RebellInnenrätsel: Der leichtfüssige Vandale

Nr. 20 –

Dem Wachmann war er gerade noch entwischt, im Gerangel hatte er aber dummerweise seine Brille verloren. Als er anderntags nach ihr suchte, erwartete ihn die Polizei. Niemals zum Tatort zurückkehren – da er diesen Grundsatz missachtete, wurde er enttarnt, der «Schmierer», der zwei Jahre lang die städtischen Putzkolonnen in Atem gehalten und HausbesitzerInnen den Schaum vor den Mund getrieben hatte.

Er war der Sohn eines Schweizer Arztes und einer norwegischen Malerin. Zur Welt gekommen 1939 in Zürich. Kunstgewerbeschule, Musikkonservatorium, dann École des Beaux-Arts in Paris, wo er mit Collagen und unterschiedlichen Materialien experimentierte, alte Meister studierte, zeichnete, radierte, vereinfachte, reduzierte.

1977 fand er schliesslich zu der Form, die ihn weltberühmt machte: Mit der Sprühdose liess er leichtfüssige Strichfiguren an Mauern und Gebäuden entlangspringen, ein stiller Protest gegen kalte Architektur und urbane Unwirtlichkeit im öffentlichen Raum. Das war am Vorabend der Jugendunruhen und neu im biederen Zürich; es faszinierte und empörte ungemein. Nach der Festnahme zeigte das Gericht aber Milde und verhängte nur eine Bewährungsstrafe.

Doch der Sturkopf mit dem «intensiven deliktischen Willen» (so später ein Richter) liess von seinem illegalen Treiben nicht ab, weitete seinen Aktionsradius sogar noch aus. 1981 wurde er deshalb erneut verurteilt: neun Monate Gefängnis unbedingt und 200 000 Franken Schadenersatz wegen fortgesetzter Sachbeschädigung und weil er «über Jahre hinweg mit beispielloser Härte, Konsequenz und Rücksichtslosigkeit die Einwohner von Zürich» verunsichert habe.

Die internationale KünstlerInnenszene war über das Urteil entsetzt und solidarisierte sich mit dem Kollegen, der inzwischen in der BRD untergetaucht war. Willy Brandt hätte ihm damals gern Asyl gewährt, doch die Schweizer Behörden liessen sich nicht zu einer Rücknahme des Auslieferungsgesuchs bewegen. 1984 stellte sich der Street-Art-Pionier bei Lörrach der Polizei, aber erst, nachdem er sich noch schnell auf dem deutschen Zollhaus verewigt hatte.

Wer ist der öffentlichkeitsscheue Professor, der nach der Sandoz-Chemiekatastrophe bei Basel einen «Totentanz der Fische» entlang des Rheins sprayte und der noch heute an die politische Verantwortung des Künstlers glaubt?

Wir fragten nach dem Schweizer Künstler Harald Naegeli, dem «Sprayer von Zürich». Willy Brandt schrieb dem damals Flüchtigen: «Wenn es einmal Deutschland wäre, das einem Schweizer Bürger das Empfinden von Geborgenheit geben könnte, würde mich das freuen angesichts einer düsteren Geschichte, die eher davon weiss, dass Deutsche Zuflucht in der Schweiz suchten.» Naegeli, der noch immer illegal sprayt, lebt seit Anfang der achtziger Jahre in Düsseldorf. Den Erlös aus seinen legalen Werken spendet er regelmässig an Umwelt- und Flüchtlingsprojekte.