Kulturkampf: Sind das die Keime der Zukunft?
Im slowakischen Kulturministerium regieren Flacherdler und Verschwörungstheoretikerinnen. Ein Erfahrungsbericht aus dem Widerstand gegen die prorussische Regierung unter Ministerpräsident Robert Fico.
Zum Jahresbeginn wurde in Bratislava der erfahrene Direktor des Slowakischen Literaturzentrums ohne Begründung entlassen. Man kennt diese Institution auch in Deutschland – von Ständen bei den beiden grossen Buchmessen in Leipzig und Frankfurt, aber auch von Lesungen in Literaturhäusern und Bibliotheken. Deutschsprachige Verlage können beim Slowakischen Literaturzentrum finanzielle Unterstützung für die Übersetzungskosten von Werken slowakischer Autor:innen beantragen. Nur so ist die länderübergreifende Verbreitung kleinerer Literaturen in Europa überhaupt noch möglich.
Schon letztes Jahr gab es eine Welle von Entlassungen in insgesamt dreissig kulturellen Institutionen wie der Nationalgalerie, dem Nationaltheater oder dem Nationalmuseum, die alle direkt dem Kulturministerium unterstellt sind. Bloss vier dieser Institutionen werden heute noch von der alten Führungscrew geleitet. Die Kulturministerin Martina Šimkovičová hat vom ersten Tag im Amt an klargemacht, dass es für sie nur eine rein slowakische Kultur geben soll. Und sie hat viel unternommen, um die Vergabe von öffentlichen Fördergeldern an Minderheiten oder Andersdenkende einzuschränken.
Leider kein Witz
Šimkovičová hat auch gleich einen neuen Direktor für das Literaturzentrum vorgeschlagen: einen bekannten Verschwörungstheoretiker, prorussischen Propagandisten, Plagiator und Impfgegner. Mit diesem Profil passt er perfekt zum extrem rechten Weltbild der Kulturministerin, die er lautstark unterstützt. Eine transparente Ausschreibung für Direktionspositionen ist zwar immer noch vorgesehen und war bis anhin auch üblich. Aber das Gesetz erlaubt auch eine direkte Berufung durch die Kulturministerin – eine Option, von der Šimkovičová nun ständig Gebrauch macht.
Auch sie vertritt ultranationalistische Einstellungen und verbreitet Verschwörungsmythen wie jene vom «Grossen Austausch». Im August 2024 verkündete Šimkovičová, das «Aussterben der weissen Rasse» werde durch LGBTIQ+-Personen verursacht. Der Generalsekretär des Kulturministeriums, Lukáš Machala, wiederum glaubt, dass der Geheimbund der Illuminaten den Islam benutze, um unsere Zivilisation zu zerstören. Das habe Putin herausgefunden. Die Amerikaner hätten den Kyjiwer Maidan angezettelt und in der Ukraine eine «zionistische Marionettenregierung» installiert. Er bezweifelt, dass die Erde rund ist, und neulich warnte er auf seinem Telegram-Kanal vor einer ausserirdischen Invasion. Das ist alles leider kein Witz.
Gemeinsam mit zahlreichen Kolleg:innen aus der Literaturszene habe ich einen öffentlichen Aufruf gegen diese skandalöse Nominierung verfasst. Auch der kulturelle Warnstreik dauert bereits seit Monaten an. Nach fast jeder Theatervorstellung, jeder Lesung oder jeder Vernissage wird das Publikum in kurzen kritischen Ansprachen über die aktuellen Ereignisse in der Kulturszene informiert. Die Kultur ist in der Slowakei zu einem wichtigen gesellschaftlichen und politischen Schauplatz geworden.
Ficos Kehrtwende
Auch die bürgerliche Initiative «Mier Ukrajine» (Frieden der Ukraine) brauchte nur zwölf Stunden, um kurz vor und kurz nach Weihnachten landesweite Demonstrationen zu organisieren. Tausende Menschen versammelten sich auf dem Platz der Freiheit in der slowakischen Hauptstadt Bratislava, um gegen die prorussische Politik des Ministerpräsidenten Robert Fico zu protestieren. Auf einem Schild stand einfach: «Es riecht nach Verrat!»
