Personenrätsel: Das Denkmal
«Oh, ich weiss jetzt genau, wie mein Leben aussehen wird: leidenschaftliche, hingebungsvolle Forschung», schrieb sie mit neunzehn in ihr Tagebuch. 1908 geboren, hatte sie gerade Philologie und Mathematik studiert und sich nun für Philosophie eingeschrieben. Dass sie nicht heiraten würde, stand für die katholisch erzogene Anwaltstochter – die Mutter war Bibliothekarin – bald fest: Die Ehe hielt sie für eine unzulässige Einmischung des Staates ins Privatleben. Als ihr Pariser Freund ihr die Heirat anbot, damit sie in seiner Nähe arbeiten könne – sie unterrichtete inzwischen in Marseille Philosophie –, lehnte sie ab.
Ein Paar wurden sie dennoch, allerdings mit dem Versprechen vollkommener Gleichberechtigung und Unabhängigkeit (was getrennte Wohnungen und andere Liebschaften miteinschloss).
Berühmtheit erlangte die Publizistin aber nicht nur wegen ihres aufregenden Lebensstils. 1949 – fünf Jahre zuvor erst hatten die Französinnen das Wahlrecht erhalten – verfasste sie eine philosophisch-soziologische Studie, die das Frauenbild revolutionieren und zwanzig Jahre später zur Bibel der neuen Emanzipationsbewegung werden sollte.
Zunächst aber löste das Werk der «unanständigen» Intellektuellen Empörung aus; Albert Camus warf ihr vor, den französischen Mann lächerlich gemacht zu haben. Ihre Stimme konnte aber nicht mehr überhört werden. Ihrer existenzialistischen Pflicht als Schriftstellerin gehorchend, griff sie immer öfter in die öffentliche Diskussion ein, forderte die Unabhängigkeit Algeriens und den Abzug der Sowjettruppen aus Ungarn, sass im Russel-Tribunal gegen den Vietnamkrieg und schloss sich – die Hoffnung auf einen Sozialismus, in dem sich die Frauenfrage von selbst löse, hatte sie aufgegeben – den Feministinnen an.
Wer war die schöne Tochter aus gutem Hause, die im Alter von 63 Jahren öffentlich bekannte, abgetrieben zu haben?
Wir fragten nach der französischen Philosophin, Schriftstellerin und Publizistin Simone de Beauvoir (1908–1986). Sie war die bedeutendste feministische Theoretikerin des 20. Jahrhunderts und brachte mit der 1949 erschienenen Studie «Das andere Geschlecht» die Gender Studies auf den Weg. Das Fazit dieser Untersuchung: «Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht». «Die Memoiren einer Tochter aus gutem Hause» ist der erste Teil einer sechs Bücher umfassenden Autobiografie. Ihr Lebenspartner war der Philosoph Jean-Paul Sartre.