RebellInnenrätsel: Der militante Aufstandsdichter

Nr. 24 –

Das erste Mal entkam er seiner Exekution, weil der Staatspräsident gestürzt und das Todesurteil ausgesetzt wurde. Das zweite Mal liess ein Erdbeben die Gefängnismauern einstürzen, sodass er fliehen konnte.

Beim dritten Mal rettete ihn jedoch niemand und nichts mehr. Allerdings hatte er gewusst, worauf er sich einliess, als er seine Feder (und später die Waffe) gegen die Mächtigen zu richten begann: «Politik macht man, indem man sein Leben riskiert, oder man redet erst gar nicht davon», erklärte er einmal. Wie aber hätte er ahnen können, dass sich die Mörder in den eigenen Reihen befanden?

Der unbotmässige Poet war 1935 als Sohn einer Krankenschwester in El Salvador zur Welt gekommen (der Vater war ein US-Millionär und bereits anderweitig liiert). Nach dem Besuch einer Jesuitenschule studierte der Spross Jura und kam dabei mit sozialistischem Gedankengut in Kontakt. Er erkannte, dass eine kleine Minderheit die Mehrheit der Landlosen terrorisierte – zwei Prozent der Bevölkerung verfügten über hundert Prozent des Bodens, um zuerst Indigo, dann Kaffee anbauen zu lassen. Und er begriff, dass sich diese Oligarchie, von den USA beschützt, niemals freiwillig von der Macht trennen würde. Er trat der Kommunistischen Partei bei und nutzte sein Beobachtungs- und sein Schreibtalent, um ein Bewusstsein für den notwendigen Befreiungskampf zu schaffen: mit Gedichten ohne Pathos und lyrische Schnörkel, in einer volkstümlichen Sprache, auch spöttisch und derb.

Nachdem er – als kommunistischer Aufwiegler verhaftet – dem Tod bereits zweimal entkommen war, liess er sich im kubanischen Exil zum Guerillero ausbilden, kehrte 1974 heimlich nach El Salvador zurück und schloss sich – seine Gedichte waren inzwischen verboten – der Revolutionären Volksarmee (ERP) an. Jetzt reiche Zärtlichkeit nicht, resümierte er damals. Viel Zeit blieb ihm jedoch nicht für den revolutionären Kampf gegen Repression und Rechtlosigkeit. Im Mai 1975 wurde der undogmatische Kommunist nach einem Tribunal von den eigenen Genossen erschossen. Ihr Vorwurf: Er arbeite für den Geheimdienst.

Wer war der «arme, kleine» Poet, der mit seinen Gedichten die Nacht, das Elend und den Hass erschiessen wollte, dabei aber auch, so sein Zeitgenosse Eduardo Galeano, «Steine zum Lachen bringen» konnte?

Wir fragten nach dem salvadorianischen Dichter und Journalisten Roque Dalton (1935–1975). Das Zitat im zweiten Absatz stammt aus seinem Gedichtzyklus «Taberna y otros lugares», für den er 1969 den Literaturpreis des kubanischen Kulturinstituts Casa de las Américas erhielt. Auf Deutsch sind im Rotpunktverlag unter anderem der Roman «Armer, kleiner Poet, der ich war» erschienen und «Die Welt ist ein hinkender Tausendfüssler», die Lebensgeschichte des Gewerkschafters Miguel Mármol. Sehenswert auch der Film «¡Fusilemos la noche!» von Tina Leisch, der dem gleichlautenden Gedichtband beiliegt. Nach Daltons Ermordung, die 2012 ungesühnt verjährte, wuchs sein Ruhm ins Unermessliche. Heute gilt er in El Salvador als «Poeta nacional», was ihm wohl eher missfallen hätte.