Bespitzelung: Jubel in Klein-Kurdistan

Nr. 27 –

Der Dienst für Analyse und Prävention liess Fichen von Basler GrossrätInnen türkisch-kurdischer Herkunft anfertigen. Wie der Skandal aufflog und was er politisch bedeutet.


Dumm gelaufen: Am 20. Juni 2008 lehnte die Rechtskommission des Nationalrats die neuerliche Revision des Staatsschutzgesetzes (BWIS) ab. Der Dienst für Analyse und Prävention (DAP), die eidgenössische Staatsschutzzentrale, hätte mit dieser Revision «besondere» Befugnisse zur Überwachung der Telekommunikation, zum Wanzensetzen und zum heimlichen Ausspähen von Computern sowie «allgemeine» Befugnisse zum Einsatz von haupt- und nebenamtlichen Spitzeln erhalten sollen – das Ganze, versteht sich, ohne den Verdacht auf strafbare Handlungen und nur abgesegnet durch den Bundesrat und einige hilflose RichterInnen am Bundesverwaltungsgericht. Vier Tage später zeigte ein Skandal, wie richtig diese Entscheidung war und dass der Staatsschutz bereits ohne die neuen Befugnisse ausserhalb jeglicher Kontrolle handelt.

«Zufälligkeit und Beharrlichkeit»

Die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des basel-städtischen Grossen Rates hat aufgedeckt, dass sechs ParlamentarierInnen – SchweizerInnen türkisch-kurdischer Herkunft – seit 2004 vom kantonalen Staatsschutzdienst, der Fachgruppe 9 der Staatsanwaltschaft, überwacht werden. Und zwar im Auftrag des DAP. Dass die GPK dies herausgefunden hat, sei eine «Mischung aus Zufälligkeit und Beharrlichkeit», sagt Urs Müller von Basta, der seit 2001 der GPK angehört.

«Wir wussten, dass die Gruppe seit dem 11. September 2001 diverse Listen führte, unter anderem über Hotelgäste. Wir wollten wissen, wie die Listen bearbeitet werden.» Die GPK erhielt damals zur Antwort, die Daten lägen in Basel, und dort gilt eine Speicherungsfrist von fünf Jahren. Anfang 2006, kurz vor Ablauf der Frist, fragte die GPK erneut bei der Fachgruppe 9 nach. Ergebnis: «Das geht Sie gar nichts an, das sind Staatsschutzdaten. Und die gehören gemäss einem Urteil des Bundesgerichts von 1991 dem Bund.»

Die GPK versuchte nun anhand eines Beispiels ihre Kontrolle zu konkretisieren und fand es im geheimen Jahresbericht 2004/05 der Fachgruppe. Darin kommentierte die Schnüffeltruppe die Wahl der Abgeordneten in den Grossrat, und zwar mit folgenden Worten: «Die kurdischen Patrioten in Klein-Kurdistan» – gemeint war Kleinbasel – «bejubelten den Einzug ihrer Grossräte.»

Im Herbst 2007 wandte sich die GPK mit einem Brief an den DAP und erhielt zur Antwort, die Betroffenen sechs GrossrätInnen müssten selbst ein Gesuch stellen. «Das war für uns der erste Hinweis, dass es über die Leute tatsächlich eine Fiche gibt», sagt Müller. Im Frühjahr 2008 bestätigte die Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte, die für die Kontrolle des DAP zuständig ist, diesen Verdacht.

Überforderte GPDel

Klar ist dabei erstens, dass die Staatsschützer illegal gehandelt haben. Das geltende BWIS verbietet in Artikel 3 eindeutig die Überwachung der Ausübung politischer Rechte. Die Schnüffeltruppe begründet die Überwachung nun damit, dass die Zeitung «Özgür Politika», die sie im Umkreis der Kurdischen Arbeiterpartei PKK verortet, den Grossrätinnen zur Wahl gratuliert hat. Eine billige Ausrede.

Versagt hat zweitens die Basler Staatsanwaltschaft, die den illegalen Auftrag des DAP an ihre Fachgruppe nicht zurückgewiesen hat. Nach dem Fichenskandal von 1989 wurde der kantonale Staatsschutzdienst aus der Polizei herausgelöst und der Staatsanwaltschaft unterstellt – in der Hoffnung, dass er nun besser kontrolliert werde. Diese Hoffnung war vergebens.

Völlig absurd ist drittens die Erwartung, dass die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel), zusammengesetzt aus je drei ParlamentarierInnen aus dem Stände- und dem Nationalrat, in der Lage wäre, eine ernst zu nehmende Kontrolle des DAP auszuüben. Sie soll den gesamten Sicherheitsbereich des Bundes beaufsichtigen und unterliegt dabei selbst der Geheimhaltung. Sie hat derzeit zwei dicke Brocken am Hals: die Aktenvernichtung durch den Bundesrat im Fall Tinner und die Affäre rund um den ehemaligen Bundesanwalt Valentin Roschacher, den ehemaligen Bundesrat Christoph Blocher und Konsorten.

Wenn SP-Ständerat und Delegationsmitglied Claude Janiak nun erklärt, man werde sämtliche elektronischen Fichen einer Überprüfung unterziehen, ist dies nicht gerade glaubwürdig. Denn zum einen betont die GPDel in jedem ihrer Jahresberichte erneut, dass sie die Staatsschutzdatenbank ISIS kontrolliert habe, und zum andern muss sie sich gehörig beeilen. Von 2004 bis 2008 ist die Zahl der elektronischen Fichen von 60 000 auf 110 000 gestiegen.

Ob die fichierten GrossrätInnen je zu Gesicht bekommen, was die Schnüffler über sie zusammengetragen haben, ist übrigens fraglich. Artikel 18 des BWIS, das jetzt genau zehn Jahre in Kraft ist, erlaubt ihnen zwar, beim Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten ein Auskunftsgesuch zu stellen. Der darf ihnen aber, von Ausnahmen abgesehen, nur mitteilen, dass er beim DAP vorstellig geworden ist und allfällige Fehler in der Datenbearbeitung korrigiert hat.