Kultour

Nr. 2 –

Festival

Norient

Norient, das Berner Netzwerk für lokale und globale Sounds und Medienkultur, präsentiert an seinem dritten Musikfilmfestival Dokumentarfilme unter dem Titel «Parodie, Tanz und Sex: Andere Formen des Protests».

Alles ist «Coz Ov Moni» – wegen des Geldes, so die Übersetzung des Titels für das erste Pidgin-Musical in der Geschichte des afrikanischen Films. Emmanuel Owusu-Bonsu und Mensa Ansah, die unter ihren Künstlernamen Wanlove The Kubulor und M3nsa besser bekannt sind und gemeinsam als Fokn Bois (ungezogene Jungs) auftreten, fegen mit der Handkamera durch die Seitenstrassen von Accra. In der Hauptstadt Ghanas besuchen sie Garküchen, Hinterhöfe und Internetcafés, filmen das Strand- und Clubleben. Sie schaffen so ein lebensechtes und hintergründiges Porträt des subkulturellen Accra. Die beiden rappen in einem Affenzahn in Pidgin – einer Mischsprache, die vor allem von den «kleinen Leuten» verwendet wird – zu den Bildern, dampfen so einen gewöhnlichen Tag zu einem dreissigminütigen Film ein. «Coz Ov Moni» wird zum Abschluss des diesjährigen Festivals am Sonntag gezeigt. Wanlove The Kubulor und M3nsa geben dazu auch noch live eine Kostprobe ihres Könnens.

Bei den im Rahmen des Norient-Festivals gezeigten Filmen handelt es sich um Schweizer Premieren. Darunter findet sich auch «At Night They Dance», eine Produktion von Isabelle Lavigne und Stéphane Thibault, die triste Hintergründe aus der Bauchtanzszene von Kairo zeigt. «Polyphonia – Albaniens vergessene Stimmen» setzt sich mit den mehrstimmigen Gesängen in den Bergen auseinander. Sie wurden zwar ins Inventar des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen, die lokale Jugend ignoriert sie aber weitgehend – nichts wie weg, ist ihre Devise, oder mindestens in die Disco.
Fredi Bosshard

Norient Musikfilm Festival in: Bern Progr, Kino der Reitschule, Club Bonsoir, Do, 12., bis So, 15. Januar. Detailliertes Programm: www.norient.com

Theater

Die Steinflut

Franz Hohler gehört ohne Zweifel zu den vielseitigsten deutschsprachigen AutorInnen seiner Generation. In den letzten 45 Jahren hat er unzählige Kolumnen, Aufsätze, Kurzgeschichten, Novellen, Erzählungen, Romane, Kabarett- und Liedertexte, aber auch Theaterstücke geschrieben. Und immer wieder bringt sich der Autor, Kabarettist und Cellist auch politisch ein.

Um Hohler, den Dramatiker, ist es in den letzten zehn Jahren erstaunlich ruhig geworden. Dafür aber bringt das Zürcher Sogar-Theater nun seine Novelle «Die Steinflut» aus dem Jahre 1998 in einem Erzähltheater in Mundart auf die Bühne. Hohler hat für diese Erzählung die Hintergründe eines Bergsturzes im Jahr 1881 recherchiert, der damals über hundert EinwohnerInnen der Glarner Gemeinde Elm tötete.

In Hohlers Novelle wird das Drama aus der Sicht der siebenjährigen Katharina erzählt: Die Katastrophe kündigt sich in einem tagelangen Regen an, sodass es immer wieder zu kleinen Felsabbrüchen kommt. Die Mehrheit der Bevölkerung will die mögliche Katastrophe nicht wahrhaben und schlägt alle Warnungen in den Wind. Katharina aber spürt intuitiv, dass etwas Schlimmes passieren wird …

In Zeiten des Klimawandels kommt Hohlers Novelle ziemlich aktuell daher. Die Schauspielerin Cornelia Montani transportiert die Geschichte aus dem 19. Jahrhundert ins frühe 21. Jahrhundert (Regie: Klaus Henner Russius).
Adrian Riklin

«Die Steinflut» in: Zürich sogar theater, Do–Sa, 12.–14., und Fr/Sa, 20./21. Januar, 20.30 Uhr; 
So, 15. und 22. Januar, 17 Uhr. www.sogar.ch

Austreibung der Heimat

Heimat ist teuer geworden – so teuer, dass sie sich fast niemand mehr leisten kann. Die Zeit ist also gekommen für dramatische Lösungen, hat sich der Theaterregisseur Thom Luz gedacht. Sein Projekt «There Must Be Some Kind of Way Out of Here», das im Theaterhaus Gessnerallee im Rahmen der thematischen Reihe «Austreibung!» zur Aufführung kommt, ist ein theatrales Ritual, das die Eliminierung der nationalen Identität zum Ziel hat. Für die Dauer eines Theaterabends wird Entwurzelung mit Erlösung gleichgesetzt – und der entsprechende Lebensentwurf auf seine Anwendbarkeit hin überprüft.

