Kultour :
Spoken Beats
Jurczok 1001
Da summt einer mit feiner Stimme Melodien ins Mikrofon, nimmt sie mit dem Loop-Gerät auf, gibt sie wieder, bis ein ganzer Klangteppich entsteht. Dann singt, spricht oder rappt er darüber. Der Zürcher Spoken-Word-Pionier Jurczok 1001 ist eine eindrückliche Erscheinung auf und neben der Bühne und ein grossartiger Künstler. Seine «Spoken Beats» berühren. «Bitte gang jetzt usem Wäg, i chum mit dem Cadillac. Und du schtigsch tatsächlich i, will mini Stimm dich ineziet» singt und seufzt er in «Min eigene Scheiss». Und man möchte auch am liebsten mitfahren – es muss ja nicht gleich ein Cadillac sein.
Silvia Süess
Jurczok 1001 in: Zürich Theater Neumarkt, Sa, 10. März 2012, 20 Uhr. www.theaterneumarkt.ch
Ausstellung
Spanischer Bürgerkrieg
Der Maler Heinrich Eichmann (1915–1970) aus Zürich hielt im Spanischen Bürgerkrieg als Mitglied der anarchistischen Durruti-Kolonne das Leben an der Aragón-Front fotografisch fest. Dieser dokumentarische Schatz blieb unbekannt, bis ihn WOZ-Autor Ralph Hug im Jahr 2009 während seiner Forschungen zu Schweizer SpanienkämpferInnen entdeckte.
Im Rahmen der Ausstellung «75 Jahre Spanischer Bürgerkrieg und Revolution» im Restaurant Hirscheneck in Basel zeigt Hug diese Fotos und kommentiert die Erfahrungen der Schweizer MilizionärInnen, die sich für die Bewahrung der Errungenschaften der Revolution einsetzten.
Adrian Riklin
Vortrag von Ralph Hug über Heinrich Eichmann in: Basel Restaurant Hirscheneck, Mo, 12. März, 20 Uhr. Die Ausstellung «75 Jahre Spanischer Bürgerkrieg und Revolution» dauert bis Mitte April. www.hirscheneck.ch
Film
Halbwertszeit
Am 11. März vor einem Jahr ereignete sich der Super-GAU im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi. Nach der Katastrophe, die 70 000 Menschen aus ihrer Heimat vertrieb, wurde auch in der Schweiz heftig über den Ausstieg aus der Atomkraft diskutiert. Mit einem Filmwochenende über die Atomkraft in der Roten Fabrik Zürich soll ein Beitrag dazu geleistet werden, dass die Debatte nicht verstummt.
Im Programm stehen vier kritische Dokumentarfilme: «Into Eternity» hat Michael Madsen im finnischen Eurajoki gedreht, wo das erste Endlager für radioaktiven Abfall gebaut wird. Carl A. Fechner begleitet in «Die 4. Revolution» Hermann Scheer, den deutschen Vorkämpfer für eine erneuerbare Energieversorgung. Die japanische Filmemacherin Hitomi Kamanaka, eine der wichtigsten Stimmen der Anti-AKW-Bewegung Japans, filmt in «Rokkasho Rhapsody» den Bau der Wiederaufbereitungsanlage Rokkasho und macht auf die Gefahren der Nukleartechnik aufmerksam. Und «R.A.S. nucléaire, rien à signaler» von Alain de Halleux beschäftigt sich mit der Sicherheit der AKWs unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit.
Zu sehen sind auch Kurzfilme aus einer Zeit, in der die Euphorie für die Atomkraft gross war: «Energie 2000» ist ein Werbefilm, den die Schweizer Elektrizitätswerke zu Beginn der siebziger Jahre von den Zürcher C-Films produzieren liessen, und Schweizer Filmwochenschauen aus dieser Zeit geben Einblick in die Wunder, die sich die offizielle Schweiz von der neuen nuklearen Technologie erhoffte.
Nebst den Filmen gibt es auch Diskussionen: unter anderen mit WOZ-Redaktorin Susan Boos, deren Buch «Fukushima lässt grüssen» soeben erschienen ist.
Silvia Süess
«Halbwertszeit. Ein thematisches Filmwochenende über die Atomkraft» in: Zürich Rote Fabrik, Sa/So, 10./11. März. www.rotefabrik.ch
Konzert
Ensemble Proton
Das 2010 gegründete Ensemble Proton ist ein «Labor für zeitgenössische Musik». Zusammen mit dem künstlerischen Leiter Christian Henking und dem Dirigenten Matthias Kuhn entdecken und erarbeiten die MusikerInnen stets Neues und verschaffen neu komponierter Musik Gehör.
