RebellInnenrätsel: Der ruppige Orpheus

Nr. 6 –

Die linke Gesichtshälfte gelähmt, ein Dauerpfeifen im Ohr und, unkontrollierbar, im Mundwinkel ein Speichelfaden. Er war schwer verletzt worden, als Ende 1943 bei einem Bombenangriff auch das Gefängnis Berlin-Moabit getroffen worden war. Zwar konnte ein Mithäftling den vermeintlichen Hochverräter wieder zusammenflicken, doch nach der Befreiung durch die Rote Armee fiel ihm das Artikulieren noch immer schwer. Würde er je wieder auftreten können?

Er konnte. Denn neben einer grossen Stimme besass er einen starken Willen. Mit sieben war der 1900 in Kiel geborene Maurersohn erstmals auf der Bühne gestanden. Ein Pfarrer hatte ihn für den Kirchenchor rekrutieren wollen, doch der Vater, ein aufrechter Sozialdemokrat, entschied damals, dass er dann doch besser für die GenossInnen sang. Und so schmetterte der Junge an der Maifeier 1907 die «Internationale». Schauspieler wollte er werden, übte schon als Schüler das Deklamieren, zunächst aber lernte er Maschinenschlosser auf einer Werft und bildete sich nebenher weiter, denn mit dem Sozialismus war es ihm ebenfalls ernst.

1921 gelang dem Arbeiterspross dann der Sprung ans Kieler Stadttheater. Sechs Jahre später stand er in Berlin in avantgardistischen Stücken auf der Bühne und sang sich zur Musik von Hanns Eisler in die Herzen der ArbeiterInnen; wenn er im Sportpalast den «Heimlichen Aufstand» intonierte, stimmten Tausende ergriffen mit ein. 1933 dann das Exil. (Radio-)Auftritte in den Niederlanden, Frankreich, England, der Sowjetunion; Konzerte in Belgien für jüdische Flüchtlinge, in Spanien für die Internationalen Brigaden. 1940 Internierung, Flucht, Zuchthaus.

Und nach dem Krieg der schwierige Neubeginn. Der Kampf um die Köpfe der Deutschen sei «keine leichte Sache», schrieb er damals einem Freund, «sie nehmen dem Hitler nur eines krumm, dass er ihren Krieg verloren hat. Alles andere war grossartig. Völker ausrotten, Judenverfolgung, alles in Ordnung. Und mit denen mach Du mal Demokratie.» Während in Westdeutschland die Arbeiterkultur verschüttet blieb, wurde sie in der DDR, seiner Wahlheimat, hochgehalten. Bald zog der «rote Orpheus» wieder begeisterte Massen an. Doch die Parteigranden, die sich an der Popularität des ruppigen Zeitgenossen störten, beurteilten seine jazzhaltigen Politlieder als «rechtsopportunistisch» und schoben ihn ins Abseits. Dass er daraufhin viele Jahre als Sänger schwieg, verlieh ihm den Nimbus des Widerständigen.

Wer war der 1980 verstorbene «provokantige Künstler» (so Kurt Tucholsky), dem die 68er-Bewegung im Westen zu neuer Berühmtheit verhalf?

Wir fragten nach dem deutschen Sänger, Theater- und Filmschauspieler Ernst Busch (1900–1980). Aufgrund seiner proletarischen Herkunft und seiner Glaubwürdigkeit machte er den ArbeiterInnen Texte unter anderem von Bert Brecht und Kurt Tucholsky zugänglich. Bekannt wurde er 1929 mit dem «Stempellied». Noch heute berühmt sind etwa «Der heimliche Aufstand», das «Solidaritätslied» und das «Einheitsfrontlied». Nach dem Krieg gründete Busch den DDR-Schallplattenverlag «Lied der Zeit», wurde 1953 aber als dessen künstlerischer Leiter abgesetzt. Unter anderem soll er gesagt haben, man könne ihn «am Arsche lecken», wenn er – wie verlangt – faschistische Hymnen wie die spanische zusammen mit anderen Nationalhymnen auf einer Platte aufnehmen solle. Für die Partei hatte er ab dieser Zeit als «Volkssänger» ausgedient. Bis zu seinem Bühnenabschied 1961 blieb er aber der bekannteste und bestbezahlte Schauspieler der DDR.