Diesseits von Gut und Böse: Der diskrete Charme des Kapitals
«Wenn Sie nur beschränkte Mittel zur Verfügung haben, dann müssen Sie halt dorthin ziehen, wo Sie sich eine Wohnung leisten können.» Mit diesem Satz in der «Tagesschau» erarbeitete sich die Zürcher FDP-Nationalrätin Regine Sauter letzthin in Windeseile die Ehre, mit Marie-Antoinette verglichen zu werden. Frankreichs letzte Königin soll dem hungernden Volk ja geraten haben, wenn es kein Brot habe, solle es doch Kuchen essen. Und auch wenn sies nicht so gesagt hat, steht das Zitat bis heute für die Arroganz des Reichtums.
Mit ihrem praktischen Wohntipp für Normalsterbliche wollte Frau Sauter deutlich machen, dass sie die Mietwohnungsinitiative für «Mehr bezahlbare Wohnungen», über die am 9. Februar abgestimmt wird, für überflüssig hält. Auf dem Land warteten schliesslich massenhaft leere Wohnungen auf BewohnerInnen. Dort lassen Investitionswillige – von der Pensionskasse bis zum Spekulanten – seit Jahren Mietshaus um Mietshaus erstellen, weil der Boden billig ist. Doch Arbeitsplätze, ÖV und Kinderbetreuungsmöglichkeiten fehlen, und niemand will hin. Auch Frau Sauter nicht.
Die ist Direktorin der Zürcher Handelskammer und wohnt am Züriberg. Im Nationalrat vertritt sie insgesamt 22 Lobbyorganisationen (als Verwaltungsrätin, Vize-, Ko- und einfach Präsidentin, Stiftungsrätin in Vorständen, Geschäftsleitungsausschüssen, Patronatskomitees, Advisory Boards und so weiter), über Entschädigungen gibt es keine Auskünfte. Frau Sauter hat Einsitz in der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, kämpft gegen höhere Steuern für Reiche, gegen die Pflegeinitiative und anderes mehr. Manchmal kämpft sie auch für etwas, zum Beispiel Rentenkürzungen.
Wir anderen kämpfen jetzt erst mal für bezahlbaren Wohnraum – sonst wird «der Markt» in seiner unendlichen Weisheit irgendwann auch der Schweiz zum weltweit beliebten Wohnmodell «Favela» verhelfen.