Die Linke und der Service public (9): Wie viel Staat braucht die Swisscom?

Gegen eine naive Vogel-Strauss-Politik: Für seinen Vorschlag, die Mehrheitsbeteiligung an der Swisscom aufzugeben, wurde Bundesrat Moritz Leuenberger von seiner Partei kritisiert. Damit läute er das «Ende des Service public» ein, hiess es. Ein absurder Vorwurf, sagt Simonetta
Sommaruga.

Dienstleistungen im Service public sind für alle zugänglich und werden flächendeckend, in guter Qualität und zu möglichst günstigen Preisen angeboten. Service public hat also primär weder mit Staatsbetrieben noch mit Dienstleistungen etwas zu tun, die vom Staat erbracht werden. Oder ist die ambulante Medizin etwa kein Service public, nur weil sie nicht von staatlichen ÄrztInnen erbracht wird?
Zum Service public gehören aber auch die folgenden Anforderungen:
• Gleichbehandlung: Dienstleistungen des Service public garantieren die Gleichbehandlung. Distanzunabhängige Posttarife verhindern die Benachteiligung von Randregionen; das Krankenversicherungsgesetz verbietet die Diskriminierung von kranken oder älteren Menschen in der Grundversicherung.
• Kontinuität und Zuverlässigkeit: Die Kontinuität spielt beim Service public eine zentrale Rolle. Medizinische Leistungen und Notrufdienste müssen zwingend rund um die Uhr vorhanden sein. Auch im öffentlichen Verkehr oder bei der Post gehören Kontinuität und Zuverlässigkeit zu den wichtigsten Voraussetzungen, damit das Angebot Sinn macht.
• Qualität und Qualitätskontrolle: Gute Qualität und deren Kontrolle von unabhängiger Seite sind wesentlicher Bestandteil des Service public. Diesem Punkt haben wir bisher zu wenig Beachtung geschenkt; mit dem Resultat, dass wir zum Beispiel im Gesundheitsbereich in eine absurde Rationierungsdiskussion hineinschlittern, anstatt Qualitätskriterien aufzustellen und diese durchzusetzen. Qualität hängt aber auch ganz direkt mit den Produktionsbedingungen zusammen. Deshalb gehören zum Service public stets auch gute Arbeitsbedingungen; diese Anforderung gilt allerdings nicht nur für staatliche Betriebe, sondern für sämtliche Anbieter.
• Transparenz: Damit im Service public ein echter und fairer Wettbewerb möglich ist, brauchen wir Transparenz: bei der Preisbildung, den Arbeitsbedingungen und dem Leistungsangebot. Es ist in unserem Interesse, dass die NutzerInnen von Service-public-Dienstleistungen gut informierte und bewusste Entscheidungen treffen.
• Demokratische Mitsprache: Die demokratische Mitsprache bei der Gestaltung der Angebotspalette ist eine Grundvoraussetzung für den Service public. Einige verwechseln aber das Angebot mit dem Anbieter und meinen deshalb, der Service public könne nur durch Staatsbetriebe erbracht werden. Sie wollen die demokratische Mitsprache im Betrieb selber verwirklichen. Was dabei herauskommt, hat uns Peter Bodenmann kürzlich vorgemacht. Er fand, der Bundesrat solle die Swisscom dazu verpflichten, die ADSL-Technologie flächendeckend einzuführen (siehe WoZ Nr. 17/00). Damit wollte er die Swisscom stärken. Nun kann man mit der ADSL-Technologie zwei- bis dreimal schneller internetten – was durchaus erfreulich ist. Die Swisscom hat den Markt aber schon längst abgeklärt und festgestellt, dass im Moment kaum jemand bereit ist, für dieses schnelle Surfen jährlich hunderte von Franken auszugeben. Selbstverständlich wird die Swisscom – auch ohne politischen Druck – die geeignete Technologie sofort einführen, wenn die Nachfrage vorhanden ist. Die Vorstellung, dass die Politik ein staatliches Unternehmen zwingt, in eine von ihr bestimmte Technologie zu investieren – selbst wenn die Nachfrage fehlt –, ist absurd und zerstörerisch.

