Die Linke und der Service public (13): Neu entflammte Staatsliebe

Der Entscheid zum Positionspapier der zwanzigköpfigen Arbeitsgruppe «Service public» fiel zwar nicht einstimmig, aber «eindeutig». Das betont der neue CVP-Präsident Philipp Stähelin. Das Papier sei in der letzten Fraktionssitzung der Partei breit diskutiert worden und habe keinen grundsätzlichen Widerspruch hervorgerufen. Man war sich einig, dass die CVP gut daran tut, jetzt ein Bekenntnis zu einem landesweiten Service public abzugeben. Mit der Betonung auf landesweit: «Wir wollen keinen Service public, der sich auf die Bahnlinie Bern–Zürich» beschränkt, präzisiert Stähelin. Das neue Positionspapier sei deshalb auch als ein Bekenntnis zur Kohäsion der Schweiz und zu den Randregionen zu verstehen. Wen wunderts: Die CVP lebt nach wie vor vor allem in und von den ländlichen Landstrichen und Regionen. Dort hat sie ihre Klientel und diese gilt es künftig wieder besser an sich zu binden. Zu viele Wahlstimmen hat die CVP in den letzten Jahren in ihren Stammlanden an die SVP verloren. «Mit dem neuen Positionspapier haben wir auch einen Kontrapunkt zur SVP setzen wollen», bestätigt der Briger CVP-Nationalrat Odilo Schmid. Wie die Mehrheit der Mitglieder der Arbeitsgruppe «Service public», die vom ehemaligen Parteichef und künftigen UBS-Lohnempfänger Adalbert Durrer geleitet wurde, ist auch er ein echtes «Randregionen-Kind».

Christdemokratischer Archaismus

Alle ehemaligen Bundesbetriebe, die Bahn, die Post, die Swisscom, ja sogar die Elektrizitätsnetzwerk-Gesellschaften sollen zu mindestens 51 Prozent in Bundeshand bleiben. So fordert es jenes Papier, das die Medien einmal mehr dazu veranlasst hat, die CVP als wankelmütige Partei von Wendehälsen zu beschreiben. In der Vernehmlassung zum sogenannten Post-Swisscom-Paket vom letzten April waren von der Katholikenpartei tatsächlich noch ganz andere Töne zu hören gewesen. Gegen einen Verkauf der Aktienmehrheit des Bundes an der Swisscom hatte die CVP damals nichts einzuwenden gehabt. Und nicht nur das: In einer dringlichen Interpellation hatte der Schwyzer CVP-Ständerat Bruno Frick im Juni 2000 sogar unverzüglich jene gesetzlichen Anpassungen verlangt, die einen Verkauf der Swisscom-Beteiligung des Bundes erst ermöglichten. Mitunterzeichnet hatten das Privatisierungsbegehren auch mehrere Mitglieder jener Arbeitsgruppe, die neuerdings nach der starken Bundeshand ruft. Zum Beispiel Parteichef Stähelin höchstpersönlich. Der Thurgauer sieht sich jedoch ganz und gar nicht als Wendehals. «Die CVP hat keinen politischen Schwenker gemacht, sondern nur eine graduelle Änderung ihres Kurses beschlossen.» Früher sei man der Meinung gewesen, eine Sperrminorität für den Bund bei der Swisscom reiche aus. Heute habe man dazugelernt und sei überzeugt, dass der Bund eben eine Mehrheitsbeteiligung brauche.
Ganz anders kommt die ordnungspolitische Neupositionierung seiner Partei beim Swisscom-Interpellanten Frick an. Für ihn ist sie «keine kleine Änderung», und er findet sie deshalb auch «sehr erstaunlich». Den Verfassern und wenigen Verfasserinnen des Papiers will Frick jetzt die «Chance geben, mir das alles zu erklären». Dass der Privatisierungsfreund Frick politischen Erklärungsbedarf verspürt ist verständlich. Schliesslich sass er nicht in Durrers Arbeitsgruppe und war auch an der Fraktionsdiskussion nicht mit dabei. Dass sich vom neuen CVP-Papier im Nachhinein aber auch einzelne jener Persönlichkeiten distanzieren, die dafür offiziell zeichnen, macht stutzig. «Das Positionspapier ist eine Art Suppe. Alles wird mit allem vermischt», sagt etwa der Waadtländer CVP-Nationalrat Jacques Neirynck. Er habe gar nie an einer Arbeitsgruppen-Sitzung teilgenommen, erklärt der Uniprofessor spürbar verärgert. Das Papier interessiere ihn deshalb auch nicht, denn es strotze nur so vor Konservatismus und vor Archaismus. Beim Service public gehe es nicht darum, die Randregionen und irgendwelche Arbeitsstellen, die viel zu teuer seien, zu retten. Beim Service public gehe es einzig und alleine darum, möglichst gute Dienstleistungen möglichst billig anzubieten. «Ich habe mit einem Nationalratskollegen einen Vorstoss gemacht, der die Trennung von Infrastruktur und Betrieb bei der Swisscom fordert. So wie sie auch die Bahnorganisation in Grossbritannien vorsieht. Meinen Sie, diese doch sehr interessante Idee sei in der CVP auch nur diskutiert worden?» Für neue Ideen habe die CVP überhaupt kein Gehör. Neirynck: «Sie handelt rein reaktiv.» Über die neu aufgeflammte Liebe der CVP zur starken Bundeshand scheint parteiintern das letzte Wort also noch nicht gefallen zu sein.

