Staatliche Überwachung: «Das ist grundrechtlich heikel, weil es einen Generalverdacht gibt»

Nr. 24 –

Gefährden zwei neue Überwachungsgesetze unsere Privatsphäre? Der Datenschützer Hanspeter Thür erklärt, warum er das Geheimdienstgesetz für problematisch hält und weshalb er an der Wirksamkeit der Vorratsdatenspeicherung zweifelt.

WOZ: Herr Thür, derzeit verhandelt das Parlament zwei neue Überwachungsgesetze: das Nachrichtendienstgesetz (NDG) und das Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf). Sehen Sie durch die staatliche Überwachung Ihre Privatsphäre bedroht?
Hanspeter Thür: Ich beurteile die Gesetze nicht nach meiner persönlichen Privatsphäre, sondern nach den möglichen Auswirkungen auf die Persönlichkeitsrechte der Bevölkerung. Das NDG ist nicht auf der gleichen Stufe wie das Büpf. Beim NDG ist der Eingriff in die Privatsphäre viel grösser, weil er ausserhalb eines formellen Strafverfahrens angeordnet werden kann. Es liegen Welten zwischen den Gesetzen.

Wo genau sehen Sie die Unterschiede?
Beim Büpf muss ein konkreter Tatverdacht in einem Strafverfahren vorliegen, damit gesammelte Daten ausgewertet werden können. Und jedes Strafverfahren findet irgendwann einen Abschluss, sodass ein Verteidiger die Ergebnisse der Überwachung einsehen und Einspruch erheben kann. Beim NDG geht das nicht.

Wo liegen die Probleme des NDG?
Telefone abhören, Eindringen in Privaträume, auch in die elektronische Infrastruktur einer betroffenen Person – all diese Zwangsmassnahmen sind für den Geheimdienst ausserhalb eines strafrechtlichen Rahmens möglich. Der Betroffene befindet sich also nicht in einem Strafverfahren, sondern steht vielleicht nur in einem vagen Verdacht des Nachrichtendienstes, staatsgefährdende Handlungen zu begehen.

Umstritten ist auch die Kabelaufklärung, also das direkte Anzapfen von Internetkabeln durch den Geheimdienst.
Sie ist das Hauptproblem. Man argumentiert, dass es vor allem um die Kommunikation im Ausland gehe. Aber wenn man die Funktionsweise des Internets versteht, ist klar, dass man diese Unterscheidung gar nicht machen kann. Kabelaufklärung führt tendenziell zu flächendeckender Überwachung – nicht nur ausländischer Personen, wie behauptet wird, sondern eben auch der schweizerischen Bevölkerung. Die Massnahme muss zwar vom Bundesverwaltungsgericht bewilligt werden, gleichwohl ist dieser Punkt sehr heikel.

Weil das Gericht leicht unter Druck gerät?
Weil die richterliche Anordnung nicht genügt. Deshalb habe ich von Beginn weg moniert, dass es einen Dreiklang braucht. Erstens: eine unabhängige richterliche Anordnung. Zweitens: einen politischen Entscheid des Bundesrats, weil er damit zur Rechenschaft gezogen werden kann. Und drittens: eine Nachkontrolle, eine Überprüfung, ob die Massnahme wirklich gerechtfertigt war. Bis jetzt war da nichts vorgesehen. Die ständerätliche Kommission hat nun aber eine brisante Bestimmung vorgeschlagen.

Nämlich?
Eine verwaltungsunabhängige Kontrollinstanz. Damit hätte man endlich eine wirklich unabhängige Aufsicht für die Kontrolle der nachrichtendienstlichen Tätigkeit. Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit und Wirksamkeit würden auch im Nachhinein überprüft.

Sie haben vorhin gesagt, NDG und Büpf seien nicht auf derselben Ebene. Dennoch gibt es eine Schnittmenge: Mit dem neuen NDG hätte der Geheimdienst auch Zugriff auf die im Rahmen des Büpf gesammelten Vorratsdaten.
Die Frage ist, wie der Nachrichtendienst Zugriff auf die Randdaten hätte. Die Telekomanbieter speichern ja, wer wann von wo aus mit wem kommuniziert hat. Der Geheimdienst bräuchte wiederum eine Genehmigung von Bundesverwaltungsgericht und Bundesrat, um auf die Daten zuzugreifen. Für alle neuen Zwangsmassnahmen ist die Aussage von Verteidigungsminister Maurer in Erinnerung zu rufen: Es gehe um höchstens acht bis zehn Fälle pro Jahr, damit könnte man leben. Nicht aber, wenn es plötzlich Tausende von Fällen wären.

Die Vorratsdatenspeicherung soll nun von sechs auf zwölf Monate ausgeweitet werden.
Das Problem liegt für mich in der Verpflichtung, Daten zu speichern im Hinblick auf allfällige Strafverfolgung. Da sind wir grundrechtlich in einem heiklen Bereich, weil ein Generalverdacht statuiert wird. Ich bin der Meinung, man sollte die Frist zur Vorratsdatenspeicherung möglichst kurz halten, sechs Monate, eher sogar kürzer. Man könnte auch auf andere Methoden zugreifen, «Quick Freeze» etwa. Das hiesse, dass erst bei einem konkreten Tatverdacht sofort alle zur Verfügung stehenden Daten blockiert und ausgewertet werden können.

Die Vorratsdatenspeicherung ist ein sehr starker Eingriff in die Grundrechte. Es stellt sich die Frage der Verhältnismässigkeit – und damit auch der Wirksamkeit. Was bringt die Massnahme in der Verbrechensbekämpfung?
Das müssen Sie die Strafverfolger fragen. Ich habe meine Zweifel, ob die Vorratsdatenspeicherung viel bringt. In der Literatur ist die Wirksamkeit jedenfalls umstritten.

Die Befürworter des Büpf sagen, das Gesetz sei rechtsstaatlich gut abgestützt.
Das Gesetz ist klar und detailliert. Wir haben im Rahmen der Ämterkonsultation in vielen Punkten Präzisierungen durchgesetzt, beim Geltungsbereich etwa oder bei der Frage der Staatstrojaner. Das Gesetz ist in wesentlichen Punkten griffig, Missbrauch bestmöglich verhindert. Man kann Missbrauch nie ausschliessen, aber es gibt gute Kontrollmechanismen.

Bleibt der Mangel, dass es sich um einen starken Eingriff in die Grundrechte handelt.
Natürlich. Es bleibt ein starker Eingriff. Aber er ist der technischen Entwicklung geschuldet. Internettelefonie etwa kann nur mit Staatstrojanern abgehört werden. Es bleibt eine Gratwanderung. Die Frage ist letztlich: Hat man genügend Vertrauen in die staatlichen Institutionen und die Kontrollmechanismen oder nicht?