RebellInnenrätsel: Der Staatsfeind aus Tirol

Nr. 46 –

Es fand sich einfach kein Verräter. Der Gemeindeammann von Klosters weigerte sich, den Rebellen an die Habsburger auszuliefern, zu beliebt war dieser bei den BündnerInnen. Und auch der Arzt liess sich nicht überreden, ihn beim nächsten Aderlass verbluten zu lassen. Obwohl tausend Gulden auf seine Ergreifung ausgesetzt waren, dauerte es sechs Jahre, bis tatsächlich jemand zustach.

Der lästige Staatsfeind war um 1490 im südtirolischen Tschöfs zur Welt gekommen. Sein Vater hatte sich vom Landwirt zum Bergwerksbesitzer hochgearbeitet, sodass der Bub die Lateinschule besuchen und in Padua studieren konnte. Erste Station des Juristen war danach das nordtirolische Schwaz, das dank reichhaltiger Silber- und Kupferminen damals die grösste Bergbaumetropole Europas war. Hier fungierte der Gesuchte als Grubenschreiber und vertraute noch auf Ferdinand, den Habsburger Regenten der Grafschaft Tirol.

Doch wie in Süddeutschland gärte es bereits: Adel und Klerus, die sich immer mehr Rechte anmassten, Beamte, die willkürlich kassierten und richteten, brachten Bauern wie Handwerker gegen sich auf; dazu kam noch, dass der hoch verschuldete Regent die Minen an die Augsburger Bankiersfamilie Fugger verpfändete, was nicht nur die ohnehin miesen Arbeitsbedingungen der Bergleute verschlechterte, sondern auch die Qualität der Silbermünzen (die in der fuggerschen Prägerei mit Kupfer gestreckt wurden).

Als nördlich der Alpen 1525 die ersten Burgen und Schlösser brannten, entlud sich auch in Tirol der Unmut. Der Hauptmann, inzwischen zu militärischen Ehren gelangt, wurde zum Anführer der Unzufriedenen und stellte Forderungen: Der Kirchenbesitz sollte an Bedürftige, ungenutzter Boden an landlose Bauern verteilt werden; Abgaben und Dienste sollten ersatzlos gestrichen, Richter künftig vom Staat bezahlt und die Pfarrer von den Gemeinden gewählt werden. Als Druckmittel scharte er ein Söldnerheer um sich. Lange verhandelte Ferdinand, lenkte ein, hintertrieb, spaltete, versprach – und liess, als nichts half, die Aufständischen verfolgen, den Anführer verhaften.

Diesem gelang jedoch die Flucht nach Klosters, wo er seinen radikalsten Plan entwarf: Der Süden Tirols sollte vom konservativen Norden abgetrennt und zu einer egalitären, freien Bauernrepublik werden. Der Umsetzungsversuch endete im Juli 1526 mit einer Niederlage bei Radstadt.

Wer war der 1532 ermordete «pöse mentsch», der die Habsburger zu Fall bringen wollte und noch im venezianischen Exil dem Tiroler Regenten schlaflose Nächte bereitete?

Wir fragten nach dem Tiroler Bauernführer Michael Gaismair (~1490–1532), den Friedrich Engels als «das einzige bedeutende militärische Talent unter sämtlichen Bauernchefs» bezeichnete («Der deutsche Bauernkrieg», 1850). Nach der Niederlage von Radstadt versuchte Gaismair, noch mehrere Aufstände anzuzetteln. 1526 formulierte er mit seiner «Tiroler Landesordnung» einen Verfassungsentwurf, nach dem unter anderem sämtliche Standesprivilegien abgeschafft, Bergbau, Handwerk und Handel weitgehend verstaatlicht, Klöster in Spitäler umgewandelt und die Bedürftigen umfassend unterstützt werden sollten. Ermordet wurde er von Strassenräubern, ziemlich sicher im Auftrag Ferdinands. Dieser machte nach Gaismairs Tod alle Zugeständnisse rückgängig: Zusagen an die Bauern und Bergleute wurden kassiert, Adel und Klerus bekamen ihre Privilegien wieder, die Kirche ihre Besitztümer.