Diesseits von Gut und Böse: Demokratische Monsterwellen
«Stimmen Sie brieflich ab. Bitte. Alle.» Der dringliche Aufruf stammt nicht aus den USA, sondern lag im September den Zürcher Abstimmungsunterlagen bei. Aber auch ohne Corona ist es für die meisten Schweizer BürgerInnen seit 2005 eine Selbstverständlichkeit, ihr Votum schriftlich abzugeben.
Nur ein Nationalrat mag da nicht mittun, sondern sucht regelmässig die Urne auf. So scheint es zumindest, nimmt man Roger Köppels Tweets zur US-Wahl ernst. Eine «Abstrusität» nannte er die US-Briefwahl, bei der ein «Couvert-Tsunami» Biden ins Weisse Haus spüle. Seinem politischen Idol folgend, erkannte er: «Sie zählen so lange, bis Biden überall gewinnt.» Was ja – nach demokratischen Spielregeln – zulässig ist und genau so geschah.
Für fast noch mehr Aufruhr auf Twitter sorgte ein Korrespondent aus dem Berliner Büro der NZZ. Er schrieb: «Die Briefwahl ist dazu da, um Alten und Kranken, die ihr Haus nicht verlassen können, die Teilnahme zu ermöglichen. Und denen, die eine Reise nicht verschieben können. Wird die Briefwahl zur Regel, ist das ein Problem.» Auf nähere Erklärungen verzichtete er.
Nach dem Twitter-Tsunami – um im köppelschen Bild zu bleiben – empörter SchweizerInnen, der daraufhin über ihn hinwegschwappte, dürfte er sich schluchzend im Bett verkrochen haben. Dabei ist der ganze Mann einfach nur so deutsch wie sein Vorname: Hansjörg Friedrich. Sein Auftrag lautet schliesslich nur, aus der deutschen Hauptstadt in die Schweiz zu berichten, und nicht, Schweizer Mödeli wie die direkte Demokratie zu kennen. Wobei übrigens auch junge, buschpere Deutsche seit 2008 ohne Begründung per Brief wählen dürfen.
Wir hier freuen uns jetzt erst mal auf den gewaltigen Brieftsunami mit doppeltem Ja, den wir zum 29. November in Gang setzen werden.