Diesseits von Gut und Böse: Tabula rasa

Nr. 27 –

Tabula rasa bedeutet eigentlich «unbeschriebene Tafel», «unbeschriebenes Blatt» oder «leere Tafel». Vor dem Schreiben – auch dieser Kolumne – ist also im wörtlichen Sinn von einer Tabula rasa auszugehen.

Schaut man sich politisch um, entsteht der Eindruck, dass sich viele Leute auch nach einer Tabula rasa sehnen, ob in Frankreich, Britannien oder den USA. Doch auch in der Schweiz: Diese Woche behandelt die Nationalratskommission die Rasa-Initiative, deren neckische Abkürzung für «Raus aus der Sackgasse» steht. Die Initiative will Tabula rasa mit der sogenannten Masseneinwanderungsinitiative machen. Der gesamte Text der angenommenen Verfassungsartikel soll rückgängig gemacht, ausradiert werden, es soll wieder eine Tabula rasa entstehen.

Auch im Persönlichen kann der Wunsch entstehen, Tabula rasa zu machen. Zu viel Stoff als Ballast im Hirn, in der Erinnerung, in der Gegenwart. Gerne möchte man dies manchmal entleeren. Um wieder frei zu sein, Neues aufnehmen zu können.

Nächstens beziehe ich Ferien. Auch Zeit für eine Tabula rasa. Davor den Arbeitstisch frei machen, die Materialen entsorgen, die noch immer daliegen, jedoch nicht mehr gebraucht werden. Um später aus den Ferien zurückzukehren und den Arbeitstisch aufgeräumt und leer anzutreffen.

Tabula rasa, ein Konzept, das sowohl löscht wie öffnet. Der tiefe Wunsch danach, kommt dieser aus einer Idee von Freiheit?