Personenrätsel: Der Harmoniker mit den vielen Leben

Nr. 32 –

«Ihr begeht ein Verbrechen! Sein Kopf ist voll Musik!», hatte ein Gefangener gerufen, als er sah, dass sie den 24-jährigen Mithäftling halb tot prügelten. Die griechischen Folterer hörten tatsächlich auf, aber nur, weil sie keinen weiteren Toten im Straflager auf Makronisos gebrauchen konnten. Sie schafften den Linken, dem sie Rippen gebrochen, ein Knie ausgerenkt und einen Lungenflügel zerstört hatten, nach Athen ins Militärspital. Sollte er doch dort sterben!

Aber der 1925 auf Chios geborene Beamtensohn überlebte den Bürgerkrieg, wie er sieben Jahre zuvor schon die Folterungen der italienischen Besatzer überlebt hatte, die sich ab 1941 in Griechenland breitgemacht hatten. Damals hatte der Partisan einen faschistischen Offizier geohrfeigt und war danach im Gefängnis zum Marxisten geworden.

Als sich 1967 Militärs an die Macht putschten, überlebte er, inzwischen Parlamentarier und Komponist, ein weiteres Mal Haft, Folter und Verbannung; und wieder rettete ihn die Musik. Nicht nur Leonard Bernstein und Dmitri Schostakowitsch forderten die Freilassung des Kollegen. Der internationale Druck war am Ende so gross, dass die Obristen den unbequemen Tuberkulosekranken nach Paris entliessen. Ruhe gab der Volksmusiker natürlich keine, seine Welttourneen gerieten regelmässig zu Anklagen gegen die Diktatur. Als diese 1974 abgewirtschaftet hatte, wurde die Galionsfigur des Widerstands begeistert in Athen empfangen.

Von da an kämpfte er für «die grosse Harmonie»: für Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit. Er kandidierte vergeblich für das Athener Bürgermeisteramt, schaffte es als unabhängiger Linker wieder ins Parlament und liess sich einmal für zwei Jahre – er nannte es später einen grossen Fehler – als Minister ohne Geschäftsbereich in eine konservative Regierung einspannen. Daneben komponierte er tausend Ballette, Oratorien, Hymnen, Sinfonien, Lieder und Filmmusiken wie die zu «Alexis Sorbas» und «Z». Stiller wurde es erst um ihn, als 2012 seine ohnehin schon ramponierte Lunge bei einer Anti-Troika-Demonstration auf dem Athener Syntagmaplatz eine Tränengasladung abbekam.

Wer ist das neunzigjährige Ehrenmitglied der Europäischen Linken, das sich seit langem für eine griechisch-türkische Verständigung engagiert und im Jahr 2000 für den Friedensnobelpreis nominiert war?

Wir fragten nach dem griechischen Widerstandskämpfer, Politiker, Komponisten 
und Sänger Mikis Theodorakis (*29. Juli 1925). Der entschiedene Gegner der EU-Sparpolitik mischte sich auch in aussenpolitische Debatten ein, indem er etwa einen fairen Prozess für Abdullah Öcalan verlangte, die Nato-Angriffe auf Serbien verurteilte und gegen den Irakkrieg protestierte. Eines seiner bekanntesten Werke ist das Oratorium «Canto General», die Vertonung eines Gedichtzyklus des chilenischen Dichters Pablo Neruda. Am 7. Oktober 2015 treten zu Ehren des Komponisten im Volkshaus Zürich der Sänger George Dalaras und die berühmteste Theodorakis-Interpretin, Maria Farantouri, auf.