Kultour

Nr. 3 –

Ausstellung

Has im Glas

Während das Medizinhistorische Museum in Zürich die vernachlässigten Leichen im Keller mit Nachdruck vor dem öffentlichen Interesse abschirmt, hebt das Naturmuseum Thurgau seine 583 Gläser mit über 1100 in Alkohol und Formaldehyd konservierten Tieren und Pflanzen stolz ins Rampenlicht. Schliesslich hat es sie in den vergangenen zwei Jahren auch sorgfältig restauriert. Entstanden ist die Sammlung in den ersten vier Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Ursprünglich wurden die Lebewesen nicht etwa mit musealen Absichten konserviert, sondern zu Forschungszwecken.

Und auch wenn das Museum in seiner Kabinettausstellung ganz auf Ästhetik setzt und die seltsam schwebenden Geschöpfe in ungewohnter Beleuchtung erstrahlen lässt – ein bisschen Dr.-Jekyll-and-Mr.-Hyde-Kitzel bleibt. Aufklärerisch Orientierten sei die Sitzbank mit den Texttafeln empfohlen: Dort können sie mehr zu sogenannten Nasssammlungen und den spezifischen Konservierungsmethoden erfahren. Alle andern sollten sich unbedingt anhören, was die wissenschaftliche Assistentin an der Hörstation über ihre praktischen Erfahrungen beim Restaurieren der Sammlung zu berichten weiss. Zum Beispiel, wie es sich anfühlt, wenn man einen Has aus dem Glas nimmt …

Und wer es ganz genau wissen will: Am 26. März gehts «Ans Eingemachte» – Kuratorin Barbara Richner führt persönlich durch die Ausstellung.

«Has im Glas» in: Frauenfeld Naturmuseum Thurgau, bis 28. Juni 2015, Di–Sa, 14–17 Uhr, So, 
12–17 Uhr. Führung «Ans Eingemachte» am Do, 
26. März 2015, um 17.30 Uhr. www.naturmuseum.tg.ch

Franziska Meister

Festival

Film und Musik

«Herzlich willkommen, machen Sie es sich gemütlich, wir haben Neuigkeiten für Sie. Es gibt Gutes, und es gibt Schlechtes, aber es gibt Neuigkeiten für Sie.»

Mit diesen Worten begrüsst der senegalesische Rapper Xuman jeden Freitag die ZuschauerInnen seiner satirischen Nachrichtensendung «Journal Rappé», die auf einem senegalesischen Privatsender ausgestrahlt wird. Xuman gehört zu den einflussreichsten Rappern Westafrikas, immer wieder prangert er in seinen Raps gesellschaftliche Missstände an – er nennt sich selber auch «lyrical gunman», weil seine Reime «dort wehtun, wo sie durchdringen». Er habe lange versucht, mit seinen Raps Leute von der illegalen Überfahrt vom Senegal nach Europa abzuhalten, sagte Xuman letzten Frühling in einem Interview mit der NZZ, doch heute sei es ihm bewusst, dass das naiv war, denn: «Wie will man jemanden zum Hierbleiben überreden, wenn er tagtäglich miterlebt, wie korrupte Politiker sich die grössten Paläste bauen, ihm aber nicht einmal die Hoffnung bleibt, genug Geld zu verdienen, um jemals eine Heirat oder gar eine eigene Familie zu finanzieren?»

Um solche Themen geht es auch in Xumans gerappten Nachrichten, die nun erstmals in Bern zu sehen sind: Das sechste Musikfilmfestival zeigt an drei Abenden jeweils ein zehnminütiges Video mit dem rappenden Nachrichtensprecher, ausserdem ist der Star persönlich anwesend.

Aufgeteilt in fünf thematische Blöcke, zeigt das Festival neun hochkarätige Musikfilme. In «Looking for the Perfect Beat» von Matthew F. Smith geht es um den Beat. Der schnelle Aufstieg und Fall von Musikern steht im Zentrum von «Kidd Life» von Andreas Johnsen, und «Sweet Dreams» von Lisa und Rob Fruchtman und «Syrian Metal Is War» von Monzer Darwish thematisieren die Funktion von Musik nach oder während des Kriegs. Ausserdem präsentiert das Festival auch dieses Jahr wieder spannende Liveacts, und mit «Human Shields» ist auch ein Radiofeature des irischen Radiomachers Bernard Clarke über den Gazakrieg zu hören. Er ist, wie viele FilmregisseurInnen auch, am Festival anwesend.

