Kultour

Nr. 35 –

Festival

Animiertes in Baden

Die Parabel ist denkbar schlicht und nur sieben Minuten kurz, sie stammt aus den letzten Jahren vor Glasnost, aber angesichts der Krimkrise wirkt sie gerade wieder brennend aktuell: «Conflict» (1983) heisst der sowjetische Stop-Motion-Film von Garri Bardin, der aus Streichhölzern ein Lehrstück über Nationalismus, harte Grenzen und territoriale Verdrängungskämpfe animiert hat. Wohin das führt, kann man sich denken, so eine Streichholzschachtel erinnert ja nicht zufällig an ein Massengrab. Am Animationsfilmfestival Fantoche in Baden läuft «Conflict» im Rahmen eines fünfteiligen Spezialprogramms zum Thema «Frieden statt Krieg!».
 Für den internationalen Wettbewerb hat die Fantoche-Crew um Annette Schindler aus rund 1300 Einsendungen eine Auswahl von 34 Kurzfilmen aus 16 Ländern getroffen. Daneben gibts 14 Langfilme, die meisten als Schweizer Premiere, so auch eine neue Spielerei von Michel Gondry: In seinem Collagefilm «Is the Man Who Is Tall Happy?» (2013) entführt uns der französische Fantast auf eine illustrierte Reise durch das Denken des linken Intellektuellen Noam Chomsky. Der grösste Schwerpunkt am Fantoche ist aber dem diesjährigen Gastland Japan gewidmet, mit rund fünfzig neueren Kurzfilmen, drei langen Klassikern und begleitenden Talks und Ausstellungen. Jenseits von populären Animes wie «Akira» zeigt der japanische Animationsfilm dabei ein atemberaubendes Spektrum zwischen pastellfarbenen Träumereien und grell-anarchischem Aberwitz. Und ein ganzer Block versammelt Kurzfilme, die sich mit der Katastrophe von Fukushima beschäftigen.

Fantoche. 12. Internationales Festival 
für Animationsfilm in: Baden, Diverse Orte, 
Di–So, 2.–7. September 2014. www.fantoche.ch

Florian Keller

Jazz in Willisau

Gleich drei Schweizer Pianistinnen sind im Rahmen des 40. Jazzfestivals in Willisau zu hören. Da wäre einmal Vera Kappeler, die zusammen mit dem Schlagzeuger Peter Conradin Zumthor das Festival eröffnet. Von diesen beiden ist vor kurzem die stimmungsvolle «Babylon Suite» erschienen, die nebst einem traditionellen ukrainischen Stück eigene Kompositionen vorstellt und die Pianistin auch am Toy-Piano und am Harmonium zeigt.

Die Zürcher Pianistin Gabriela Friedli ist mit ihrem Quartett Objets Trouvés zu Gast. Sie hat «Fresh Juice», so der Titel ihrer vergangenes Jahr veröffentlichten CD mit Eigenkompositionen, im Gepäck. Die aus Lausanne stammende und seit einigen Jahren in Brooklyn lebende Sylvie Courvoisier präsentiert ebenfalls die eigene Ernte. Die expressive und gleichzeitig lyrische CD «Double Windsor» hat sie zusammen mit dem Bassisten Drew Gress und dem Schlagzeuger Kenny Wollesen eingespielt.

Der Ausnahmegitarrist Marc Ribot, der zu den wenigen berühmten US-MusikerInnen gehört, die sich auch politisch engagieren, ist immer für eine Überraschung gut. Diesmal entlockt er seiner Gitarre «Protest Songs». Das Henry Threadgill Ensemble, dem mit Jason Moran und David Virelles gleich zwei Pianisten angehören, ehrt musikalisch den im Januar letzten Jahres verstorbenen Weggenossen Butch Morris. Township Jive ist vom Berner Bassisten Bänz Oester und seinen Rainmakers zu erwarten. Für den südafrikanischen Groove sorgen neben Oester Ganesh Geymeier (Tenorsaxofon), Ayanda Sikade (Schlagzeug) und Afrika Mkhize am Piano. Willisau bietet natürlich noch einiges mehr – auch auf den kleinen Bühnen.

Jazzfestival in: Willisau Festhalle, Mi–So, 
27.–31. August 2014. www.jazzfestivalwillisau.ch

Fredi Bosshard

Film

Bizarres in Basel und anderswo

Wie eine Phantasmagorie erscheint er in der Wüste: ein bärtiger Reiter mit schwarzem Sonnenschirm, an seiner Seite ein nacktes Bübchen. Es ist der Auftakt zu einer bizarren Reise in einem sagenhaft bizarren Film. Der Reiter ist auf der Suche nach spiritueller Vollendung, dabei fliesst viel Kunstblut. Unterwegs treten auf: ein Despot in Uniform, der einen Beichtstuhl als Garderobe nutzt, ein Pistolero ohne Beine, der einem armlosen Pistolero auf dem Buckel sitzt, und ein greiser Revolverheld, der anstelle einer Schusswaffe mit einem Schmetterlingsnetz fuchtelt.

