LeserInnenbriefe

Nr. 20 –

Harte Verhandler

«Steuer-AHV-Deal: Ein Nein drängt sich auf», WOZ Nr. 18/2019

Bei allem Respekt für die generell hohe journalistische Qualität der WOZ, bisher auch zur Staf-Abstimmung vom 19. Mai, erachte ich das Fazit «Ein Nein drängt sich auf» als einen Griff nach kurzfristig unerreichbaren steuerpolitischen Sternen. Zum hohen Preis, die bestmögliche sozialpolitische Abfederung mit den zwei AHV-Milliarden einfach fortzuwerfen. Ich verstehe die Kritik am Steuerwettbewerb. Die neue Vorlage schränkt ihn aber mehr ein als die abgelehnte. Nach diesem ersten Schritt werden weitere folgen. Alles aufs Mal gibts in der herrschenden Bundeshausmechanik nicht. Entsprechend sind die ohne sozialpolitische Zugeständnisse errungenen AHV-Milliarden – fast die Hälfte aus der Bundeskasse und der Rest aus stark umverteilend wirkenden Lohnpromillen – ein grosser Schritt. Übrigens völlig unerwartet, nach der unnötigen Niederlage bei der «Altersvorsorge 2020». Der Artikel tut so, als ob die zustimmende Linke alles nur «abnicken» wolle. Paul Rechsteiner und Christian Levrat sind als harte Verhandler bekannt. Ihnen das Gegenteil zu unterstellen, zeugt von Unkenntnis der realpolitischen Möglichkeiten in Bundesbern. Manchmal muss man den «Sack zumachen», wenn sich ein Ja dafür aufdrängt. Hier ist dies aus sozialpolitischen Gründen der Fall. Steuerpolitisch müssen wir – mit internationaler Hilfe – ebenso konsequent am Ball bleiben.

Rolf Zimmermann, Bern

Über den Tellenrand

«Essay: ‹Allen, die postulieren, es gebe einen einzigen wahren Kern des Mythos, ist nicht zu trauen›», WOZ Nr. 18/2019

Der Sage von Wilhelm Tell soll «schon immer» eine «infantile Tendenz eigen» sein, behauptet die WOZ in einem als Essay bezeichneten Text von Thomas Brunnschweiler. Johann Wolfgang von Goethe sah das in einem Brief an Friedrich Schiller noch etwas anders: «Ich bin fest überzeugt, dass die Fabel vom Tell sich werde episch behandeln lassen, und es würde dabei, wenn es mir, wie ich vorhabe, gelingt, der sonderbare Fall eintreten, dass das Märchen durch die Poesie erst zu seiner vollkommenen Wahrheit gelangte, anstatt dass man sonst um etwas zu leisten die Geschichte zur Fabel machen muss.» Zunächst: Nicht die Sage von Wilhelm Tell wäre «infantil» – sondern allenfalls das, was damit angestellt wird.

Das oben verwendete Goethe-Zitat stammt aus einem Artikel von Dominik Riedo: «209 Jahre Schweizer National-Epos». Dieser zeigt detailreich, wie es Schiller gelingt, sein damaliges Publikum mit revolutionärem Impetus erfolgreich anzusprechen. Wie der Tellen-Mythos als solcher entstand und warum er bis heute resonanzfähig bleibt, haben Michael Blatter und Valentin Groebner in ihrem weit über den Schweizer Tellenrand hinausblickenden Buch «Wilhelm Tell. Import – Export» im Jahre 2016 sorgfältig dargelegt. Tell kann auch einfach ein Held sein, der sich der Intention seiner Gestaltenden anpasst. Warum diskutiert der Autor solche Quellen nicht? Eine Anschlussfrage, die nicht an einem Schweizer Schrebergartensyndrom leidet, wäre dann vielleicht, wie aus einer Genderperspektive der Tellen-Mythos weiterentwickelt werden könnte. Eine andere weiterhin, wie es kommt, dass offenbar auch das Element des Tyrannenmords so viel Identifikation auf sich zu vereinigen vermag – nicht nur bei SchweizerInnen.

Edi Kradolfer, per E-Mail