6. Norient Musikfilm Festival in: 
Bern Turnhalle Progr und Kino in der Reitschule, Do–So, 15.–18. Januar 2015; St. Gallen Palace, Fr/Sa, 16./17. Januar 2015. www.norient.com

Silvia Süess

Flutlicht

Für Schweizer Fussballfans ist der Januar ein trüber Monat. Wegen der Winterpause ruht der Spielbetrieb, für etwas Abwechslung im fussballlosen Alltag sorgen allenfalls Transfergerüchte und der neidische Blick nach Britannien, wo der Ball selbst während der Weihnachtstage rollt. Doch seit letztem Jahr sorgt das Fussball-Filmfestival Flutlicht für Linderung.

Die zweite Ausführung, die am kommenden Wochenende im «Gare du Nord» in Basel stattfindet, bietet erneut ein tolles Programm, weil die VeranstalterInnen den Fussball stets gesellschaftlich, politisch und kulturell verorten. Die drei Tage sind jeweils einem thematischen Schwerpunkt gewidmet. Zum Auftakt am Freitag richten der britische Eröffnungsfilm «We Must Go» und das anschliessende Podiumsgespräch den Blick auf Ägypten, wo der Fussball während des Arabischen Frühlings eine wichtige Rolle gespielt hat. Im Anschluss findet eine Festivalparty statt. Am Samstag geht es um die eingangs erwähnten Transfers von Spielern, um die irrsinnige ökonomische Dimension dahinter, um die AkteurInnen im Hintergrund wie Spielervermittler oder Sportchefs. Als exklusive Premiere wird abends der Dokumentarfilm «Offside Istanbul» gezeigt, der afrikanische Fussballer zu Wort kommen lässt, die in der türkischen Metropole stranden und von der grossen Karriere träumen. Regisseur der Dokumentation ist der junge Basler Filmer Jonas Schaffter, der im Anschluss über die Arbeit an seinem Film berichtet.

Am Sonntag steht am Vormittag der inoffizielle Höhepunkt des Festivals an: ein reichhaltiger Brunch, ehe im Anschluss thematisiert wird, wie die jüdische Gemeinschaft die Geschichte des Fussballs geprägt hat – eine Geschichte von Erfolgen und Verbundenheit, aber auch vom Missbrauch für perverse Propagandazwecke der Nazis. Am Podiumsgespräch zum Thema ist der bekannte Schweizer Autor Charles Lewinsky zu Gast.

Flutlicht Fussball Film Festival in: Basel Gare du Nord, Fr–So, 16.–18. Januar 2015. www.flutlichtfestival.ch

Jan Jirát

Literatur

Im Dialog

Um die Gegenwart und um Vergangenes, um Familiengeheimnisse und um Kindheitserinnerungen – darum geht es in den Romanen «Panischer Frühling» von Gertrud Leutenegger und «Die Sonnenposition» von Marion Poschmann.

In «Panischer Frühling» der Schweizer Autorin Gertrud Leutenegger ist es eine junge Frau, die die durch den Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull ausgelöste Flugstille über Europa nutzt, um durch London zu streifen. Hier trifft sie auf einen jungen Mann, der Obdachlosenzeitungen verkauft. Gemeinsam durchqueren sie die Stadt und tauchen in Kindheitserinnerungen ein.

In Marion Poschmanns Roman streift der Protagonist Altfried Janich nicht durch eine Stadt, sondern durch eine Heilanstalt in Ostdeutschland. Der einsame, fettleibige Mann arbeitet in diesem morbiden alten Schloss als Psychiater. Tagsüber entlockt er den Insassen ihre Geschichten, nachts geistert er durch die Räume und wird eingeholt von Erinnerungen an seine Familie und seine Kindheit.

Von Januar bis im März wohnt und schreibt die sonst in Berlin lebende Poschmann im Atelier Müllerhaus in Lenzburg, in dem das Literaturhaus Aargau pro Jahr zwei bis drei ausländische, deutschsprechende SchriftstellerInnen beherbergt. Am Donnerstag, dem 22. Januar, trifft sie im Literaturhaus auf ihre Schweizer Kollegin Gertrud Leutenegger, mit der sie sich in einem Werkstattgespräch über ihr Schreiben und ihre Inspirationen austauscht.

«Im Dialog: Marion Poschmann – Gertrud Leutenegger» in: Lenzburg Aargauer Literaturhaus, Do, 22. Januar 2015, 20 Uhr. 
www.aargauer-literaturhaus.ch

Silvia Süess