Der Film heisst «El Topo» (1970), und mit seinem überhitzten Symbolismus begründete er Alejandro Jodorowskys Ruf als Kultregisseur für eine Generation, die das Gras lieber rauchte, als es zu mähen. Das Stadtkino Basel widmet diesem wahnwitzigen Bildermagier nun eine Retrospektive, die Jodorowskys Fantastereien wie «Montana Sacra» (1973) mit geistesverwandten Filmen wie Ridley Scotts «Alien» und Fellinis «Amarcord» ergänzt. In den letzten Jahren trat der Chilene vor allem als Autor von Comics und esoterischen Ratgebern für Psychomagie in Erscheinung, doch jüngst kehrte er doch wieder ins Kino zurück: «La danza de la realidad» (2013) ist Jodorowskys erster Film seit über zwanzig Jahren, eine autobiografische Groteske über seine Kindheit in einem chilenischen Hafenstädtchen. Der rabiate Vater, ein ukrainischer Jude und strammer Kommunist, führt ein Geschäft für Miederwaren, die Mutter singt jede Dialogzeile wie eine Operndiva und ist im Übrigen überzeugt, dass ihr kleiner Alejandro die Reinkarnation ihres toten Vaters ist.

Und wo wir schon bei derartigen Verwicklungen sind: In diesem Film (der übrigens auch in Bern und Zürich gezeigt wird) schliesst sich der familiäre Kreis, den Jodorowsky in «El Topo» eröffnet hat. Dort spielte er selbst den schwarz gewandeten Reiter, und als Bub an seiner Seite trat sein Sohn Brontis auf. Der ist inzwischen 52 Jahre alt und spielt in «La danza de la realidad» den Vater des Regisseurs, also seinen eigenen Grossvater. Schwindelerregend!

«Das surreale Kino des Alejandro Jodorowsky» 
in: Basel Stadtkino, bis 29. September, Programm siehe www.stadtkinobasel.ch. «La danza de 
la realidad» in: Bern Kino Kunstmuseum, ab 
Do, 28. August 2014; Zürich, Kino Xenix, ab Do, 
4. September 2014.

Florian Keller

Jubiläum

Wölfli

Tausende Seiten umfasst Adolf Wölflis Werk. Der vor 150 Jahren geborene Emmentaler war Schriftsteller, Komponist und Zeichner im Dienst einer Mission: die Welt neu erfinden. 1895 wurde Wölfli in die psychiatrische Heilanstalt Waldau bei Bern eingeliefert, vier Jahre später begann er zu zeichnen. In seiner Arbeit «Von der Wiege bis zum Graab. Oder, Durch arbeiten und schwitzen, leiden, und Drangsal bettend zum Fluch» (1908–1912) schildert er auf 3000 Seiten, wie er als Kind Doufi mit seiner Familie rund um die Welt reist. Doch Wölfli komponierte auch mit einer eigenständigen Notenschrift auf sechs Notenlinien. Seine Musik sowie seine Texte stehen im Vordergrund einer zweitägigen 150-Jahr-Wölfli-Feier in Bern, das der Verein Wölfli & Musik organisiert. So tritt der Improvisationsvirtuose Fred Frith mit der Performance «Die Horizonte der Musik gesprengt» auf, unter der Regie von Meret Matter wird ein Musiktheater mit dem Titel «Das Allmachtsrohr» aufgeführt, Eric Förster und Danny Exnar lassen nach über neunzig Jahren nach ihrer Niederschrift die originalen Wölfli-Kompositionen wieder erklingen, und eine zwölfstündige Lesung lässt das Publikum für eine ganze Nacht ins Universum von Wölfli eintauchen.

150 Wölfli. Musik und Text zu Adolf Wölfli in: Bern Dampfzentrale, Psychiatrie-Museum, Kunsthalle, Fr–So, 29.–31. August 2014, und Fr–So, 3.–5. Oktober 2014. www.150woelfli.ch

Silvia Süess

Musik

Intersity

Ägypten sei dabei, ein zweites Pakistan zu werden, schrieb die WOZ vor einem Jahr nach dem militärisch herbeigeführten Sturz des Präsidenten Muhammad Mursi. Ein Jahr später wurden unter dem Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi aus politischen Gründen etwa 3200 BürgerInnen getötet und wohl über 20 000 verhaftet. Doch obwohl – oder vielleicht gerade weil – im Land Ausnahmezustand herrscht, tut sich in der Kulturszene der Hauptstadt einiges. «In den letzten drei Jahren erlebte die Künstlerszene von Kairo ihre Hochblüte. (…) In unseren Augen ist Kairo der derzeit interessanteste Kulturschauplatz der Welt», schreiben die Veranstalter von Intersity, einem Musikfestival in Schaffhausen, das sich dieses Jahr ganz der Hauptstadt Ägyptens verschrieben hat. Und sie holen auch gleich die interessantesten Künstler in die Schweizer Provinz: Mit El Madfa3geya ist einer der erfolgreichsten Mahraganat-Musiker Kairos dabei. Mahraganat ist der neue Massensound, der aus den armen Kairoer Aussenvierteln kommt. Er basiert auf den beliebten ägyptischen Shaabi-Rhythmen, kombiniert ihn mit Effekten der elektronischen Musik und manipuliert die Gesangsstimmen mit Autotune-Effekten. Wie vielseitig der Sound in Kairo ist, widerspiegelt das Intersity-Programm: So ist nebst anderen mit DJ Feedo Hip-Hop und mit Ahmed Samy Techno aus der Kapitale zu hören.

Intersity Musikfestival in: Schaffhausen 
Dolder2, Cuba Club, Güterhof, Kammgarn, Orient, TapTab, Sa, 30. August 2014. www.intersity.ch

Silvia Süess