RebellInnenrätsel: Die turbulent Einsame

Nr. 42 –

Drei Jahre hatte sie auf die Einbürgerung gewartet, jetzt wollte sie nicht mehr. In diesem Land, das ihr einst so vorbildlich demokratisch erschienen war, war sie bespitzelt und als «Agentin Stalins» diffamiert worden, bis sie beruflich keinen Fuss mehr auf den Boden bekam. Freiraum für unabhängiges Denken gab es in dieser hysterischen Atmosphäre nicht. Was sollte sie da noch mit dem US-amerikanischen Pass?

1905 in München geboren, war die radikale Liberale als ältestes von sechs Kindern in einem grossbürgerlichen Haushalt aufgewachsen. Sie galt als blitzgescheit, aber verzogen, konnte Menschen perfekt nachahmen, log und klaute, wann immer es Spass versprach. Schule fand sie öde, und das «Sau Sau Sau-Kotz-Abitur» bestand sie nur knapp. Doch dann zog sie ins brodelnde Berlin und machte sich – mit einer Vorliebe für skandalöse Stücke – als Schauspielerin einen Namen. Bis sie 1932 auf einer Kundgebung der Internationalen Frauenliga ein Antikriegsgedicht rezitierte. Von den Nazis attackiert, bekam die «plattfüssige Friedenshyäne» (so der «Völkische Beobachter») noch vor Hitlers Machtübernahme keine Engagements mehr.

Natürlich gab sie nicht klein bei. Anfang 1933 präsentierte sie einem begeisterten Münchner Publikum antifaschistisches Kabarett – gegen Lüge, Dummheit und Lethargie. Wenige Wochen später musste sie sich mit dem Ensemble nach Zürich in Sicherheit bringen, von wo aus sie gemeinsam durch Europa tourten. «Eine Patrouille der Menschlichkeit entlang der Front der Bestialität» nannte jemand die Truppe, und Joseph Roth meinte, sie mache «zehnmal mehr gegen die Barbarei als wir alle Schriftsteller zusammen». Ein Land ums andere jedoch beugte sich dem Druck der NS-Botschafter. Bis 1936 nach 1034 Vorstellungen endgültig der Vorhang fiel.

Der kabarettistische Neuanfang in den USA misslang, 1937 löste sich das Ensemble auf. Für sie selbst begann dort eine Zeit rastloser Aufklärungsarbeit. Landauf, landab hielt sie Reden über Hitlerdeutschland, publizierte Bücher, arbeitete kurze Zeit in London für den deutschen Sender der BBC und berichtete schliesslich im Rang einer US-Offizierin von diversen Weltkriegsschauplätzen. Als sie nach 1945 registrierte, dass die USA die Ost-West-Konfrontation anheizten und KritikerInnen mundtot machten, zog sie sich ausgebrannt in die Schweiz zurück, um sich bis zu ihrem Tod 1969 dem Werk ihres Vaters zu widmen.

Wie heisst die Urenkelin der Feministin Hedwig Dohm, die, bereits schwer krank, so gern noch mit der Jugend gegen den Vietnamkrieg auf die Strasse gegangen wäre?

Wir fragten nach der Schauspielerin, Publizistin und Kinderbuchautorin Erika Mann (1905–1969). Ab dem 1. Januar 1933 war sie Texterin, Darstellerin und Managerin des Kabarettensembles Die Pfeffermühle, das für einige Zeit im Zürcher Hotel Hirschen auftrat. 1935 wurde Erika Mann die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen, dank einer Scheinheirat besass sie aber bereits einen britischen Pass. Ihr Vater war der Literaturnobelpreisträger Thomas Mann, den sie 1936 dazu veranlasste, sich endlich öffentlich gegen Hitlerdeutschland auszusprechen. Sie schrieb unter anderem das Buch «School for Barbarians. Education under the Nazis» («Zehn Millionen Kinder. Die Erziehung der Jugend im Dritten Reich»), das 1938 in den USA zum Bestseller wurde. Bis zu ihrem Tod lebte sie im Haus ihrer Eltern in Kilchberg. Empfohlene Lektüre: Irmela von der Lühe, «Erika Mann. Eine Lebensgeschichte».