Die Rolle des Staates im Service public

Ich habe die Grundanforderungen an den Service public ausführlich formuliert, weil sie die umstrittene Frage nach der Rolle von Staat und Politik im Service public beantworten sollen. Die Politik muss im Service public weiterhin das Angebot, den Umfang, die Qualität, die Arbeitsbedingungen und die Transparenz demokratisch festlegen. Dazu brauchen wir in der Telekommunikation aber nicht unbedingt eine staatliche Swisscom. Bei den natürlichen Monopolen hingegen – wie zum Beispiel bei der Infrastruktur im öffentlichen Verkehr, der Briefpost oder den Medien – sind starke staatliche Unternehmen auch in Zukunft notwendig.
Kürzlich hat der Bundesrat mit zwei Vorschlägen in die ohnehin schon heiss geführte Diskussion über den Service public zusätzlich Öl ins Feuer gegossen. Auf die Stichworte «Postbank» und «Swisscom-Verkauf» hat die SP sehr schnell und – was den möglichen Swisscom-Verkauf betrifft – ablehnend reagiert. Nach einem ausführlichen Hearing, das die SP-Fraktion organisiert hat, scheint mir eine differenziertere Stellungnahme angebracht.

Die Post als Kreditvermittlerin

Die Post muss gemäss Postgesetz eine breite Palette von Dienstleistungen erbringen. Um diese zu finanzieren, hat sie zwei Möglichkeiten: Erstens verfügt die Post bei adressierten Briefen und Paketen bis zwei Kilo über das Monopol. Zweitens bietet sie weitere Dienstleistungen an und verwendet den Gewinn daraus ebenfalls für die Finanzierung der Pflichtleistungen.
Nun stehen Post und Politik vor der Herausforderung, dass die umliegenden Länder ihre Monopolgrenze für die Brief- und Paketpost dauernd senken. Da die Schweizer Post im Ausland von den tieferen Monopolgrenzen profitiert, ihren ausländischen Partnern aber kein Gegenrecht gewähren kann, muss sie in Zukunft mit massiven Nachteilen rechnen. Anstatt vor dieser – zugegeben unerfreulichen Entwicklung – die Augen zu verschliessen, sollten wir uns damit beschäftigen, wie die Post zusätzliche Mittel für die Grundversorgung und für die Erhaltung des Poststellennetzes generieren kann.
Der Einstieg ins Kreditgeschäft, wie ihn der Bundesrat vorsieht, ist eine mögliche Option. Sie ist auch deshalb interessant, weil die Post ihren KundInnen endlich eine vollständige Palette an Finanzdienstleistungen anbieten kann.
Allerdings sähe ich die Post im Kreditgeschäft lieber in der Vermittlerrolle, also in Partnerschaft mit den bestehenden lokalen und regionalen Banken, als mit einer eigenen Postbank. Die Rolle als Kreditvermittlerin bringt der Post zwar weniger Geld – aber auch weniger Risiken. Schliesslich möchte ich aber auch nicht dazu beitragen, dass eine eigenständige Postbank die regionalen Bankenstrukturen bedroht oder gar zerstört und damit die Monopolisierung der Grossbanken zusätzlich vorantreibt.
Weit hitziger als bei der Post verläuft die Diskussion über die Frage, ob der Bundesrat die Kompetenz erhalten soll, die Mehrheitsbeteiligung an der Swisscom aufzugeben. Bundesrat Moritz Leuenberger musste für diesen Vorschlag harsche Kritik einstecken. Man warf ihm vor, er würde «Volksvermögen verscherbeln» und das «Ende des Service public» einläuten.

