Kultour

Nr. 9 –

Film

Jenseits der Kleinfamilie

Zum Thema «Familie im Film» könnte man problemlos ein Mehrjahresprogramm füllen. Das Kino Xenix in Zürich unternimmt jetzt gleich ein doppeltes Wagnis, indem es seine Leinwand für einen Monat mit einer mutigen Auswahl zum Thema bespielt. Da geht es mitnichten um den «Familienfilm». Sondern um aus dem Ruder gelaufene Kollektivprojekte wie die Kommune des Wiener Aktionisten Otto Mühl, deren Abgründe Paul-Julien Robert in der dokumentarischen Aufarbeitung seiner Kindheit ausleuchtet (siehe WOZ Nr. 36/13). Überhaupt ist psychischer und sexueller Missbrauch wiederholt ein Thema – die Familie eine Brutstätte für Neurosen und Schlimmeres. «Igby Goes Down» wartet gar mit «einer der krasseren Schlussszenen der Filmgeschichte» auf, wie es in der Programmvorschau mit ironischem Understatement heisst.

Dass Familie gerade dort ein Ort der Liebe und Geborgenheit sein kann, wo Biologie und Rollenmuster über Bord gekippt wurden (und zwar nicht aufgrund ideologischer Überzeugungen wie bei Otto Mühl), zeigt Pedro Almodóvar in «Todo sobre mi madre». Ebenso berührend ist auch, wie Abdel Kechiche in «La Graine et le Mulet» das Leben in einer französisch-tunesischen Grossfamilie mit prallen Sinneseindrücken entfaltet.

«We Used to Be Family» in: Zürich Kino Xenix, 
Do, 27. Februar 2014, bis Mi, 26. März 2014. www.xenix.ch

Franziska Meister

Barton Fink, Lebowski & Co.

Es gibt immer wieder gute Gründe, über den Röschtigraben zu springen – seit dem 9. Februar ist noch einer mehr dazugekommen. Die kommenden sechs Wochen verleiten schon fast dazu, sich eine Mehrfahrtenkarte nach Lausanne zu leisten: Die Cinémathèque zeigt nämlich das Gesamtwerk der Coen-Brüder, angefangen beim blutigen Erstling «Blood Simple» aus dem Jahr 1984. Damals war Joel Coen dreissig Jahre alt.

Dreissig Jahre später ist klar: Er und sein Bruder Ethan haben Filmgeschichte geschrieben. Und das mit einem Werk, das sich gleichermassen auszeichnet durch die existenziellen Themen und den mal leichtfüssigen, mal rabenschwarzen Humor, mit dem es diese aufgreift. Die Figuren strampeln sich an den Rändern der Gesellschaft durchs Leben, und dieses Strampeln hat stets etwas Absurdes an sich, denn sie alle sind weit mehr Getriebene als ihres Schicksals Schmied. Nicht alle nehmen das so locker wie der Dude in «Big Lebowski». Larry Gopnik in «A Serious Man» hadert und schlittert doch tiefer und tiefer ins Elend. Und den Figuren in «Fargo», «No Country for Old Men» oder eben «Blood Simple» gehts ans Eingemachte.

Das Schönste an all diesen Filmen jedoch ist: Sie haben uns tief in die Abgründe des Menschlichen blicken lassen – und entlassen uns doch mit einem entspannten Lächeln aus dem Kino.

Joel und Ethan Coen in: Lausanne Cinémathèque, Sa, 1. März 2014, bis So, 13. April 2014. www.cinematheque.ch

Franziska Meister

Ausstellung

Die fünfte Dimension

Er gilt als Ikone der Moderne. Er hat das Ungegenständliche zu sich selbst gebracht mit einer Lakonie, die Bildersturm und öffentliche Empörung auslöste. Das «Schwarze Quadrat» des russischen Künstlers Kasimir Malewitsch enthält einen Weltentwurf: die «synthetische Präsenz aller Farben, die totale Absorption aller Lichtstrahlen … ein Symbol für Energie – die fünfte Dimension». So las es sich bei der Präsentation des berühmten Bilds 2004 im Berliner Martin-Gropius-Bau. Noch zu seinen Lebzeiten, 1927, hat Malewitsch in einer einzigen in einer westlichen Sprache erschienenen Publikation und in enger Verbindung von Text und Bild den Zugang zu dieser «Welt als Ungegenständlichkeit», so der Titel, eröffnet. Einer Welt also jenseits der sichtbaren Dinge, in der, so Malewitsch, die reine Empfindung herrscht.