Gleich mit zwei Programmen ist das Ensemble dieser Tage zu hören und zu sehen: In Bern tritt es am Minifestival «Morton Feldman: Lange Musik» auf, das das Schaffen des Komponisten würdigt. Das Ensemble spielt acht musikalische Spots zu Feldman, die von acht Komponisten stammen. In Luzern tritt das Ensemble mit seiner Robert-Walser-Tournee «… der Sehnsucht Zeit» auf: Gedichte von Walser stehen hier im Zentrum. Neben Xavier Dayers «In hellem stillem Zimmer» (1996) sind mit «Stunde» (2011) von Gabrielle Brunner und «Keine Zeit ist zeitig mit der Sehnsucht Zeit» (2011) von Christian Henking zwei für das Ensemble komponierte Stücke zu hören.
Silvia Süess
Ensemble Proton: 8 Spots zu Feldman in: Bern Dampfzentrale, Sa, 10. März, 20 Uhr. Ensemble Proton: Robert-Walser-Tournee «… der Sehnsucht Zeit» in: Luzern Kleintheater, Di, 13. März, 20 Uhr. www.ensembleproton.ch
Lambchop
Lambchop, das Kollektiv um Sänger und Songschreiber Kurt Wagner aus Nashville, bewegt sich seit über zwanzig Jahren in der verwunderlichen Schnittmenge von weissem, bodenständigem Country und schwarz-urbanem Soul. Alben wie Konzerte leben von Wagners tiefer, melancholischer Stimme und einer Instrumentierung zwischen Intimität und symphonischem Anspruch. Das neue Album «Mr. M» glänzt mit nah am Kitsch vorbeischrammenden Streicherarrangements, die Produzent Mark Nevers studiotechnisch kühn nachbearbeitete. Einen «Psycho-Sinatra-Sound» zu kreieren, war das Ziel, eines der stärksten Lambchop-Alben das Resultat.
In den anstehenden Konzerten wird glücklicherweise kein Streichorchester auf der Bühne sitzen, sondern eine fast schon klassische (alternative) Countryband. Zur Bodenhaftung trägt auch Cortney Tidwell bei. Die aufstrebende Sängerin und Songschreiberin aus Nashville fungiert als Begleitsängerin und Vorgruppe. Jüngste Konzertaufnahmen zeigen, dass die (neu arrangierten) neuen Songs mit der relativ kleinen Band vorzüglich funktionieren. Wer keine Angst vor grossen Gefühlen hat, sollte sich Lambchop in der gegenwärtigen Hochform nicht entgehen lassen.
Markus Spörndli
Lambchop in: Freiburg Fri-Son, So, 11. März, 20 Uhr; Zürich Kaufleuten, Di, 13. März, 20 Uhr.
Literatur
Nizon und Cohn-Bendit
«Die Gedanken sind frei» lautet die Überschrift zu einer Reihe im Zürcher Theater Neumarkt, in der der französisch-deutsche Europapolitiker und Publizist Daniel Cohn-Bendit AutorInnen zum Gespräch einlädt.
Wie Cohn-Bendit ist auch Paul Nizon ein Vermittler zwischen französischer und deutschsprachiger Kultur: 1929 als Sohn einer Bernerin und eines russischen Chemikers in Bern geboren, machte er erstmals mit seinem Rom-Roman «Canto» (1963) international auf sich aufmerksam. Einer breiteren Öffentlichkeit in der Schweiz wurde er bekannt durch seine polemischen Aufsätze zur Schweiz und zur Schweizer Kunst, die 1970 unter dem Titel «Diskurs in der Enge» erschienen. Darin rechnete der gelernte Kunsthistoriker mit der geistigen Provinzialität ab, die er in der Schweiz der sechziger Jahre konstatierte.
Seit 1977 lebt und arbeitet Nizon in Paris. Seine Bücher schreibt er nach wie vor auf Deutsch, doch ist er in Frankreich inzwischen fast schon berühmter als im deutschsprachigen Raum und wird in den Feuilletons geradezu gefeiert. In der Schweiz spaltet Nizon bis heute die Geister: Das liegt nicht nur an seiner nachhaltigen Kritik an diesem Land, sondern auch an seiner radikalen Egozentrik, die sich durch seine Texte zieht. Besonders deutlich wird das in seinen «Journalen», von denen nun der vierte Band erschienen ist: Aufzeichnungen aus den Jahren 2000 bis 2010. Cohn-Bendit spricht mit dem «Autobiografie-Fiktionär» über seine «grandios-rigorose Tagebücherei», die Nullerjahre, Selbstfiktion als Entkommen – und, natürlich: Paris.
Adrian Riklin
«Die Gedanken sind frei»: Paul Nizon im Gespräch mit Daniel Cohn-Bendit in: Zürich Theater Neumarkt, Do, 15. März, 20 Uhr. www.theaterneumarkt.ch