Service public auch ohne Staat

Diese Vorwürfe sind absurd. Erstens kann der Verkauf der Swisscom unter bestimmten Umständen die einzige Rettung für dieses Volksvermögen bedeuten. Auch das gehört zu unserer politischen Verantwortung. Zweitens ist der Service public nicht mit dem Unternehmen Swisscom zu verwechseln. Der Service public ist im Fernmeldegesetz geregelt, und zwar viel detaillierter als zum Beispiel bei der Post. Das Gesetz macht nicht nur Vorgaben bezüglich Angebot, Umfang, Qualität und Transparenz, sondern es verlangt von sämtlichen Unternehmen, die eine Grundversorgungskonzession erwerben wollen, dass sie «die arbeitsrechtlichen Vorschriften und die Arbeitsbedingungen der Branche einhalten». Gegen einen Verkauf der Swisscom spricht also nicht die Sicherung des Service public, sondern wenn schon die Bedeutung dieses Unternehmens für den Industriestandort Schweiz. Immerhin handelt es sich bei der Telekommunikation um eine Schlüsseltechnologie mit einer hohen Wertschöpfung.
Es gibt allerdings Situationen, in denen ein Verkauf der Aktienmehrheit der Swisscom kein Verlust, sondern die einzige Überlebenschance für das Unternehmen Swisscom ist. Vor dieser Situation die Augen zu verschliessen und den Kopf in den Sand zu stecken, finde ich nicht nur naiv, sondern geradezu verantwortungslos. Damit die Swisscom ihre umfassenden Dienstleistungen im In- und Ausland anbieten kann, ist sie nämlich auf die Zusammenarbeit mit ausländischen NetzbetreiberInnen – und zwar für das Festnetz ebenso wie für den Mobilfunk – angewiesen. Immerhin gehen schon heute über 30 Prozent des Umsatzes der Swisscom auf die Benutzung von ausländischen NetzbetreiberInnen zurück; Tendenz steigend!
Ausländische Firmen verfügen aber in der Schweiz zunehmend über eigene Netze und Infrastrukturen. Sie sind deshalb auf die Zusammenarbeit mit der Swisscom immer weniger angewiesen. Sollte eines Tages mit ausländischen NetzbetreiberInnen keine Zusammenarbeit mehr zustande kommen – oder nur zu völlig überhöhten Preisen –, muss die Swisscom respektive der Inhaber der Aktienmehrheit handeln können, und zwar schnell. Immerhin stehen mit der Swisscom über 30 Milliarden Volksvermögen auf dem Spiel! Damit dem Bundesrat genau in dieser Situation nicht die Hände gebunden sind, braucht er die Kompetenz für den Verkauf.

Die Spreu vom Weizen trennen

Gleichzeitig geht es darum zu verhindern, dass der Bundesrat die Aktienmehrheit aus purer Privatisierungseuphorie verhökert. Deshalb müssen wir die Veräusserung der Aktienmehrheit an klare Bedingungen knüpfen und diese im Gesetz festhalten. Danach darf der Bundesrat die Aktienmehrheit nur abgeben, wenn der Käufer bereit ist, einen Aktionärsbindungsvertrag zu unterzeichnen.
Darin muss sichergestellt sein, dass die Wertschöpfung und die Arbeitsplätze der Swisscom, aber auch die Forschung und Entwicklung in der Schweiz bleiben. Solche industriepolitischen Strategien verfolgen übrigens auch andere Länder, wenn sie staatliche Betriebe verkaufen. Verträge zwischen Aktionären sind nichts Neues. Oder glaubt im Ernst jemand, dass bei der Übernahme der Sabena durch die Swissair der belgische Staat nicht klare Auflagen zugunsten des eigenen Standortes gemacht hat?
Die Diskussion im Parlament über die Bedingungen, an die ein Swisscom-Verkauf zu knüpfen sind, ist übrigens weit spannender als der ideologische Schlagabtausch pro und kontra Privatisierung. Hier nämlich wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Bürgerliche Hardliner müssen Farbe bekennen: Sind sie tatsächlich an einem starken Telekommunikationsstandort Schweiz interessiert? Oder geht es ihnen letztlich nur um ein möglichst schnelles Abstossen der Swisscom – und damit um ein Milliardengeschenk des Staates an die Privatwirtschaft?
Ist Letzteres der Fall, bin ich beim Referendum gerne – und mit guten Gründen – dabei.

Nachtrag

Als Simonetta Sommaruga diesen Text für die WOZ verfasste, war sie Berner SP-Nationalrätin. Der damalige Bundesrat Moritz Leuenberger trat im Herbst 2010 zurück, und das Parlament wählte Sommaruga zu seiner Nachfolgerin.