Die Zeichnungen, die als Vorlage für dieses Buch dienten, zeigt nun das Basler Kunstmuseum, und es präsentiert seinen Bestand erstmals der Öffentlichkeit. «1913. Das grundlegende supr. Element. ‹das Quadrat›» steht auf einer Zeichnung, die erste aus dem Quadrat entstandene suprematistische Form. Nicht nur an KennerInnen wendet sich der Begleitkatalog (in einer deutschen und einer englischen Ausgabe), in dem auch Malewitschs Text in neuer Übersetzung wieder zugänglich gemacht wird.

«Kasimir Malewitsch. Die Welt als Ungegenständlichkeit» in: Basel Kunstmuseum, 
Sa, 1. März 2014, bis 22. Juni, Eröffnung Fr, 28. Februar 2014, 18.30 Uhr.

Ulrike Baureithel

Grosse Fluchten – kleines Asyl

Täglich flimmern Nachrichten von der humanitären Katastrophe in Syrien über den Bildschirm. Einen vertieften Einblick in den Konflikt, der von einem demokratischen Aufbruch in einen brutalen Krieg umgeschlagen ist, bietet nun eine Ausstellung mit Vorträgen im Fabriktheater in Zürich. «Grosse Fluchten – kleines Asyl», unter diesem Titel wird die Situation in Syrien mit der Migrationspolitik in der Schweiz in Beziehung gesetzt: In der Ausstellung werden Filme und Videos von KünstlerInnen und FriedensaktivistInnen aus Syrien sowie Modelle und Karten zur Flucht nach Europa gezeigt.

Am 1. März werden konkrete Ansätze zum Überleben in der humanitären Not diskutiert. Dabei wird unter anderem Elias Perabo die Organisation Adopt a Revolution vorstellen, die die Bevölkerung beim Wiederaufbau von Bibliotheken, Kulturzentren und Schulen unterstützt. Am 9. März geht es um das Selbstbild der Schweiz zwischen humanitärem Mythos und gegenwärtiger Abschottung – mit Almut Rembges vom Austauschort Bblackboxx in Basel, Sadouh Bah von der Autonomen Schule in Zürich, der Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz und dem Philosophen Andreas Cassee. Am 14. März ist die Wahrnehmung der syrischen Revolution das Thema, unter anderem mit dem Journalisten Odai al-Zoubi.

«Grosse Fluchten – kleines Asyl» in: Zürich Rote Fabrik. Fr, 28. Februar 2014, bis 14. März 2014. Eröffnung am 28. Februar, 18 Uhr.

Kaspar Surber

Lesung

Draussen vor der Tür

Wie gehen eineiige Zwillinge, von Kindesbeinen an beste Freunde, damit um, wenn sich im späteren Leben der eine zum Star, der andere zum Loser entwickelt? Wie so oft im realen Leben wird aus den Unzertrennlichen ein in schöner Feindschaft verbundenes Paar. So auch in Jürg Beelers neuem Roman mit dem etwas rätselhaften Titel «Der Mann, der Balzacs Romane schrieb». Auf dem Umschlag prangt ketzerisch eine Hand mit Zigarette, für den in Bremen und in der Schweiz lebenden Autor eine Metapher für die Ausgeschlossenen, die in einer immer hygienischer werdenden Welt vor die Tür gestellt werden.

Aber vom Rauchen ist im Roman weniger die Rede als von Jan Panofsky, der nach dem Tod seines erfolgreichen Bruders David ständig mit diesem verwechselt wird und der sich nun auch daran erinnert, dass David ihm einmal seine Freundin, eine Balletteuse, ausgespannt hat. Was aber hat es mit der französischen Schriftstellerlegende auf sich, mit der Jan auf einer zweiten Ebene des Romans unablässig kommuniziert? Auskunft kann der nomadisierende Schriftsteller geben, den es demnächst wieder in die Schweizer Sonne zieht.

Jürg Beeler: «Der Mann, der Balzacs Romane schrieb». Buchvernissage in: Zürich Sphères, 
Mi, 5. März 2014, 19.30 Uhr. Das Buch ist 
kürzlich im Verlag Dörlemann erschienen 
und kostet 27 Franken.

Ulrike Baureithel