Ausgetrieben werden die letzten Reste von Heimatgefühlen und nationalen Identitäten mit schamanistischen Tänzen «und anderen Sphärenerweiterungstechniken». Zehn SchweizaustreiberInnen turnen zur hypnotischen Tonspur von Mathias Weibel und Dominik Dolega. Die Schwitzübungen, Trancetänze und Selbstüberwindungsrituale wurden von Arthur Kuggeleyn erarbeitet.
Adrian Riklin

«There Must Be Some Kind of …» in: Zürich Theaterhaus Gessnerallee, Di, 17. Januar, 20 Uhr (Premiere) sowie Do, 19., Mo/Di, 23./24., Fr, 27., So–Di, 29.–31. Januar, je 20 Uhr. www.thomluz.ch

Performance-Saga «Einfach sagen»

Andrea Saemann arbeitet seit zehn Jahren mit der Kunsthistorikerin Katrin Grögel und der Künstlerin Chris Regn unter dem Titel «Performance Saga» an der Erforschung und Aktualisierung der Geschichte der Performancekunst. Die US-amerikanische Performancepionierin Joan Jonas begann, sich um 1968 vermehrt experimentellen Formen zuzuwenden. Sie integrierte multimediale Techniken in ihre Performances und inszenierte sie ausserhalb von Theaterräumen in industriellen Umgebungen und in der Natur.

Die bildenden KünstlerInnen Martina Gmür, Chris Regn, Christoph Oertli und Muda Mathis haben nun unter der Leitung von Saemann mit «Einfach sagen» ein Reenactment im Geist von Jonas geschaffen. Gemeinsam stellen sie Fragen nach möglichen AutorInnen von populären mythologischen Erzählungen. Dabei benutzen sie die Märchensammlung der Brüder Grimm und insbesondere «Rumpelstilzchen» als Ausgangsmaterial für ihre szenische Umsetzung «Einfach sagen». In ihrer Produktion überlagern sich Sprache, Tanz, Video, Musik und Geräusch, und so schaffen sie ungewohnte Zusammenhänge mit Altbekanntem.
Fredi Bosshard

Performance Saga «Einfach sagen» in: Basel Kaserne, Fr/Sa/Mo, 13./14./16. Januar, 20 Uhr; 
So, 15. Januar, 19 Uhr. www.kaserne-basel.ch

Film

Das Fünffrankenfest

Das Filmpodium in Biel feiert: 25 Jahre gibt es das Kino nun schon. Damit auch das Publikum Grund zu feiern hat, offeriert das Kino nicht nur ein tolles Programm, sondern auch grosszügige Eintrittspreise: Da gibt es fünf hochkarätige Filme für 25 Franken zu sehen – ein richtiges kleines Filmfest!

Im Programm ist denn auch einer der schönsten Filme der Filmgeschichte: «Le Bal» von Ettore Scola aus dem Jahr 1983. Zwanzig Menschen sind in einem Ballsaal irgendwo in Frankreich. Der Film spielt nur in diesem Raum, es wird nichts gesprochen. Die Jahre ändern sich und mit ihr die Kleidung, die Musik und der Tanzstil. 1936 ist das Bild schwarz-weiss, die Menschen steppen. 1940 suchen sie nach einem Fliegeralarm Zuflucht im Ballsaal. Es folgen weitere Stationen, bis 1983 das Lokal geschlossen wird. «Le Bal», sagte Scola zu seinem Film, beschreibe drei Themenkreise: die Zeit, die Einsamkeit und die Geschichte. Und es ist ein Film, den man einfach gesehen haben muss!

Weiter im Fünffrankenprogramm im Filmpodium sind Alfred Hitchcocks «Rope» («Cocktail für eine Leiche», 1948), «Honeymoon» (2009) von Goran Paskaljevic, «Vatel» (2000) mit Gérard Depardieu, Uma Thurman und Tim Roth sowie Thomas Vinterbergs Dogma-Film «Festen» (1998). So günstig sind so tolle Filme auf Grossleinwand wohl kaum bald wiederzusehen.
Silvia Süess

5 × 5 = 25. 5 Filme für 25 Franken in: Biel Filmpodium, Fr, 13. Januar, bis Mo, 16. Januar, jeweils 20.30 Uhr, So auch 10.30 Uhr. 
www.pasquart.ch