RebellInnenrätsel: Der musikalische Stichwortgeber

Nr. 20 –

Es ging von Ohr zu Ohr: In der Nacht auf den 25. April werde etwas geschehen, man müsse unbedingt Radio hören. Und tatsächlich: Kurz nach Mitternacht verlas ein Sprecher die erste Strophe eines verbotenen Liedes. Dann war das Lied selbst zu hören, eine Hymne an Gleichheit und Brüderlichkeit, gesungen von einem Mann, dessen Namen zu nennen ebenfalls unter Strafe stand. Es war das Startsignal für die Armeerebellion. Jubelnd strömten die Menschen auf die Strassen und empfingen die aufständischen Soldaten mit roten Nelken. Einen Tag später gehörte Portugals Diktatur der Vergangenheit an. Das war 1974.

Der Sänger und Komponist des Liedes war 1929 in der portugiesischen Hafenstadt Aveiro zur Welt gekommen. Vom autoritären Regime, das António de Oliveira Salazar 1932 errichtet hatte, bekam er zunächst nur wenig mit. Meist lebte er in Angola oder Moçambique, den Kolonien, in denen sein Vater als Richter fungierte. 1938, zum weiteren Schulbesuch nach Portugal zurückgeschickt, erwischte es ihn dafür hart: Sein Onkel steckte ihn in eine faschistische Jugendorganisation, was dem Buben «die schlimmste Zeit» seines Lebens bescherte.

Doch dann ging er in die Musikstadt Coimbra, wo er Geschichte und Philosophie studierte und Lehrer wurde. Er entdeckte den Fado und eroberte mit seinen politisch anspielungsreichen Balladen und Folksongs die Herzen der ArbeiterInnen in Stadt und Land. Dass seine Texte zunehmend «subversiv» wurden, rief schliesslich die Zensur auf den Plan, man entzog ihm die Lehrbefugnis und einmal für zwanzig Tage auch die Freiheit.

Als das Regime 1969 einen etwas gemässigteren Kurs einschlug – das abgewirtschaftete Land konnte sich längst nur noch durch die Ausbeutung seiner Kolonien aufrecht halten –, schloss sich der Sänger der aufkeimenden Gewerkschaftsbewegung an. Er komponierte, dichtete, sang, landauf, landab, oft von der Staatsgewalt behindert. Das Konzert am 29. März 1974 in Lissabon jedoch blieb unbehelligt. Niemand griff ein, als am Ende das Publikum – darunter viele kolonialkriegsmüde Offiziere – das Lied «Grândola, vila morena» sang, jene verbotene Hymne, die etwas später die Nelkenrevolution einleitete und einen Moment lang von einer herrschaftsfreien Zukunft träumen liess.

Wer war der grosse Liedermacher, der auf seinen Europatourneen für Landkooperativen und Kulturzentren Geld sammelte und dessen Sarg 1987 über 30 000 PortugiesInnen folgten?

Wir fragten nach dem Widerstandssänger und Komponisten José «Zeca» Afonso (1929–1987). «Grândola, vila morena» besingt die Stadt Grândola, eine Hochburg des Widerstands gegen das Salazar-Regime. Die erste Strophe lautet: «Grândola, braun gebrannte Stadt, Land der Brüderlichkeit, in dir regiert das Volk.» 2013 erlebte das Lied ein Revival als Protestsong gegen das Spardiktat der Troika. Als Lehrer arbeitete José Afonso unter anderem drei Jahre in Moçambique, wo er den Kolonialkrieg miterlebte. 1983 bekam er die Lehrerlaubnis zurück, da war er aber bereits von seiner Krankheit, Amyotrophe Lateralsklerose, geschwächt.