Diesseits von Gut und Böse: Demokratische Knieschüsse

Nr. 47 –

Bei allen Vorzügen der direkten Demokratie gibt es doch hin und wieder Situationen, in denen sich selbst zutiefst freiheitlich gesinnte Naturen nur noch schluchzend die Haare raufen mögen. Und damit sind keineswegs die sogenannt schlechten Verlierer:innen gemeint, denen ein Abstimmungsergebnis nicht passt. Es gibt demokratische Regeln, die man sich in guter Absicht gab, deren Anwendung jedoch zu Ergebnissen führen kann, an denen auch aufrechte Demokrat:innen schier verzweifeln.

Zum Beispiel in der Bergregion Obersimmental-Saanenland: Bei Abstimmungen über den Erhalt des Akutspitals Zweisimmen müssen alle zugehörigen Gemeinden als Ganzes mit Ja gestimmt haben, sonst gilt die Vorlage als abgelehnt.

An einem ersten Versuch, das Spital mit seinem 24-Stunden-Notfall-Betrieb zu erhalten, waren im August sieben Gemeinden beteiligt: Sechs stimmten zu, nur in der kleinsten standen 98 Nein 97 Ja gegenüber. Das Vorhaben war abgelehnt.

Daraufhin erarbeiteten die sechs zustimmenden Gemeinden gemeinsam eine neue Vorlage, das «Gesundheitsnetz Simme Saane», das letzten Sonntag zur Abstimmung kam. Bei einer Stimmbeteiligung von über 55 Prozent gab es in fünf Gemeinden Ja-Stimmen-Anteile zwischen 63 und 92 Prozent für den Spitalerhalt, in der sechsten Gemeinde kam es zum Patt: 147 Ja zu 147 Nein. Und dieses Unentschieden wird – wieder gemäss der gemeinsamen Regel – für alle als Nein gewertet. Das Spital muss weg. Und mit ihm das Geburtshaus, das dem Spital angeschlossen ist.

Dass sich die befürwortende Seite jetzt in einem Schockzustand befindet und in manchen Köpfen höchst undemokratische Gedanken aufgeblitzt sein dürften, ist nachvollziehbar: Gebärende Frauen und Notfallpatient:innen werden sich nach der Spitalschliessung auf den Weg ins rund fünfzig Kilometer entfernte Thun machen müssen, zumindest bis der Kanton Bern ein neues Konzept zur Gesundheitsversorgung erarbeitet hat.

Das Ständemehr funktioniert ja so ähnlich: Eine Mehrheit von kleineren Kantonen kann mit ihrem Nein die Stimmenmehrheit der Bevölkerung ausknocken – in der Geschichte der Schweiz bisher selten geschehen, zuletzt bei der Konzernverantwortungsinitiative. Zum Glück waren die Stimmenverhältnisse dort nicht so krass ungleich wie jetzt im Obersimmental. Sonst hätte man glatt einen Bürgerkrieg befürchten müssen.