Der Samba der Illusionen ist vorbei: Endlich: Es wird wieder verstaatlicht

Wer in den letzten Monaten die Debatte um den Service public verfolgt, versteht auf den ersten Blick die Welt nicht mehr.

Die Chaostheorie ist schon wieder etwas aus der Mode gekommen. Vermutlich zu Unrecht. Zuerst überholt die CVP die SP-Gurten-ManifestlerInnen links. Kurz darauf erklärt Christoph Blocher in einem wenig beachteten Interview mit der «Bilanz», er sei gegen die Privatisierung der Kantonalbanken und in Sachen Elektrizität für eine nationale staatliche Netzgesellschaft. Und die NZZ doppelt am 18. August 2001 auf einer ganzen Seite mit der Feststellung nach: Das Volk habe den Service public wiederentdeckt und deshalb brauche es für das flächendeckende Poststellennetz vielleicht auch Subventionen. Öffnen sich Fenster für linke Politik?

Schawis Abgang mit Umarmung

Lange Zeit gab es für die versammelten bürgerlichen Medienpolitiker nur ein Thema: Private Radio- und Fernsehsender sind besser als staatliche. Es braucht Wettbewerb im Markt und der linken SRG müssen bei den Gebühren die Flügel kräftig gestutzt werden.
Der Radiopirat Roger Schawinski ging wenig Konflikten aus dem Weg. Über permanente Provokationen erstritt er sich Freiräume im Äther. Jetzt muss Roger Schawinski das Handtuch werfen und sich beim halbwegs vergoldeten Abgang noch von Heinrich Coninx in aller Öffentlichkeit kurz, heftig und unbeholfen umarmen lassen. Das Scheinwerferlicht kennt keine Gnade.
Kein rechter Politiker und auch keine linke Politikerin rührte auch nur einen kleinen Finger für «Tele 24», für das einzige private nationale Fernsehen, das im Ansatz über Politik berichtete. Und der sichtlich schadenfrohe Moritz Leuenberger erklärte, seine Beamten hätten immer schon gewusst, dass sich privates Fernsehen nicht rechnet.
Nicht genug. Im «Cash» doppelte der liebevoll kräftige CVP-Berggorilla Armin Walpen nach: Privates Fernsehen könne in der Schweiz gar nicht funktionieren. Das sei schon immer klar gewesen. Deshalb nennt der SRG-Chef seine staatlichen Kistchen, die in vier Sprachen senden, einen unverzichtbaren «Service au Public».
Privates Fernsehen ist in der Schweiz so erfolgreich wie «Big Brother». Bevor es richtig begonnen hat, ist es auch schon wieder vorbei. Und fast niemand bedauert es.

Vanessa und die Bankanalysten

Während Jahren predigten Martin Ebner und Co.: Wer Aktien kauft, wird ohne Arbeit reich. Je länger, desto schneller. Die Analysten aller Banken rieten den Anlegern, auf den unwiderstehlichen Durchbruch der New Economy zu setzen.
Hunderttausende von Schweizerinnen und Schweizern stiegen ein. Die Tifigeren schneller, die Bedächtigeren später. Und jetzt machen hunderttausende die Erfahrung, dass der Kapitalismus geschaffenes Kapital zyklisch zerstört, um die Basis für den nächsten Aufschwung zu schaffen.
Ausgerechnet das Fernsehen DRS ersetzte in den letzten Jahren wirtschaftspolitische Analysen systematisch durch scheue Fragen an alles besser wissende Bankanalysten. Gewerkschaften und Angestelltenverbände wurden selten befragt. Abseits jeder medialen Aufmerksamkeit werkelten die Uni-Professoren der Ökonomie von St. Gallen bis Genf an ihren Modellen und Erkenntnissen. Zum Zug kamen im Staatsfernsehen immer nur die Bankanalysten, wenn es darum ging, das grosse Räderwerk der Ökonomie zu erklären.
Da staatliche Betriebe etwas zur Trägheit neigen, dürfen die versammelten jungen Bank-Gurus noch immer alles kommentieren. Aber ihre Sprache wird immer hohler und ihre Gesichtsausdrücke spiegeln zunehmend ihre eigene Ratlosigkeit.
Einzig der «Kassensturz» zieht die Bankanalysten mit Darts spielenden Kinder durch den Kakao. Als Scheibe dienen dem spielerischen Nachwuchs zur Ermittlung der Tipps die Wirtschaftsseiten der NZZ. Und so liegt zurzeit die knapp zehnjährige vergnügte Vanessa besser im Rennen als alle Bankanalysten.

