Das Bundesgerichtsurteil: Zuflucht von Schurken

Ich habe mich durch die 34 Seiten des Urteils durchgekämpft. Die ersten zwanzig Seiten erklärten, soviel ich überhaupt verstehen konnte, dass alles, was mir Ende 1943 geschah, vollkommen rechtmässig gewesen ist. Der Rest des Urteils war – mehr oder weniger – eine Rechtfertigung der damaligen Massnahmen gegen Flüchtlinge aller Art und besonders gegen jüdische Flüchtlinge.
Auf Seite 22 steht: «Eine Invasion deutscher Truppen war nicht auszuschliessen.» Dies im Zusammenhang mit der Übergabe von jüdischen Flüchtlingen an die deutschen Behörden. Zweifelsohne haben die Herren Bundesrichter Recht. Eine Invasion ist eigentlich auch heute nicht ausgeschlossen, aber ist sie wahrscheinlich?
Wir wurden unseren Henkern Ende 1943 ausgeliefert, ein ganzes Jahr nach Stalingrad und zu einem Zeitpunkt, in dem deutsche Truppen überall in der Defensive waren. Eine freie Schweiz war damals sehr wichtig für die deutsche Kriegswirtschaft. Eine besetzte Schweiz nicht. Ich glaube nicht, dass die Rettung von zwanzigtausend jüdischen Flüchtlingen, die durch die unmenschlichen Massnahmen der Schweizer Behörden ums Leben kamen, der Grund für eine deutsche Invasion gewesen wäre.
Die Flüchtlinge, die umgebracht wurden, waren die Opfer von Antisemitismus. Es ging nicht darum, die Schweiz zu schützen. Die Schuldigen haben sich als Patrioten verkleidet. Der im 18. Jahrhundert lebende britische Schriftsteller Samuel Johnson hat etwas zu solchem Patriotismus zu sagen gehabt: «Patriotism is the last refuge of a scoundrel.»* Er hatte Recht.

*«Patriotismus ist die letzte Zuflucht eines Schurken.»