wenige Menschen es besitzen. Luxus heisst demnach, exklusiven Zugriff auf knappe Güter zu haben.

Dabei empfinden die allermeisten Menschen schon sehr viel profanere Dinge als Luxus. Ein stressfreier Tag ohne Termine, ganz allein oder mit netten Menschen, schöne Begegnungen mit Unbekannten – an einem Ort ohne den Zwang, sich so oder anders verhalten zu müssen. Und vor allem ganz ohne den Zwang, Geld ausgeben zu müssen. Wenn Luxus gar kein Geschäft sein muss, kann geteilter Luxus auch doppelter Luxus sein.

Im öffentlichen Raum materialisieren sich die Gegensätze zwischen diesem geteilten, öffentlichen und dem privaten Luxus. Dort die Caféterrasse, wo der Flat White so viel kostet wie drei selbstgekochte Mahlzeiten – da der Dosenprosecco auf der Parkbank; schmucklose Kiesplätze, die von Boulespieler:innen belebt werden; öffentliche Grills an öffentlichen Seezugängen; Bibliotheken, die rege als kostenfreie Arbeits- und Aufenthaltsorte genutzt werden; Museen mit symbolischen Eintrittspreisen oder Trinkwasser an Tausenden Brunnenanlagen im ganzen Land.

Bei genauem Hinschauen droht dieser Form des Luxus aber allzu oft die Verdrängung, allenthalben wird er angeknabbert. Die Dynamik lässt sich als einer der «Grenzkämpfe» verstehen, wie es die US-amerikanische Philosophin Nancy Fraser nennt. Als Konflikt zwischen der «Wirtschaft» – also der vermessenen, in Zahlen, Diagramme und Kurven gegossenen Welt, die zur ständigen Expansion verdammt ist und folglich alles irgendwie Erdenkliche in ihre Profitlogik einzuhegen und zu monetarisieren versucht – und dem, was sich ihr bislang zu entziehen vermochte.

Das kommt oft ganz harmlos daher, wenn etwa öffentliche Plätze in immer kürzeren Abständen mit Streetfoodfestivals, Kleinmessen und Märkten bespielt werden, deren horrende Produktpreise von ebenso horrenden Standmieten zeugen. Oder wenn Baugerüste mit gigantischen Werbeflächen abgedeckt werden, um uns bloss nie glücklich werden zu lassen mit dem, was wir bereits haben.

Oder es kommt weit aggressiver daher: wenn Parkbänke so gebaut werden, dass auch bestimmt kein Mensch einigermassen bequem darauf schlafen kann. Wenn die Polizeipräsenz hochgefahren wird, sobald sich irgendwo zu viele Menschen treffen, die dort nicht erwünscht sind.

Zentimeter für Zentimeter

Und manchmal sind es die ganz kleinen, oft unbemerkten Dinge. Zum Beispiel das Trottoir: Es gehört immer noch den Fussgänger:innen, die mal in Eile und mal gemächlicher, mal mit Hund, Einkaufstaschen oder Kinderwagen unterwegs sind. Das Trottoir braucht keine Gehregeln, denn mit etwas Rücksicht kommen üblicherweise alle aneinander vorbei.

Anders ist es mit den Autos. Ihnen gehören nicht nur die Strassen, sondern quadratkilometerweise zusätzliche Flächen, auf denen sie ungenutzt rumstehen dürfen. Gemäss der Arealstatistik des Bundesamts für Statistik dient fast ein Drittel der gesamten Schweizer Siedlungsfläche als «Verkehrsfläche». Aber das reicht nicht: Die Parkfelder entlang der Strassen sind heute oft zu schmal für handelsübliche SUVs. Ungestraft verstellen diese deshalb immer grössere Teile der Trottoirs. So steht der private Luxus jener, die ihre einsamen Staustunden morgens und abends gern möglichst geräumig verbringen, allen anderen immer stärker im Weg. Eine eigentliche Landnahme, Zentimeter für Zentimeter.

Wo es ihn gibt, steht der geteilte Luxus im öffentlichen Raum unter beständigem Druck – vielerorts aber ist er erstaunlich widerstandsfähig. Es funktioniert verblüffend gut, wenn in einem Pärkchen eine kleine Bibliothek steht, in der Passant:innen Bücher hinterlegen und mitnehmen können. Wenn da ein Kühlschrank brummt, in dem die einen ihre ungenutzten Lebensmittel deponieren, damit andere sich daran bedienen. Oder wenn sich beim Gestänge des öffentlichen Gym junge Menschen die besten Trainingseinheiten zeigen und Komplimente für ihre schönen Oberkörper austauschen.

Luxuriös aufgewertet

Warum also die Utopie nicht weiterspinnen, die Grenzkämpfe vehementer führen? Und grösser denken: Auch Golfplätze, die übrigens fast fünfzehn Prozent der gesamtschweizerischen Fläche von «Erholungs- und Grünanlagen» ausmachen, könnten öffentlich sein. Warum nur ein öffentlicher Grill? Warum keine ganze Kücheninfrastruktur, wo beflissene Köch:innen nicht nur sich selbst, sondern gleich auch viele andere bekochen könnten? Und warum muss eigentlich alles immer draussen im Freien sein? Braucht es nicht gerade in der kalten Jahreshälfte viel mehr öffentliche Innenräume? Parkhäuser etwa könnten Wärme und ein Dach über dem Kopf bieten, wenn sie denn leer stünden. Das würde auch die Repression gegen herumlungernde Jugendliche obsolet machen, die Dosenbier in Bahnhofshallen und Treppenhäusern trinken, statt sechs Franken pro Bier in einer Bar auszugeben.

Solchen kommunalen Utopien sind aber enge Grenzen gesetzt, weil ihnen ein fundamentaler Widerspruch zugrunde liegt: An kaum einem anderen Ort tritt dieser so deutlich zutage wie an der Zürcher Weststrasse, die seit ihrer Verkehrsberuhigung so verheissungsvoll utopisch daherkommt. Welche Wirkung diese nämlich auf die Anwohner:innen der Strasse hatte, untersuchte die Zürcher Kantonalbank in einer Studie: Komplettsanierungen, Ersatzneubauten – der durchschnittliche Preis einer neu vermieteten Dreizimmerwohnung hat sich nach der Verkehrsberuhigung sofort um fünfzig Prozent erhöht, von 1600 auf 2400 Franken. Der Aufwertungsprozess, schliesst die ZKB, wirke sich negativ auf die bisherigen Mieter:innen aus, die «sich neu orientieren müssen».

Wenn geteilter Luxus im öffentlichen Raum bedeutet, dass durch ihn Immobilien aufgewertet, Mietpreise angehoben und in der Folge überhaupt alles ringsum verteuert wird, dann bedeutet er ironischerweise eben doch wieder: Abgrenzung, Überlegenheit. Und schon hat der private Luxus wieder einen Grenzkampf gewonnen. In die Höhe schnellende Kosten legen sich dann wie eine unsichtbare, aber allzu reale Mauer um die Biotope der wohlständischen Unbeschwertheit.

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