Swisscom will Cablecom

Die Wahrheit über die Cablecom liegt immer noch etwas im Dunkeln. Die alte PTT durften die Mehrheit bei der Cablecom wegen der Bürgerlichen nicht übernehmen. Deshalb erwarben sie nur ein Drittel der Aktien. Ein weiteres Drittel der Aktien erwarb auf Drängen der PTT deren damalige Hauslieferantin, die Siemens. Damit hatten die PTT faktisch die Kontrolle über die Cablecom.
Anstatt diese Infrastruktur ganz zu übernehmen, zwang der Bund als Hauptaktionär die neu geschaffene Swisscom, ihren Anteil an Cablecom abzustossen. Siemens Schweiz verkaufte auch und strich in der damaligen Kommunikationseuphorie einen unverhofften Gewinn ein.
Die Cablecom weiss heute nicht mehr wie weiter. Die laufenden Kosten sind fünf Mal so hoch wie die laufenden Erträge. Die Schweiz kann sich keine doppelte Breitband-Infrastruktur leisten. Die auf flüssigen Milliarden sitzende Swisscom möchte deshalb gerne die Cablecom übernehmen. Dagegen ist nichts einzuwenden, da inzwischen feststeht, dass die Mehrheit der Swisscom dank dem Schwenker der CVP sicher beim Bund bleibt.
Swisscom-Chef Jens Alder wirbt in der «Finanz und Wirtschaft» für sein Projekt. Pascal Couchepin gibt in der «Berner Zeitung» verklausuliert seinen ordnungspolitischen Segen. Nur Gewerkschaften und Linke sind so sehr mit sich beschäftigt, dass sie diesen Prozess nicht mit klaren Forderungen vorantreiben.
Die staatliche Swisscom wird bald einmal alle Haushalte mit einem Breitbandkabel versorgen. Dritte werden dieses Netz mitbenützen dürfen, aber die etwas trägen Schweizerinnen und Schweizer werden ihrem Exmonopolisten die Treue halten.

Kantonalbanken mit Post

Christoph Blocher ist neu gegen die Privatisierung der Kantonalbanken. Seine Begründung: Sonst würden die Kantonalbanken nur von den Grossbanken geschluckt. Sein Motiv: Viele gewerbliche Mittelständler wurden von den Grossbanken in den letzten Jahren wie Halbschuhe behandelt. Unter der Oberfläche kocht es.
Parallel dazu wird die Wettbewerbskommission die Konditionen der Kreditkarten-Firmen vermutlich knacken. Sie können ihre hohen Kommissionen nicht mehr versteckt durchsetzen. Alle bar zahlenden müssten dann neu nicht mehr die Kredit-Kartenbesitzer subventionieren.
Dies wäre der Moment, wo Swisscom, Post und Kantonalbanken gemeinsam ein kostengünstiges und sicheres Zahlungssystem für die schweizerische Wirtschaft durchsetzen könnten.
Je schneller, desto besser. Denn der aufgeblasene Finanz- und Banksektor wird in den kommenden Jahren tief greifend restrukturiert werden.
Poststellen sind wichtig, aber nicht annähernd so wichtig wie die Frage, wer den ganzen Bereich des Zahlungsverkehrs zu Gunsten und zu Lasten wessen kontrolliert.

Ottos Warenposten

Die politischen Parteien dürfen es nicht; die Krankenkassen erst recht nicht: Die Spitalstrukturen in der Schweiz sind ein Tabu. Lokale Politikerinnen und Politiker aller Parteien verteidigen Regionalspitäler. Krankenkassen schützen private Rosinen-Picker-Kliniken.
Das Resultat: Der gleiche Eingriff in einem Hospital kostet im Kanton Neuenburg doppelt so viel wie im Kanton Luzern. Mit einem Unterschied: Im Kanton Luzern ist dank einem grossen Kantonsspital die spitalmedizinische Versorgung besser.
40 öffentliche Spitäler mit durchschnittlich je 500 Betten reichen, um alle entsprechenden Behandlungen und Eingriffe qualitativ besser als heute durchzuführen.
Die Kosten würden sinken, und ein Teil der sinkenden Kosten könnte der Verbesserung der Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals und der Assistenzärztinnen und -ärzte dienen.
Und wer fordert heute mittels staatlicher Planung die Schaffung von 40 Spitälern mit je 500 Betten? Die Grünen? Die SP? Die Krankenkassen?
Nein, es ist der umtriebige rechte Hansdampf in allen Gassen, Otto Ineichen. Der Restpostenhändler wird nichts bewegen, aber seine Vorschläge zeigen, dass richtig geplante staatliche Infrastrukturen gleichzeitig die Kosten senken und die Qualität verbessern können. Der Gedanke, dass staatliche Planung notwendig und gut sein kann, gewinnt im Diskurs der politischen Meinungen etwas naturwüchsig, unbemerkt und unkommentiert wieder die Hegemonie.

