Afrikanisches Kino: Optimismus trotz Ende des Aufschwungs

Nr. 33 –

Die Sektion «Open Doors» am Filmfestival Locarno will das Filmschaffen in Ländern des Südens und Ostens fördern. Dieses Jahr stand das frankofone Afrika südlich der Sahara im Fokus.

Bis zum Anfang der neunziger Jahre sind in den frankofonen Ländern südlich der Sahara jährlich rund zwanzig Autorenfilme entstanden. Seither ist von diesem Aufschwung wegen der radikalen Sparmassnahmen in Europa nicht mehr viel zu spüren. Diese Entwicklung spiegelt sich auch im diesjährigen Programm der Sektion «Open Doors» in Locarno, die das Filmfestival jeweils mit der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit veranstaltet.

Ausserhalb der Wiederbegegnung mit Klassikern wie «La Noire de …» (1966) von Ousmane Sembène, «Yeelen» (1987) von Souleymane Cissé oder «Touki Bouki» (1973) von Djibril Mambety konnte man auch konstatieren, wie es um das zeitgenössische Filmschaffen steht: «La Pirogue» (2012), das neuste Werk des Senegalesen Moussa Touré, in dem die Odyssee afrikanischer MigrantInnen zwischen dem Senegal und den Kanarischen Inseln inszeniert wird, ist zwar filmtechnisch perfekt – leider aber weiss man schon von der ersten Einstellung an, wie der Film enden wird. Sein Landsmann Alain Gomis wiederum inszeniert in «Aujourd’hui» (2012) die letzten 24 Stunden eines jungen Mannes, der von diffusen Mächten zum Sterben auserwählt wird und am letzten Tag seines Lebens durch Dakar zieht – angelehnt womöglich an die experimentelle Poesie eines «Touki Bouki», pendelt der Film jedoch ohne jede ästhetische Verdichtung zwischen Komödie und Drama. Der junge Kongolese Djo Tunda Wa Munga wollte mit seinem Thriller «Viva Riva» (2009), wie er dem Locarneser Publikum charmant erklärte, auf das afrikanische Publikum zugehen – was er dabei produzierte, war aber nichts anderes als eine voyeuristische Aneinanderreihung mehr oder weniger zusammenhangloser bestialischer Gewalt- und Sexszenen. Im Gegensatz dazu war der tragikomische Film «Il va pleuvoir sur Conacry» (2007) von Cheick Fantamady Camara aus Guinea geradezu erholsam: Neben ziemlich stereotyp gezeichneten Figuren tauchten darin tatsächlich auch nachvollziehbare auf.

Quantität vor Qualität?

Weshalb Filme von Frauen einzig mit dem in Kamerun gedrehten umstrittenen «Chocolat» (1988) der Französin Claire Denis sowie zwei Filmen der als Filmautorin eher unbekannten senegalesischen Schriftstellerin Khady Sylla vertreten waren, bleibt ein Rätsel – künstlerisch bedeutende Werke wie «La nuit de la vérité» (2004) von Fanta Regina Nacro aus Burkina Faso oder filmhistorisch wichtige Werke wie der Spielfilm «Kaddu Beykat» (1975) der später als Dokumentaristin bekannten Safi Faye fehlten. Die Gründe dafür konnte auch Martina Malacrida, die für das Programm zuständig ist, nicht schlüssig erklären. Wohl freut sie sich über den grossen Publikumsandrang bei afrikanischen Filmen. Quantität vor Qualität? Ohne Kontext und Vermittlung (eine erläuternde Begleitpublikation fehlte) jedenfalls blieben manche Filme enigmatisch und wirkte die Auswahl insgesamt wie ein liebloser Rundumschlag. Eine Aneinanderreihung von Filmen für das ahnungslose Publikum – das ist doch eigentlich unwürdig für ein internationales Festival.