Die Demonstrationen begannen nach Ficos überraschendem Besuch bei Wladimir Putin in Moskau, nur wenige Tage nachdem die Ukraine am 1. Januar den Gastransit von Russland nach Europa über ihr Gebiet gestoppt hatte. Fico kritisierte Kyjiw scharf für die Einstellung und droht, die Energieversorgung der Ukraine zu unterbrechen und sogar die Unterstützung für die geflüchteten Ukrainer:innen einzustellen.
Als Russland im Februar 2022 seine gross angelegte Invasion der Ukraine startete, wurde die Slowakei zuerst zu einem wichtigen Unterstützer des östlichen Nachbarlands. Als erster Staat überhaupt stellten wir der ukrainischen Armee sogar Kampfflugzeuge und ein S-300-Luftverteidigungssystem zur Verfügung. Im September 2023 vollzog die unterdessen vierte Regierung des immer rechter werdenden Populisten Robert Fico jedoch eine Kehrtwende. Mit einer Rhetorik, die den Westen für den Krieg Russlands verantwortlich macht, und mit dem Schwur, Kyjiw keine militärische Hilfe zu leisten, schlug die Slowakei einen ähnlichen Weg wie das Nachbarland Ungarn ein.
Der Künstler Rudolf Sikora, einer der Hauptredner bei den Protestveranstaltungen, rief die slowakischen Oppositionsparteien dazu auf, sich mit Aktivistinnen und Bürgerverbänden gegen den russischen Einfluss zu verbünden. «Ich bitte Sie, Oppositionspolitiker, kommen Sie vernünftig zusammen», so Sikora. Der Achtzigjährige ist eine Legende der slowakischen Kultur und des demokratischen Widerstands. In den 1970er und 1980er Jahren wurde er über hundert Mal von der kommunistischen Staatssicherheit als Dissident verhört. Im November 1989 bereitete er die «Samtene Revolution» vor.
Fröhliche Apokalypse?
Die Entwicklungen in der Slowakei sind ein Warnsignal: Sie zeigen, was für Folgen es haben kann, wenn man mit den neuen Rechten koaliert. Gerade auch für die Kultur. Kaum eine Kunstgalerie, kaum ein Museum oder Theaterfestival hat den Kulturkampf der Ministerin Šimkovičová nach nur einem Jahr unbeschadet überstanden. Bereits nach kurzer Zeit wurden in vielen Institutionen tiefgreifende Änderungen mit nachhaltigen Konsequenzen durchgesetzt.
Die endlosen Streitereien der demokratischen Parteien, die Unfähigkeit zu Kompromissen, die mangelnde Bereitschaft, von eigenen Positionen abzurücken – all das führt dazu, dass am Ende immer weniger proeuropäische, demokratische Regierungen gebildet werden. Chaos und die Geplänkel in unserem Zeitalter der multiplen Krisen führen dazu, dass die radikalen Parteien ihre Umfragewerte steigern können. Und sich sogar absurderweise – wie etwa die österreichische FPÖ mit ihrer langen Geschichte kolossaler Korruptionsskandale – zu «Garanten der Stabilität» stilisieren können.
Wird die liberale Demokratie in der Slowakei und anderswo überleben? Immer deutlicher zeichnet sich ein starkes Bündnis zwischen der globalen Techoligarchie und den neuen extrem rechten Regierungen ab. Auch die slowakische Kulturministerin Šimkovičová verdankt ihren steilen politischen Aufstieg fast ausschliesslich den sozialen Medien. Bald droht mitten in Europa die Entstehung einer fünften Kolonne des totalitären Russland. Die slowakisch-ungarisch-österreichisch-tschechische Allianz der kleptokratischen Autokraten ähnelt auf der Landkarte der alten Donaumonarchie. Oder erinnert sie vielleicht eher an die «fröhliche Apokalypse» des Wiener Dichters Hermann Broch?
Schauen Sie öfter in Richtung Osten. Das Chaos dort enthält die Keime der Zukunft.
Michal Hvorecký (48) ist Schriftsteller («Tahiti Utopia») und Journalist. Er lebt in Bratislava.