Diesseits von Gut und Böse: Rückwärtsbeten

Nr. 32 –

Kürzlich stand ich auf der Hängebrücke hoch über der Massaschlucht und schaute ergriffen zum schwindenden Aletschgletscher hinüber. «Vor dreissig Jahren sahs hier noch ganz anders aus», bemerkte mein Begleiter melancholisch, «da reichte der Gletscher noch bis hierher.» Denn das Unesco-Welterbe schmilzt und weicht im Jahr rund 25 Meter zurück, erdgeschichtlich betrachtet mit einem Affenzahn.

Dass daran nicht die Klimaerwärmung schuld ist, sondern der Herrgott, stand tags darauf in allen Zeitungen: Mit Erlaubnis von Papst Innozenz XI. haben die EinwohnerInnen des Dorfes Fiesch IHN seit 1678 an jedem 31. Juli gebeten, den Aletschgletscher schmelzen zu lassen. Im Gegenzug gelobten sie Tugendhaftigkeit.

Jetzt wurde den FiescherInnen der rasante Erfolg ihrer Gebete unheimlich. Um ihr Gelübde umkehren zu dürfen, brauchten sie aber wieder eine päpstliche Erlaubnis. Zum Glück war Benedikt XVI. einverstanden: So durften sie am 31. Juli 2012 erstmals darum bitten, ER möge den Gletscher doch lieber wieder ein bisschen vergrössern.

Obwohl mir nicht klar ist, ob ER oder sein Stellvertreter da oben das Sagen hat, gefällt mir die Stossrichtung; und ein Vorschlag, den ich im Internet las – auf den Polkappen Kapellen für Antischmelzwallfahrten zu errichten –, könnte klimapolitisch endlich die Wende bringen.