Kaum Austausch

Für das «Open Doors»-Koproduktions-Laboratorium hat Malacrida gemeinsam mit drei Fachleuten unter über zweihundert BewerberInnen zwölf FilmemacherInnen eingeladen, die in einem viertägigen Workshop ihre Projekte möglichen ProduzentInnen vorstellen und mit ihnen besprechen konnten. «Mit unserem diesjährigen Koproduktions-Laboratorium wollen wir diesem Kino wieder auf die Beine helfen», meint Malacrida etwas gar zuversichtlich. Immerhin wurden dafür sechzig ProduzentInnen – die meisten aus Frankreich und Deutschland – eingeladen. Aus der Schweiz haben nur gerade zwei Produzenten teilgenommen. Auch sonst blieb der Austausch mit dem Gastland beschränkt. Zwar werden die vielen eingeladenen RegisseurInnen aus Afrika (neben den jüngeren auch namhafte VertreterInnen der ersten Generation wie Souleymane Cissé, Gaston Kaboré oder Cheick Oumar Sissoko) gut betreut und untereinander vernetzt. Doch Kontakte zu ihren Schweizer KollegInnen gab es nicht. So fand die «Open Doors»-Farewell-Party im ersten Stock des Lidos von Ascona statt, während im Parterre die Schweizer Filmschaffenden unter sich blieben und das fünfzigjährige Bestehen des Regieverbands feierten, ohne dass die beiden Gruppen voneinander wussten.

Jean-Pierre Bekolo hingegen ist mit dem «Open Doors»-Laboratorium zufrieden. Der Regisseur aus Kamerun konnte mit verschiedenen Produktionsleuten gute Kontakte knüpfen. Und doch ist auch er verärgert: «Es ist unglaublich: Ich war schon vor zwanzig Jahren in Locarno, habe damals sogar einen Preis für meinen ersten Spielfilm ‹Quartier Mozart› bekommen. Aber nach den Gesprächen, die ich jetzt mit jüngeren Workshopteilnehmern geführt habe, wurde mir klar, dass wir seither noch keinen Schritt weitergekommen sind.»

Auf französische Hilfe ist Bekolo, der seine Filme selber produziert, inzwischen nicht mehr erpicht. Dreimal hat er sich vergeblich um Unterstützung vom staatlichen Fonds Sud beworben. Und nur weil er seine afrikanische Herkunft verschwiegen habe, habe er von der französischen rückzahlbaren Förderung profitiert. Die bürokratischen Hürden nähmen zu, und die französischen Filmförderer bezahlten nur, wenn der Film in Frankreich produziert werde: «Weshalb bekommen wir nicht einfach Geld, damit wir unsere Filme selber produzieren können?»

Bekolo will anderes Kino machen, keine «NGO-Filme», wie er die Arte-Produktionen «Un homme qui crie» von Mahmat-Saleh Haroun oder «En attendant le bonheur» von Abderrahmane Sissako bezeichnet. Er liebt das Kino von Spike Lee und Quentin Tarantino, hat längere Zeit in den USA gelebt, wo er dieses Jahr für sein zwanzigjähriges Filmschaffen geehrt wurde, und hält sich dort mit Lehraufträgen über Wasser; regelmässig kehrt er auch nach Paris zurück – er ist Generalsekretär der dort 2006 gegründeten Guilde africaine des réalisateurs et producteurs, einer Vereinigung afrikanischer FilmemacherInnen in der Diaspora.

Keine Kinos in Kamerun

Der Kameruner Bekolo ist ein optimistischer Zyniker und glaubt fest an sein Projekt «Le Président», obwohl er bei der «Open Doors»-Preisverleihung leer ausgegangen ist (je zwei der sieben Jurymitglieder vertraten den TV-Sender Arte und das CNC [Centre national du cinéma et de l’image animée], die wichtigste nationale Filmförderstelle des französischen Kulturministeriums). In Bekolos Film geht es um den kamerunischen Staatspräsidenten Paul Biya. Mit «Le Président» möchte Bekolo seine Landsleute aus der Lethargie wecken, in die sie die permanente Wiederwahl des nunmehr seit zwanzig Jahren regierenden Despoten versetzt hat, der mehr Zeit in einem Genfer Luxushotel verbringe als in Kamerun. Das Projekt ist schon weit gediehen, der Film soll nächstes Jahr nach dem afrikanischen Filmfestival in Ouagadougou im afrikanischen Programm von Canal+ ausgestrahlt werden. Nur leider gibt es in Kamerun keine Kinosäle mehr – und dass der Film vom staatlichen Fernsehen ausgestrahlt werden wird, ist eher unwahrscheinlich.