Die Strommarktöffner

Die Swisscom versteckt Umfragen, die zeigen, dass die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer gegen eine Privatisierung ist. Anders der für einmal löbliche Zürcher Regierungsrat. Er wollte von Claude Longchamps wissen, warum die Zürcherinnen und Zürcher nein gesagt haben zur Integration ihrer Elektrizitätswerke in die Axpo.
Der frei zugängliche Bericht macht klar: Die Öffnung des Strommarktes hat keine Chance, wenn den Bedenken der Gegnerinnen und Gegner nicht Rechnung getragen wird.
Drei Elemente sind bestimmend:
• Es braucht eine nationale und staatliche Gesellschaft, die das Hochspannungsnetz und dessen Regulierung kontrolliert.
• Die Verteiler müssen gezwungen werden, über genügend Produktionskapazitäten auch zu Spitzenverbrauchszeiten zu verfügen.
• Es braucht für die verschiedenen Netzebenen eine klare Produktivitätsvorgabe und Preiskontrollen.
Nachdem selbst Christoph Blocher eine nationale Netzgesellschaft fordert, ist der reale Spielraum für den Genossen Moritz Leuenberger und den mit der Sache immer noch beauftragten Eduard Kiener sehr gross. Sie müssten ihn nutzen, um mehr staatliches Eigentum mit mehr Markt zwecks Erhöhung der Produktivität zu kombinieren. Leider verhindert die neue SP-Logik, die mit dem Gurten-Manifest auf Reisen gegangen ist, staatliches Handeln im Interesse der Stromkonsumierenden.
Anders der Markt: Die Lonza AG verkauft ihre Kraftwerke an den französischen Staat und die badischen Gemeinden. Dank Martin Ebner und Christoph Blocher kommt es zur Verstaatlichung privater Schweizer Wasserkraftwerke durch öffentliche EU-Unternehmen. Das Kapital ist – wenn es um seinen kurzfristigen Vorteil geht – pragmatischer denn die regierende Sozialdemokratie.

Die Swissair ist eine Ausnahme

Nur bei der Swissair scheint sich alles in die falsche Richtung zu bewegen. In einem grossen nationalen Vertrauensakt legten Aktionäre, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie deren Gewerkschaften und Verbände das Schicksal der Swissair in die Hände von Mario Corti.
Niemand verlangte ernsthaft eine massive Finanzspritze des Bundes, eine gleichwertige Beteiligung der abtretenden Verwaltungsräte und die Hälfte des Kapitals für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die so oder so die Kosten der laufenden Umstrukturierung mittragen werden.
Jetzt verkauft Mario Corti das Tafelsilber. Nicht weil er es will, sondern weil er muss, weil ihm die notwendige Liquidität fehlt, um wesentliche Unternehmensbestandteile zu halten und zu entwickeln. Aber vielleicht bewegt sich auch hier plötzlich alles in Richtung einer Swissair, die überlebt, weil der Bund begreift, dass der Staat nicht zuschauen darf, wenn ohne Perspektive tausende von Arbeitsplätzen verloren gehen, wenn sich die Arbeitsbedingungen für zehntausende verschlechtern.

Zeiten wie diese politisch nützen

Die neoliberale Revolution war von langer Hand vorbereitet. Ganze Institute legten mit Studien, Publikationen und Zeitschriften den theoretischen Teppich für die Verschiebung der Gewichte zugunsten des Kapitals. Eine ganze Generation war fasziniert von Markt und Privatisierung, von sozialer Rücksichtslosigkeit und Kälte.
Und jetzt scheint das Wetter umzuschlagen, scheint der Hang zu rutschen, ohne dass die Linke eine vergleichbare theoretische Vorarbeit geleistet hätte, ohne dass breite Mobilisierung das Kapital und die Rechte in die Defensive drängt.
Das Produkt Neoliberalismus stinkt immer mehr Menschen, weil die Resultate für immer mehr von ihnen schlecht sind. Doch ohne wirtschaftspolitisch fundierte und funktionierende Alternativen wird der Samba der Illusionen beim nächsten weltweiten wirtschaftlichen Aufschwung wieder losgehen. Eigentlich müssten frau und mann Zeiten wie diese politisch nützen.

Peter Bodenmann ist Hotelier in Brig