Predigten und Aha-Erlebnisse

«Auch in der Politik darf man gescheiter werden», verteidigt sich und das umstrittene CVP-Papier Parteipräsident Stähelin. Schliesslich hätten die Erfahrungen etwa bei der Energieversorgung gezeigt, dass eine Minderheitsbeteiligung der öffentlichen Hand zur völligen Handlungsunfähigkeit führen könne. «Ich denke etwa an die NOK-Beteiligung an der WATT», so Stähelin.
Pate für das neue CVP-Papier stand aber auch der zunehmende Privatisierungskoller bei der Bevölkerung. «In letzter Zeit wurde das Thema ‘Service public’ zu einem hoch emotionalen, sensiblen Thema», erklärt der Appenzell-Innerrhoder CVP-Nationalrat Arthur Loepfe, auch er ein Mitglied von Durrers Arbeitsgruppe. Die Leute hätten Angst bekommen, dass Poststellen geschlossen würden und dass auch beim Service public allein der Markt über Leistungen und Preise entscheiden könnte. Loepfe: «Da war diese eher ungeschickt geführte Diskussion über den Shareholder-Value. Da waren diese Negativbeispiele von misslungenen Privatisierungen, die Stromausfälle in Kalifornien, die Probleme mit der Eisenbahn in Grossbritannien. Da war diese Diskussion über die Abzockerei von Managern.» All diese diffusen Ängste hätten beim Bürger eine Gegenreaktion gegen Globalisierung und Privatisierung erzeugt. Diese Ängste müsse man ernst nehmen. Er persönlich glaube zwar nach wie vor fest an die Kraft des freien Marktes, so der Unternehmensberater weiter. Doch dürfe man nicht übertreiben. Und auch Parteipräsident Stähelin doppelt nach: Den Stimmungsumschwung in der Bevölkerung habe nämlich auch der Freisinn zur Kenntnis genommen. Auch wenn die FDP jetzt mit einem Aufschrei auf das CVP-Papier reagiere, höre er «auch aus dieser Partei ein Zurückdenken».
«Solange die Begriffe Globalisierung und Privatisierung abstrakt waren, so lange liess man sie auch in der CVP hochleben», sagt Odilo Schmid. «Doch dann wurden die Begriffe plötzlich praktisch. Und manch einer, der bis anhin den Neoliberalismus gepredigt hatte, als handle es sich dabei um die Bibel, merkte plötzlich, dass die Privatisierung auch ihn und sein Umfeld treffen konnte.» Als Vertreter des linken CVP-Flügels weiss Schmid, wovon er spricht: Unzählige Male bekam er in den letzten Jahren besagte Bibel um die Ohren gehauen. Damit scheint es zumindest vorderhand vorbei zu sein. Die verschiedenen Aha-Erlebnisse der letzten Zeit wirkten wie eine politische Läuterung. So auch der kürzlich vom Bundesamt für Verkehr (BAV) bekannt gegebene Sparbeschluss für die Schweizer Privatbahnen. Er kommt einem eigentlichen Investitionsstopp bis zum Jahr 2005 gleich und trifft auch CVP-Stammlande (vgl. unten stehenden Artikel). Laut Stähelin hat sich auch die Arbeitsgruppe «Service public» mit diesem Beschluss befasst. «Wir waren klar der Meinung, dass es nicht geht, wenn sich der Bund immer mehr aus der Subventionierung der Verkehrsinfrastruktur verabschiedet.» Keine Privatisierung der Schiene: So fordert es auch das neue CVP-Papier.