Klimapolitik: Vergessene Emissionen

Nr. 40 –

Warum die Zahlen der Schweizer CO2-Statistik so gut aussehen. Und wie sie tatsächlich besser werden könnten.

So hätten wir es gerne: Die Schweiz ein Musterland in der Klimapolitik. «Dank quasi CO2-freier Stromproduktion verfügt die Schweiz über den niedrigsten jährlichen CO2 -Ausstoss pro Einwohner in Westeuropa», schreibt das Bundesamt für Energie auf seiner Internetseite. Denn der Ausstoss an Kohlendioxid betrage in der Schweiz 5,8 Tonnen pro Kopf und Jahr, während er sich in den EU-Ländern im Durchschnitt auf 8,24 Tonnen beläuft. Mit dem Ziel einer Reduktion des CO2-Ausstosses um zehn Prozent bis ins Jahr 2010 (verglichen mit 1990) nehme sich die Schweiz zudem sogar mehr vor als die vom Kioto-Protokoll verlangten acht Prozent, meinen einige Politiker. Das tönt gut und dient immer wieder als Argument gegen eine schnellere Gangart in der Klimapolitik.

Doch die schönen Zahlen und Ziele beziehen sich nur auf die direkten CO2-Emissionen innerhalb der Schweiz. Nicht enthalten sind darin die indirekten Emissionen: jener CO2-Ausstoss, der bei der Produktion von Gütern im Ausland entsteht, die wir in die Schweiz importieren - die so genannten grauen Emissionen. Eine Studie des Bundesamtes für Umwelt, Wald und Landwirtschaft (Buwal) schätzt ihren Nettoumfang auf fünfzig Prozent der ausgewiesenen direkten Emissionen. Berücksichtigt man auch noch die CO2-Emissionen der Fliegerei, steigt der schweizerische Pro-Kopf-Ausstoss von CO2 pro Einwohner und Jahr auf etwa zehn Tonnen und liegt über dem europäischen Durchschnitt - trotz der sozusagen «CO2-freien Stromproduktion».

In den umliegenden Ländern ist der Anteil an grauen Emissionen im Vergleich zur Schweiz viel kleiner, da dort der Industriesektor deutlich grösser ist und ein kleinerer Anteil von Gütern importiert wird. Auch der Anteil der CO2-Emissionen aus der Fliegerei ist nirgends so hoch wie in der Schweiz. Das angeblich ehrgeizige Reduktionsziel der Schweiz sieht damit nicht mehr gar so grossartig aus. Bleiben die grauen Emissionen gleich hoch - was aufgrund fehlender Gegenmassnahmen zu erwarten ist - schrumpft die Reduktion der von der Schweiz verursachten Emissionen auf etwa sechs Prozent. Es ist absehbar, dass mit der heutigen Klimapolitik nicht einmal dieses Ziel erreicht wird.

Der Einbezug der grauen CO2-Emissionen ist nicht nur für den korrekten Vergleich mit dem CO2-Ausstoss anderer Länder wichtig, sondern auch für eine langfristig erfolgreiche Klimapolitik. Soll nach 2010 eine weitere Reduktion der CO2-Emissionen von mehr als zehn Prozent erreicht werden - und dies ist für die Stabilisierung des Klimas unabdingbar - muss früher oder später neben einer CO2-Abgabe auf direkte Emissionen auch die Besteuerung der grauen Emissionen in Betracht gezogen werden.

Der Grenzausgleich

Durch eine solche Besteuerung verteuern sich ausländische Produkte stärker als die inländischen, weil längere Transportwege und weniger effiziente Herstellungsprozesse stärker belastet würden. Das wäre ein Vorteil für die Schweizer Wirtschaft und könnte eine aktivere Klimaschutzpolitik auch in ihren Augen attraktiver machen. Auch die Schweizer Landwirtschaft würde profitieren: Aus Neuseeland eingeflogene Äpfel, Hors-sol-Tomaten aus Holland und Fleisch aus Argentinien würde um einiges teurer. Gleichzeitig würde so umweltfreundliches Konsumverhalten belohnt.

Eine Abgabe auf grauen Emissionen darf nur erhoben werden, wenn die direkten Emissionen mit gleich hohen Abgaben belastet werden. Da sie nur auf importierten Produkten erhoben wird, ist sie keine zusätzliche Abgabe für die Schweizer Wirtschaft. Die Eintreibung der Abgabe geschähe über einen Grenzausgleich. Ein solches Verfahren hat das Beratungs- und Forschungsunternehmen Infras im Zusammenhang mit einer möglichen Energiebesteuerung bereits 1996 ausführlich auf Durchführbarkeit hin untersucht. Danach soll auf importierten Produkten eine CO2-Steuer für die grauen Emissionen erhoben werden, während die gesamte CO2-Steuer auf Schweizer Produkte für den Export an die Unternehmen zurückerstattet würde, da diese Produkte nicht in der Schweiz konsumiert werden. Wünschenswert wäre, dass sie im Rahmen einer globalen Klimapolitik in den Konsumländern belastet würden.

