Diesseits von Gut und Böse: Leise tröpfelt das Schmalz
Wie jedes Jahr leide ich derzeit unterm Besinnlichkeitsoverkill. Das Beschwören friedlicher Stunden und leuchtender Kinderaugen gilt offenbar als stressreduzierend und verkaufsfördernd. Ich selbst lebe zwar schon lange und glücklich ganz weihnachtsfrei, doch die StimmungsproduzentInnen geben keine Ruhe; und je unwahrscheinlicher weisse Weihnachten im Unterland sind, desto mehr geraten sie zur kollektiven Wahnidee.
Kein Wetterbericht vergeht ohne den – im Ton tiefen Bedauerns vorgebrachten – Hinweis auf (leider nicht) zu erwartende Flocken, und ein Onlineshop für fair gehandelte Waren mailte mir vor zwei Tagen: «Heute schon einen Schneemann gebaut? Oder beim Schneespaziergang über die ausklingende Woche, das ausklingende Jahr nachgedacht?»
Ein Zürcher Stadtrat schlug in seiner «Tagblatt»-Kolumne vor, mit der Familie in der Adventszeit «sogenannte Quality Time zu verbringen. Zusammen zu spielen, Geschichten zu erzählen oder um vielleicht wieder einmal den Schlitten vom Estrich zu holen und nach draussen zu gehen.» Man kann den Schlitten ja auch mit einer Kerze drauf ins Wohnzimmer stellen, während die Kleinen rausgehen.
Einem SVP-Nationalrat und Zeitungsverleger erschien das geflöckelte Schäumchen vom letzten Sonntag gar als Indiz für die Nichtexistenz des Klimawandels, wie er auf Twitter frohlockte. Von dem Mann hat aber auch niemand was anderes erwartet.
Ich wünsche Ihnen friedliche Tage – in welcher Form auch immer!