Marschieren auf Lesbos: Kein Bus für Flüchtlinge

Nr. 29 –

Griechische Politik interessiert Mohamed H. nicht. Er schaut nicht nach Brüssel, nicht auf die Weltpolitik, sondern in den Spiegel des Friseurladens. Der Marokkaner sitzt neben mir auf der Wartebank eines Coiffeurs in Mytilinis Altstadt auf der griechischen Insel Lesbos. Mohamed lebte längere Zeit in Syrien, das er vor sieben Wochen verlassen hat. Die fünfzigminütige Fahrt in einem Schlauchboot von der Türkei hierher nach Lesbos, sagt er, habe ihn tausend Euro gekostet. Für fünf Euro leistet er sich nun einen frischen Haarschnitt. Morgen darf er mit dem Schiff nach Athen reisen. Mohamed zeigt mir das behördliche Dokument, das er nach Tagen des Wartens erhalten hat.

Die meisten Flüchtlinge landen im Norden von Lesbos. Zu Fuss müssen sie sich dann aufmachen, um im Süden in eines der Auffanglager zu gelangen. Das sind bis zu fünfzig Kilometer Marsch. Meistens handelt es sich um junge Männer mit Rucksack, die auf der Strasse von Mandamado nach Mytilini zu sehen sind. Im Schatten eines Baums an der Strecke sehe ich aber auch eine Familie mit drei Kindern, die die Nacht am Strassenrand verbracht hat.

«Alles hängt vom Gesicht ab», sagt Michalis, der an der Durchgangsstrasse eine Cafeteria führt und mit vielen Flüchtlingen spricht. Wer wie ein Flüchtling aussieht, wird weder von einem Bus noch von einem Taxi mitgenommen. Denn die Fahrer hätten Angst, mit der Polizei in Konflikt zu geraten.

Doch auf der Insel gibt es immer wieder Zivilcourage. Trotz Strafandrohung fuhr Mitte Juni eine Hotelequipe mit über vierzig Autos in den Norden, lud alle vorgefundenen Flüchtlinge auf, um sie in den Süden in eines der beiden Auffanglager zu fahren. Die Polizei in Mandamado war schnell da. Doch statt jemanden ins Gefängnis zu stecken, eskortierte sie den Konvoi. Wahrscheinlich ist den griechischen GesetzeshüterInnen die Situation genauso unangenehm wie vielen Menschen auf der Insel.