Gut für die Wirtschaft

Ein solches System wurde in den USA erfolgreich anlässlich der Einführung der Steuer auf Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) angewendet. Diese ebenfalls die Ozonschicht gefährdenden Gase finden als Treibgas in Spraydosen und als Kühlmittel bei Klimaanlagen und Kühlschränken Verwendung. Dank der Abgabe konnten US-Firmen nicht von Importen konkurrenziert werden, die unter Ausstoss von FCKW hergestellt wurden. Dies ermöglichte ihnen, Alternativen zu FCKW zu entwickeln, die später in die ganze Welt exportiert werden konnten. Ohne den Grenzausgleich wäre die FCKW-Steuer in den USA kaum denkbar gewesen.

Da nicht nur der Verbrauch von fossilen Treibstoffen grosse Mengen von CO2 freisetzt, sondern auch die Förderung von Erdöl und insbesondere dessen Raffinierung - beides von der geplanten CO2-Abgabe kaum betroffen -, würden sich die Treibstoffe durch den Grenzausgleich stärker verteuern. Die inländische Wirtschaft würde dadurch im internationalen Wettbewerb kaum weniger konkurrenzfähig: Der Grenzausgleich schützt vor Importen und erstattet die Steuer auf exportierten Produkten zurück. Die Wirtschaft würde sogar profitieren, wagte die Schweiz klimapolitisch eine solche Pionierrolle. Ähnlich wie in den USA im Falle des FCKW könnten Alternativen zur CO2-intensiven Produktion entwickelt werden. Mit der «2000-Watt-Gesellschaft» hat die ETH bereits ein Modell für eine klimafreundliche Gesellschaft präsentiert. Produkte und Lösungen könnten - durch den Grenzausgleich geschützt und gefördert - in der Schweiz entwickelt und angewendet werden. Früher oder später würden sie - angesichts der unausweichlich bevorstehenden Knappheit der fossilen Brennstoffe - in der ganzen Welt nachgefragt. Mit dem heutigen klimapolitischen Tempo wird die Schweiz jedoch keine führende Rolle in der Entwicklung von nachhaltigen Produkten einnehmen können. Andere europäische Länder sind bereits heute schneller unterwegs.




Halbbatziger Klimarappen

Seit dem 1. Oktober gehen für jeden in die Schweiz eingeführten Liter Benzin und Diesel 1,5 Rappen in die Kassen der eigens gegründeten Stiftung Klimarappen - rund 100 Millionen Franken jährlich. Mit dem Geld will die von der Erdölvereinigung, dem Gewerbeverband und Economiesuisse gegründete private Stiftung «wirksame und glaubwürdige Klimaschutzprojekte im Inland und Ausland» unterstützen und so «wesentlich dazu beitragen, dass die Schweiz die klimapolitischen Zielvorgaben von CO2-Gesetz und Kioto-Protokoll erfüllt».

Skeptisch äussert sich dazu die Allianz für eine verantwortungsvolle Klimapolitik, der fast fünfzig Organisationen - darunter WWF, Alpen-Initiative, Greenpeace, die Grünen, aber auch etliche Hilfswerke - angehören. Die Gründung der Stiftung sei eine «Pseudolösung» und ein «Ablasshandel», durchgedrückt von der Erdöllobby, um eine CO2-Abgabe und damit eine effektive Reduktion des CO2-Ausstosses im Inland zu vermeiden. So verlange die Vereinbarung zwischen dem Bund und der Stiftung nur noch, dass bis Ende 2007 Wege zu einer CO2-Reduktion aufgezeigt werden müssen - in einem ersten Bundesratsbeschluss wurde noch eine tatsächliche Reduktion des Ausstosses bis zum gleichen Termin gefordert. Zudem fehle es an Transparenz bezüglich der Qualitätsstandards der von der privaten Stiftung unterstützten Klimaschutzprojekte im Ausland. Greenpeace weist darauf hin, dass die CO2-Emissionen vor allem im Verkehrsbereich - er trägt über dreissig Prozent des Ausstosses in der Schweiz bei - weiterhin ungebremst steigen.

Skepsis gegenüber der Stiftung und Zweifel an ihrer Effizienz scheinen durchaus angebracht: In ihrem Communiqué meldet die Stiftung zwar die Aufnahme ihrer Arbeit und den Bezug ihrer Geschäftsstelle in Zürich - doch eine Adresse und ein fester Telefonanschluss fehlen.

Werner Scheurer

Gutes und schlechtes CO2

Kohlendioxid (CO2), ein farb- und geruchloses Gas, ist in geringer Konzentration ein natürlicher Bestandteil der Luft. Mensch und Tier atmen Kohlendioxid aus, es entsteht aber auch bei der Verbrennung von Kohlenstoffverbindungen (zum Beispiel von Erdöl oder Methangas).

Pflanzen hingegen brauchen Kohlendioxid, um bei der Fotosynthese Glukose zu produzieren und zu wachsen. Daher wird Kohlendioxid in Treibhäusern - wo ungenügender Luftaustausch zu CO2-Mangel führt - als Dünger eingesetzt. Man kennt es auch als Sprudel im Mineralwasser oder - in festem Zustand - als Trockeneis.

In der Atmosphäre absorbiert CO2 einen Teil der Wärmestrahlung, wodurch der so genannte Treibhauseffekt entsteht. Die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre hat - im Vergleich zur vorindustriellen Zeit - um dreissig Prozent zugenommen. Im letzten Jahrhundert hat sich deswegen das Klima um 0,6 Grad erwärmt.

Susan Boos

Bastien Girod ist Mitglied der Jungen Grünen.